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DAS SCHLOSS AM MEER

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Nicht im Brennpunkt der Geschichte, an ihrem Rande bloß, aber um so gewaltsamer und verschlungener, war stets das politisch-kriegerische und kulturell-wirtschaftliche Geschehen in jenem Wetterwinkel der oberen Adria, an den Küsten Istriens um Triest bis über Aquileja-Grado nach Venedig. Im Zeichen der Expansions- und Security-Kämpfe der „Serenissima” Dogenrepublik von Venedig mit diesen Küstenorten und deren Anrainern im unmittelbaren Hinterland hatte sich Triest- Tergeste trotz schwankenden Kriegsglücks um die Wende des 13. Jahrhunderts als ein Bollwerk der Freiheit, im Gegensatz zum nahen Muggia und Capodistria, erwiesen, die beide venezianische Stützpunkte wurden. Der „Libero Comune įtaiko” Triests stützte sich in seinen Selbsterhaltungskämpfen auf das nahe Friaul, vor allem im Guerillakrieg gegen die Schloßherrn von Duino als Verbündete des Herzogtums Kärnten. Die aufstrebende Macht des Patriarchates von Aquileja war ein weiterer wesentlicher Faktor in diesem Spannungsfeld.

Duino, dies „Schloß am Meere”, hochaufragend auf einem Felsendach über einer blauleuchtenden Meeresbucht, mit ihrem „Sasso di Dante” genannten bizarren Felsenriff — der Ghibelline soll anläßlich eines Besuches bei Pagano della Torre, dem Patriarchen von Aquileja, auch in Duino verweilt haben — war vorgesehen, ein Mahnmal menschlich-geistiger Kultur, ein Ort der Begegnungen am Ausgang der Sternstundenzeit Europas um die Wende des 19. Jahrhunderts zu sein. Im Mittelalter soll sogar Kaiser Friedrich III., dem Duino damals gehörte, hier zwei Dichter mit dem Lorbeer gekrönt haben. Der heilige Fluß Timavo, mit feinem fast legendären, bald unter-, bald oberirdischem Lauf durch den grimmigen Karst, einst besungen von Virgil und Plinius, scheint in seiner weiten idyllischen Mündung nächst Duino zu dessen nährender Ader geworden.

Herren auf Duino waren die della Torre-Thurn-Valsassina. Raimondo della Torre, seine Gemahlin eine Brigido, hatte drei Töchter — Polissena, Raimondina und Teresa. Letztere ehelichte einen Prinzen Hohenlohe. Dieser Ehe entstammten mehrere Kinder, darunter Fritz von Hohenlohe und Maria, die spätere Fürstin von Thum und Taxis, als Erbin des Schlosses Duino in Venedig aufgewachsen. Ihr Bruder Fritz lebte in dem zierlichroten Palazzo des Canal Grande, „Casa Rossa” genannt, der später von Gabriele D’Annunzio bewohnt wurde. Seltsame Fügung — die italienische Benennung „di Torre e Tasso” verweist auf die einstigen Schloßherren von Duino zurück.

Fürstin Marie von Thum und Taxis, eine hochgebildete, geistig-frauliche Persönlichkeit, befreundet mit Hofmannsthal und Kassner, war wie prädestiniert, dem ewig von vielseitiger Unrast getriebenen, die Stunden schöpferischer Sammlung suchenden Rainer Maria Rilke eine mütterlich besorgte und verständnis- ipnige Freundin zu sein. Ihr üb - 17 .Jahre sich hinziehender (Briefwechsel mit den Dichter’ides..idÄlte,Laurid6.Brigge” ist ein bKulterdökument einer dahingegangenjjn £eit,.,der ein heute fast spielerisch anmutendes, großzügig-eigenwillig waltendes geistiges Geben und Nehmen selbstverständlich zu sein schien. Der materiell-kulturelle Hintergrund, auf den bezogen sich alles abspielte, bot aus Übervollem das Seine an Schönheit und Ein- • maligkeit des Erlebens. Diese Freundschaft, die vielleicht nur in der Beziehung Rilkes zu Frau Nanny Wunderly-Volkart ein Seitenstück gefunden hat, nahm einen wohl außergewöhnlichen Anfang: Fürstin Marie lernte Rilke bei seinem ersten Teebesuch in Paris (1909) kennen, zu dem auch die Comtesse de Noailles, begierig, den Dichter zu sehen, geladen war. Diese bekannte Episode offenbarte wohl die menschliche Ungeborgenheit des Verfassers der „Bücher einer Liebenden”, der seiner romantisch temperamentvollen Kollegin zunächst gänzlich fassungslos gegenüberstand und später erklärte, er habe sie nicht Wiedersehen wollen, denn er wäre daran zugrunde gegangen. In ihren Erinnerungen schreibt die Fürstin Taxis dann über Rilke: „Ein entzückendes Kind, in dieser weiten Welt ein wenig verlassen, der Erde und den Sternen viel näher als den Menschen, von denen er sich instinktiv zu fürchten schien.”

