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Das Opernjubiläum 1969

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Mit dem Handschreiben Franz Josephs vom 20. Dezember 1857, dem „kaiserlichen Weihnachtsgeschenk“, das mit den Worten beginnt „Es ist mein Wille“, wurden die Voraussetzungen zur Via trium- phalis, der Ringstraße, geschaffen, an deren Scheitelpunkt man in den Jahren 1863 bis 1869 das neue Opernhaus errichtete.

35 Architekten, darunter auch viele aus Deutschland, England und anderen Staaten, hatten insgesamt 350 Profilentwürfe eingereicht, von denen die Pläne unter dem Motto „Fais ce que dois, advienne que pourra“ den ersten Preis erhielt. An dieses heroische und fatalistische Motto mögen die beiden Professoren der Wiener Akademie der bildenden Künste, der k. k. Baurat Eduard van der Null und der Architekt August Siccard von Siccardsburg, in den folgenden Jahren oft gedacht haben. Man kennt ihr tragisches Schicksal: Van der Null, der Feinfühlige und Menschenscheue, hat sich, fast erblindet, in seinem 56. Jahr, am 3. April 1868, das Leben genommen; Siccardsburg, rekonvaleszent nach einer schweren Operation, war von der Nachricht vom Tod des Freundes so erschüttert, daß er zwei Monate später im 54. Lebensjahr einem Schlaganfall erlag. Beide haben also die festliche Eröffnung des von ihnen geschaffenen Prachtbaues nicht mehr erlebt.

Nach den Worten eines Wiener Musikologen steht die Wiener Staatsoper, topographisch gesehen, zwar auf dem alten Basteigraben, geologisch betrachtet dürften hier die letzten Ausläufer der Erdbebenlinie festzustellen sein, die den Orten südlich von Wien einen Schuß italienischen Temperaments verleiht. Und in der Tat würden Seismographen in der Staatsoper wohl mindestens einmal wöchentlich, seit ihrem Bestehen, ein mehr oder minder heftiges Beben registrieren können.

Schon bei den Vorbereitungsarbeiten für den Bau gab es hemmende Zwischenfälle und unvorhergesehene Hindernisse .So mußte das Fundament bis 50 Meter tief in den alten Festungsgraben eingelassen werden. Das vom Stadtbauamt viel zu spät festgesetzte Straßenniveau war einen Meter höher als vor Beginn der Arbeiten am Fundament, wodurch ein irreparabler Schönheitsfehler entstand, der von Architekturkundigen auch heute noch sofort bemerkt wird: das Gebäude der Staatsoper „sitzt zu tief“, was, neben vielen anderen Details, Stoff für Pamphlete, Glossen und Angriffe aus dem Kollegenkreis der beiden Architekten, eines Großteils der Presse und auch der Öffentlichkeit darbot. Auch mit den Dimensionen und der Akustik des neuen Hauses hat sich das Publikum erst allmählich angefreundet.

Die Eröffnung am 25. Mai 1869 um 7 Uhr abends war zwar festlich und erfolgte im Beisein des Kaisers, des Hofstaates und zahlreicher prominenter Gäste aus dem Ausland (die Kaiserin war nicht zu sehen), ging aber nicht ohne Pannen vonstatten. Der von Dingelstedt verfaßte Prolog, von Charlotte Wolter gesprochen, war von der Zensur so rigoros gekürzt worden, daß Experten von einer Verstümmelung sprachen. Die Wandeldekoration mit Bildern der im Bau befindlichen und geplanten Monumentalbauten der Ringstraße, die zu dem festlichen Anlaß vorbereitet worden war, wurde nicht ge

zeigt Nach der Haydn-Hymne ging „Don Juan“ („Don Giovanni“ von Mozart) in Starbesetzung über die Bühne. Die Bühnenbilder von Anton Brioschi und Franz Gaus erhielten Szenenbeifall. Die Titelpartie sang Beck, die Donna Anna die Dustmann, Leporello — Rokitansky, Elvira — Maria Wilt, Ottavio — Gustav Walter. Eine Loge kostete 100 Gulden, ein Platz in der ersten Reihe des Parketts 25, die billigsten Plätze

1 Gulden (nach dem heutigen Kaufwert etwa 100 Schilling). Die Aufführung am zweiten Abend mit einer ebenso glanzvollen Doppelbesetzung (Bignio, Maria Wilt, Amalia Materna, Berta Ehn und andere) war halb leer. Erst der folgende Ballettabend mit „Sardanapal“ und die darauffolgende „Zauberflöte“ mit „modernen“ Dekorationen Josef Hoffmanns war wieder gut besucht. Der musikalische Leiter der Festabende, der Hausdirigent Proch, ist auf den Programmen nicht namentlich genannt.

