Das kurze Glück des Jean Egger

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Die erste Monographie über einen fast Vergessenen.

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Die erste Monographie über einen fast Vergessenen.

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Einer der besten, wichtigsten österreichischen Maler der Zwischenkriegszeit war bis vor wenigen Jahren nur wenigen Fachleuten bekannt: Jean Egger. Nun liegt die erste große Monographie vor, erarbeitet von Matthias Boeckl. Wer mit dem Namen Jean Egger bisher nichts verband, braucht sie nur flüchtig anzublättern, um, elektrisiert, den Rang dieses Künstlers zu erkennen, der sich neben den großen österreichischen Malern seiner Zeit mühelos behauptet. Doch obwohl Jean Egger 1934 im Alter von nur 37 Jahren starb, kann diese Monographie nur ein Anfang sein, der künftigen Forschungen die Richtung weist: Forschungen nach verschollenen Werken, Forschungen zur Vervollständigung einer höchst lückenhaften Biographie.

Dabei war er alles andere als ein Unbekannter, und auch kein Hungerleider in einem ungeheizten Atelier. Der Kärnter Lehrersohn Hans Egger, der sich in Paris Jean Egger nannte, hatte dort schnell Erfolg und war, als er starb, "eine etablierte Persönlichkeit des Pariser Kunstlebens". Wenige Jahre vor seinem Tod kaufte er sich ein schönes, großes Haus auf Mallorca, wo ihn der ebenfalls auf der Insel lebende Joan Miro mehrmals besucht haben soll. Wie eng sie befreundet waren, weiß man nicht, wie überhaupt viele Einzelheiten dieses Lebens in Vergessenheit gerieten. Denn obwohl sich manche prominente Persönlichkeit von ihm porträtieren ließ, gingen in der Kriegs- und Nachkriegszeit seine Spuren in Frankreich verloren. So prominent, daß die Erinnerung an ihn dort über zwei Generationen hinweg tradiert worden wäre, war er auch wieder nicht, und in Österreich war das Interesse nicht sehr groß.

Auch von einem Werksverzeichnis ist man noch weit entfernt. Viele Bilder sind verschollen oder nur durch Schwarzweißfotos bekannt. 26 Gemälde, die der austro-amerikanische Maler Frederick Kann in die USA brachte, um Käufer für sie zu suchen, wurden einmal ausgestellt, dann hat man nichts mehr von ihnen gehört. Ein Teil der in Mallorca zurückgebliebenen Akte wurde nach seinem Tod, wohl im spanischen Bürgerkrieg, Ziel einer Vernichtungsaktion. Und vieles, was er gemalt hat, dürfte noch heute in französischen Wohnungen und Villen hängen und müßte erst aufgespürt werden.

Fast alle bedeutenden österreichischen Maler seiner Zeit haben länger oder kürzer in Paris gelebt, gelernt, Einflüsse aufgenommen. Wie sie alle, knüpfte auch Jean Egger nicht bei den Kubisten oder Surrealisten, sondern bei den Impressionisten und Expressionisten an. Künftige Forschungen, meint Matthias Boeckl überzeugend, "müßten zeigen, daß Expressionismus nicht gleich Expressionismus ist": In Mallorca habe Egger "eine Bildsprache erreicht, die sich kaum mehr in das zeitgenössische Geschehen in Europa einordnen läßt".

Jean Egger lebte ein kurzes, aber erfolgreiches Leben und in einer, wie es scheint, denn auch seine Selbstzeugnisse sind offenbar Mangelware, sehr glücklichen Beziehung. Einen wichtigen Teil seines Lebenswerks machen die vielen Zeichnungen, Skizzen, Porträts und Aktbilder seiner schwedischen Lebensgefährtin Signe aus, mit der er viele Reisen unternahm und auch auf vielen Fotografien zu sehen ist. Wir sehen ihn darauf nie schlampig, stets korrekt im Anzug mit Krawatte, auch im Atelier. So wie Max Beckmann obsessiv Selbstporträt auf Selbstporträt malt, porträtiert Egger unablässig Signe mit der ganzen Palette seiner Ausdrucksmöglichkeiten, von brav bis völlig aufgelöst in Farbflecken und Pinselhieben, mit einem ungeheuren Reichtum an Stimmungen, alles Menschliche ist in diesem einen Gesicht konzentriert.

Als Kunststudent in München lernt Egger 1923 Arne Björnson-Langen kennen, den Sohn des Simplicissimus-Verlegers, woraus eine enge Freundschaft entsteht. Sie reisen gemeinsam, vielleicht nach Holland, mit Sicherheit nach Sizilien. Holland bedeutet eine weitere schicksalhafte Begegnung: mit dem Werk von van Gogh, das einen entscheidenden Einfluß auf seine Landschaftsmalerei ausübt. Van Gogh und Sizilien lösen eine stürmische Entwicklung aus, einen Umsturz, "der zur Ausformulierung seines für den Rest des Îvres verbindlichen Stils führte", wie Boeckl schreibt. Nur zwei Sizilien-Bilder sind erhalten, sieben gingen in Amerika verloren. Bei manchen Landschaften der französischen Zeit denkt man auch an Wilhelm Thöny, dessen Malweise sich ebenfalls in Paris auflöste und aufhellte. Es gibt keinen Anhalt dafür, daß sie einander trafen, obwohl Egger den Nuntius Eugene Merio und Thöny etwa um die gleiche Zeit den Pariser Erzbischof Kardinal Verdier malt und man zwischen den Bildern Bezüge herstellen kann, wenn man unbedingt will.

Ebenfalls mit Arne Björnson-Langen reist Egger 1925 nach Paris, wo ihm die Kontakte des Freundes zu wichtigen Bekanntschaften verhelfen, wo er seine Lebensgefährtin Signe Wallin kennenlernt und Eingang in den Kreis von Lotti Jeanneret, der Schwägerin von Le Corbusier, findet. Er darf Prominente wie Minister Painleve und General Foch porträtieren, nimmt an vielen Ausstellungen teil, französische Kritiker loben ihn in höchsten Tönen (nur die österreichischen mäkeln bei aller Anerkennung an ihm herum), er darf bei einem Österreich-Aufenthalt den Kärntner Landeshauptmann Kernmayer malen und wird dafür sogar bezahlt, er wäre ein Glückskind. Doch mit seiner Gesundheit geht es bergab. In seinem Haus in Pollensa auf Mallorca, das in der Nachbarschaft noch heute "Can Hans" genannt wird, malt er zuletzt nur noch Nächstliegendes, in die Landschaft gehen kann er nicht mehr. Am 15. Oktober 1934 treffen er und Signe mit der Fähre in Genua ein, am 16. Oktober erreichen sie noch Klagenfurt, wo er am selben Tag um 20 Uhr im Elternhaus an Lungentuberkulose stirbt.

Beim Gedanken an die Entwicklung, die hier noch möglich gewesen wäre, kann man nur weinen. Man spricht in solchen Fällen von "Frühvollendeten". Sie können es ja nicht mehr widerlegen. Doch die experimentellen Arbeiten Eggers weisen weit über den Expressionismus hinaus. Er hatte die besten Voraussetzungen, nach dem Zweiten Weltkrieg den Anschluß an die nun aktuellen Strömungen zu finden.

JEAN EGGER. Von Matthias Boeckl Kunstinitiative Tirol, Götzens 2000 224 Seiten, 200 Farbbilder, Ln., öS 490,-/E 35,60

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