Diesen „traumhaften Ort - eine Art heroischer Landschaft”, wie die Fürstin Schloß Duino bezeichnete, lernte Rilke zum erstenmal im April des Jahres 1910 kennen. Darüber äußerte er sich kurz nach seinem Besuch auf Duino, von Venedig aus:

„Car /a parole ėst touįours reprimėe, ąuand le sujet sur- monte le disant.” (Denn das Wort bleibt weit zurück, wenn der Gegenstand den Aussagenden übersteigt.) Dies gilt für Venedig, wie es ganz und gar für Duino galt. Wirklich, von einem zum anderen kommend, bleibt man im Wunder, vom Sagen, Beschreiben ist gar keine Rede.”

Und später, als ein längerer, einsamer Aufenthalt dem Dichter der Elegien winkte, meinte Rilke: •

„Ich begreife im Leben der Götter nichts so sehr als den Moment, da sie sich entziehen; was wäre ein Gott ohne die Wolke … ? Duino ist die Wolke meines Wesens …”

Die Lage dieses Schlosses an der Adria läßt sich auch kaum schijdern. Links von dem in den Azur des Meeres und des Himmels hineinragenden Schloß, mit seinem römischen Eckturm: Triest, Schloß Miramare und die istrischen Berge; rechts die Lagunen von Aquileja und Grado, mit der Wallfahrtsinsel Barbana. Im Rücken die Karsthügel und welligen Dolinen. Das Ganze in eine märchenhaft blühende Vegetation duftender Irideen und Rosen getaucht, untermischt vom Salzgeruch der Meereswogen. Eine weite Terrasse, die Plattform eines der Befestigungstürme gegen das Meer, bildet einen viereckigen Platz mit steinerner Brüstung, auf dem eine verwirrende Vielfalt von Blumen und Gewächsen gedeiht, umrahmt von uraltem, üppig wucherndem Efeu. In der Mitte’ein rosafarbener Marmorbrunnen aus Venedig, mit immerblühenden Monatsrosen, einst zu Ehren D’Annunzios gepflanzt.

Schon dieser erste Aufenthalt Rilkes stand im Zeichen geistiger und menschlicher Harmonie, in der Gesellschaft Rudolf Kassners und Geheimrat Bodes. Bei einem Ausflug nach dem unweiten Capodistria erzählte Rilke von seinem Erlebnis Rußlands. Fürstin Taxis schrieb:

„Mir schien, als hätten wir uns schon von jeher gekannt, nichts Fremdes stand zwischen uns — bis auf das Fine, das Magische, das ich so intensiv bei niemandem gefunden habe.”

Rilke hegte damals die Absicht, über das schicksalsreiche Leben Carlo Zenos, eines venezianischen Admirals aus dem 14. Jahrhundert, ein Buch zu schreiben, weshalb er sich eif- rigst mit Archivstudien in Venedig befaßte.

Der zweite, folgenreichere Aufenthalt Rilkes in Duino — vom Herbst und Winter 1911 bis zum April 1912 — ergab sich nach seiner vom Mißgeschick gezeichneten Reise nach Ägypten und einem Besuche auf dem böhmischen Besitz der Thum und Taxis in Lautschin. Duino beschäftigte den „Serafico” — wie Fürstin Taxis Rilke nunmehr nannte, während Kassner als „il dottor mistico” aufscheint — mehr denn je. Er wollte sich dorthin flüchten. So heißt es im „Briefwechsel”: „Tausend Pläne entwarf er für die Zeit, die wir dort zusammen verbringen wollten.” Rilke traf im Herbst auf Schloß Duino ein, nach einer Autofahrt, allein mit dem Chauffeur der Fürstin, durch die Provence und Norditalien. Neben anderen ausgewählten Gästen fand Rilke wieder Kassner vor und den Engländer Horatio Brown, mit dem Rilke sich bald gut verstand. Das wohlbekannte „Quartetto Triestino” war oft im Schloß zum Gastspiel eingeladen: auf der akustisch ausgezeichneten Terrasse erklangen Beethoven und Mozart, während unterhalb in der Meeresbucht Fischersleute auf ihren schaukelnden Booten den Klängen mitlauschten.