Hundert Jahre nach der festlichen Eröffnung des neuen Hauses am Ring begeht die Wiener Staatsoper am 25. und 26. Mai 1969 ihr Jubiläum. Die Planung und Durchführung dieses Festes und der darauffolgenden Opemfestwochen bis Ende Juni liegt in den Händen von Hofrat Heinrich Reif-Gintl, der nach dem plötzlichen Tod von Dr. Egon Hilbert am 18. Jänner 1968 mit der Direktion des Hauses beauftragt wurde. Bereits am Vormittag des 25. Mai wird eine Aufführung der „Missa Solemnis“ unter Leonard Bernstein stattfinden, am Abend dirigiert Karl Böhm den „Fidelio“, und für den 26. Mai ist „Don Giovanni“ unter Josef Krips geplant. Im Lauf von acht Wochen, vom 2. Mai bis Ende Juni, soll ein Überblick über das derzeitige Staatsopem- repertoire in hervorragender Besetzung geboten werden. Der Spielplan umfaßt: einen Mozart-Zyklus mit fünf Opern, neun Werke Wag

ners, acht Opern Verdis, sieben Werke von Richard Strauss und zehn Beiträge des 20. Jahrhunderts, darunter „Palestrina“, „Jenufa“, „Pel- leas und Melisande“, „Wozzeck“ „Lulu“, „Katerina Ismailowa“, „Dantons Tod“ sowie einen Ballettabend mit Werken von Ravel und Strawinsky. Vier repräsentative Opern der Weltliteratur sollen die Zyklen ergänzen: „L'Incoronatione di Pop- pea“ von Monteverdi, „Fidelio“,

„Carmen“ und die „Verkaufte Braut“. Einige dieser Neueinstudierungen werden wir schon vor dem Opernfest sehen: den neuen Ballettabend im Oktober, „Lulu“ in der zweiten Dezemberhälfte 1968, „Poppea“ An-

lang Februar, „Simone Boccanegra“ im März und „Arabella“ Ende April oder Anfang Mai 1969.

Diesem Programm liegt der Plan zugrunde, eine umfassende Übersicht über das gegenwärtige Repertoire zu geben und neben echten Neuinszenierungen. ältere Werke aufzufrischen und so repräsentativ wie möglich zu besetzen. Was in diesem Spielplan fehlt und vielleicht im Laufe des Jubiläumsjahres 1969 ergänzt werden kann, ist die interessante Pointe jenes Werks, das nicht nur die Opernhabitues und das Stammmpublikum, sondern auch die nach etwas Neuem oder Unbekanntem Verlangenden, nicht zuletzt die internationale Fachkritik, anlocken könnte.

Ein solches Werk wäre vielleicht die von Gustav Mahler vollendete und instrumentierte komische Oper „Die drei Pintos“, die Karl Maria von Weber als Fragment hinterließ. (Mahler hat ja auch während seiner Wiener Zeit „Euryanthe“ und „Oberon“ neu bearbeitet.)

Ein Werk des modernen Musiktheaters, das sich speziell für diesen festlichen Anlaß eignen würde, wäre die Oper „Maximillien“ von Darius Milhaud nach dem Drama von Franz Werfel „Juarez und Maximilian“, also ein Stoff aus der österreichischen Geschichte, von einem österreichischen Dichter zum Drama geformt. Die Aufführung der Oper „Karl V.“ von Ernst Krenek, zu Beginn der dreißiger Jahre von Clemens Krauss für die Wiener Staatsoper bestellt, aber hier nie gezeigt, wäre, trotz ihrer Schwierigkeit, eine Ehrenpflicht.

Da die Wiener Staatsoper nicht nur von den Wienern, sondern von den Steuergeldern aller Bunddesbürger finanziert wird, wäre ernsthaft zu überlegen, ob, wie bisher, an diesem ausgedehnten Opernfest nur die Wiener und einige Tausend zahlungskräftige Fremde teilnehmen sollen. Vielleicht ließe sich über mehrere große Organisationen, Lehrer- und Schülerverbände, ÖAAB und Gewerkschaft ein Weg finden, damit jedem der neun Bundesländer für je einen Abend primo loco das Opernhaus zur Verfügung gestellt wird. Das würde eine Verankerung der Staatsoper anläßlich des Jubiläums in breiten Kreisen und bei jenen vielen einzelnen bedeuten, für die sie nur ein Mythos ist.

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