Das mit intim-persönlichcm Geschmack kunstgeschmückte, trotzdem aber gemütlich-idyllische kleine Boudoir der Fürstin wurde so recht zum Lieblingswinkel und Zufluchtsort des „Dottor Serafico”. Hier plauderten die Fürstin und ihr Sorgenkind stundenlang, hier versuchten sich beide an einer deutschen Übertragung von Dantes „Vita Nuova”, wobei ein gewisses Fauteuil als notwendiges Arbeitsrequisit Rilkes eine Rolle spielte. Besonderen, fast kindlichen Gefallen fand der Serafico darin, im ganzen Schloß de fond en comble in alten Truhen, Kästen und Schubladen herumzukramen und besonders liebenswerte, gefälligschöne, oft ganz schlichte Dinge in einer bevorzugten Glasvitrine zusammenzustellen. Selbst das zweite Gesicht, die vierte Dimension kam in das rein Dichterische übersteigenden visionären Erlebnissen des zutiefst Erschauten zu ihrem Recht, wie etwa jenes Sicheins-Fühlen mit einem alten Ölbaum, als „stünde er in einem anderen Leben, in einer längst vergangenen Zeit.”

Die burgartige Feste Duino schien der gebotene Zufluchtsort innerster Sammlung. Vom Dezember an, über die Weihnacht und Neujahr, war der Serafico wirklich allein und wollte zur Bestürzung der anwesenden dienenden Hausgeister nicht betreut werden. Hier schuf Rilke auch am „Marien-Leben”, das er leider als ein Nebenwerk ansah. Mitte Jänner kam es ganz gewaltig über ihn. „Die Nachtigall nähere sich”, hafte der Serafico in einefci seiner Briefe zaghaft angespielt. Der 15. Jänner war einer jener Tage, da der umbarmherzige Borawind sich wild austobte, über dem leuchtenden Meer. Rilke war zu den Bastionen hinuntergestiegen, zu denen ein schmaler Steg am Fuße des Schlosses führte. Dort falleti ‘.die Felsdii ih steilen Abstürzen zum Meer -herab. Ganz in Gedanken versunken ging der Dichter dort auf und ab, an die Antwort auf einen lästigen Geschäftsbrief denkend. Doch auf einmal, inmitten seines Grübelns, verharrte der Serafico: ihm war, als ob im Brausen des Sturmes eine Stimme ihm Zurufen wollte: „Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?” — Noch am gleichen Abend war die ganze erste Elegie niedergeschrieben. Bald darauf folgte die zweite, jene der Engel. Allein erst zehn Jahre später waren die „Duineser Elegien” vollendet, der Fürstin Marie zugehörend; die beiden ersten auch von ihr ins Italienische übertragen.

Duino weist nach Venedig — und weiterhin auf Rilkes so ersehnte Reise nach Spanien, sein Spanien mit Toledo als Strahlungszentrum innerlichster vorausgeahnter Wesensschau. Des Serafico Winter- und Frühjahrsklausur auf Duino wäre unvollkommen gesehen, ohne Erwähnung seines anschließenden Venediger Aufenthaltes. Nachdem er einige Zeit auf den — fast möchte man versucht sein, zu sagen „Schwabing”-artigen „Zattere”, jenen Fondamenta zwischen dem Canal Grande und der Insel Giudecca, mit ihrer von der Kunstakademie und Architektenschule bedingten Atmosphäre, im Hause Ponte Calcina 775 verbracht, wußte sich unser Serafico im traulichen „Mezza” (Mezzanin) des Palazzo Valmarana in San Vio, ebenfalls innerhalb der Bannmeile der Zattere, das sich die Fürstin Taxis für ihre häufigen venezianischen Sėjours in beschaulicher Behaglichkeit eingerichtet, häuslich einzunisten — einzig gestört durch das wilde Treiben und Geschrei der Gassenbuben Venedigs.

ln diese Wochen zum Teil verdrießlich-lustlosen Dahinvege- tierens im Zeichen venezianischer Lässigkeit sciroccaler Observanz fällt eine bezeichnende Episode, die augenscheinlich werden läßt, mit welch oft an Selbstpreisgabe grenzender Einfühlung und welchem Verantwortungsbewußtsein Rilke gewissen Menschen gegenüber zu fühlen vermochte und handeln zu müssen glaubte. Es war im Juli 1912. Rilke hatte die große, unvergeßliche Duse in Berlin gesehen und sie kennenzulernen leidenschaftlich gewünscht. Auf Duino, wo neben D’Annunzio auch die Duse gelegentlich gewesen, war es ihm nicht beschieden, mit ihr zusammenzutreffen — dafür in Venedig — und unter welch außergewöhnlichen besonderen Umständen: Zwei gewiß nicht Unschwierige trafen sich im gleichen Element, wenn auch von verschiedenen Ufern aus kommend. Sie sahen sich oftmals, teils im Hause Valmarana, teils in der Behausung der Duse.

„Die.Huse, daß-ick bei ihr wau.sie bei .mir, können Sie oS Sich varftßllen, wir waren ,wi zyeU.,die in eftifiw- altfimM-yfter zur Handlung kommen, sprachen, wie im Auftrag einer Legende. — Wir waren wie zwei Schalen und bildeten übereinander eine Fontäne — und doch war’s kaum zu verhüten, daß wir uns irgendwie über die Herrlichkeit verständigten. — Feig wie ich jetzt bin, wagte ich kaum, sie anzusehen — die Furcht, eine Entstellung zu sehen oder einfach etwas, das nicht mehr da ist, hat Schuld, daß ich fast nur den Mund erinnere, diesen schweren Mund. Und das Lächeln freilich, sicher eines der berühmtesten, die je gelächelt worden sind. — Erschütternder beinah als das Ereignis selbst, war für mich die Tatsache, daß es ohne mein Zutun zu dieser Begegnung kam …”

Durch das Dazukommen Allessandro Moissis wurde es zu einem Trio, dessen Orgelpunkt ins Wanken zu kommen drohte:

„Eben traf Moissi bei mir ein, von der Duse kommend — er stürzte, drang, brach herein. — Mein Gott, wie ist er Akteur geworden; ich sah ihn bald darauf neben der Duse, wir standen am Fenster, sie kam vorbei mit ihrer Freundin Mme. Poletti, wir stiegen zu ihr in die Gondel und fuhren langsam auf den Lido zu. — Später setzten wir Moisst ab, aber wir blieben beisammen, ich aß bei ihnen in dem Haus auf den Zattere, es war vertraut voller Freundschaft und wieder kam lauter Bedeutung aus dem Einfachsten. … Und die Welt ist so anders als Moissi.”

Mme. Poletti schrieb an einem Stück für die Duse, um ihr wieder die Bühnen zu erschließen, doch war zwischen der Älteren und der noch Jugendlichen eine Freundschaft gediehen, die zur Krise drängte. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, in die unser Serafico sich hineinziehen ließ: „Aber ich bin ganz voll einer Sache — ich sehe die Duse viel… und freundschaftlich — sie behauptet, ich wäre im Augenblick eine Art Beistand für sie — sehend, daß sie’s nötig hat, tu ich alles, es wenigstens im Geringsten zu sein, wunderlich vorbereitet, das, was sie durchmacht, einzusehen, fast vorauszuwissen. — Vorwurf und Bitterkeit, Wehmut und Ohnmacht ist immer mehr zwischen den Beiden.”

Rilke kehrte öfters noch in Schloß Duino zu. So auch im April 1914. Zum letzten Mal. Auch Kassner und H. Brown waren da. Die herrschende Grundstimmung gibt Kassner ahnend wieder:

„Die Menschen haben damals vielfach in einem Taumel gelebt, besinnungslos. Ich möchte dafür aber nicht den Ausdruck Talleyrands gebrauchen von der ,douceur de vivre’, die dem Weltkrieg vorausgegangen wäre. — Vom Anfang des 20. Jahrhunderts an, das den Motor brachte, gerät der europäische Mensch immer entschiedener ins Maßlose. — Es war ein großer Sijom, damals in Duino. Man kam von überall, aus Venedig, Wien, Berlin, England. — Ihm vorangegangen ist ein kurzer Besuch Lord Kitcheners, der, aus Ägypten kommend, in Triest gelandet war. Den Sijom gewissermaßen beschlossen hat dann später ein Besuch des Erzherzogs Franz Ferdinand, kurz vor seiner Fahrt nach Sarajewo, Ihm zu Ehren wurde ein Taubenschießen vom Dantefeisen aus veranstaltet. Zwei Menschen der Gewalt und des gewaltsamsten Endes… Beide werden auf der Terrasse des Schlosses gestanden sein und werden wohl mit verschiedenen, ja entgegengesetzten Gefühlen zur nahen italienischen Grenze hingeblickt haben.”

Die Briefstellen sind dem Bande ,.Rainer M. Rilke und Marie v. TUurn und Taxis”, Nieltans und Rokitansky Verlag, Zürich, und im hisel-Verlag, entnommen.

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