6593070-1952_39_06.jpg
Digital In Arbeit

Das singende Volk

Werbung
Werbung
Werbung

Die musikalische Gestaltung der Gottesdienste des österreichischen Katholikentags ergibt in zusammenfassender Rückschau ein interessantes Korrektiv landläufiger Meinungen über Kirchenmusik und damit einen entscheidenden Wegweiser der Entwicklung. Man hat bei den Hauptgottesdiensten auf künstlerische Mitwirkung verzichtet und das Volk selbst singen lassen; mit Recht, nicht nur im Sinne seiner aktiven Teilnahme, sondern auch seiner Singfreude, Denn das Volk Österreichs sang Betsingmesse und Choralamt mit aus dem Herzen kommender Beteiligung — und korrigierte dabei die irrige Meinung, daß es für den gregorianischen Choral nicht reif sei. Unvorbereitet, improvisiert, erreichte das Choralamt im Stephansdom dennoch eine Schönheit und transzendente Wirkung des Gesanges, die auch berufenen Kirchenmusikern überraschend gewesen sein dürfte und an seelischer Stärke und Gebetskraft den deutschen Gesang bei der Betsingmesse am Heldenplatz noch übertraf. Ist aber der Choralgesang unseres Volkes eine von selbst gereifte Frucht, wie würde erst die Ernte sein, wenn man den Garten pflegte, wie es das „Motu proprio" seit einem halben Jahrhundert ausdrücklich verlangt!

Die mehrstimmige Kunst der Kirchenmusik kam „zum Zuge mit Anton Bruckners Messe ind-moll (mit dreiviertelstündiger Predigt zwischen Evangelium und Credo) sowie mit dem Requiem und einer Vesper von Mozart. (Wiener Domchor unter Domkapellmeister Anton Wesely.) Es war jene wahre Kunst in Werk und Wiedergabe, die von der Kirche für die Kirchenmusik gefordert wird und die sich wesentlich von „Produktion" unterscheidet, wovon sich jeder überzeugen konnte, der nur wollte. Bedauerlich war das Fehlen der im Motu proprio besonders empfohlenen a-cappella-Polyphonie, der am ehesten das von Karl Walter für den Katholikentag komponierte deutsche Proprium zur Betsingmesse nahekam. Gediegene Satzkunst und plastische Führung der Stimmen unter Verwendung der Melodie des Liedes „Hedges Kreuz, sei hoch verehret“ sind ebenso hervorzuheben wie die Schwerverständlichkeit des (deutschen) Textes im polyphonen Gewebe.

Als besonderes kirchenmusikalisches Ereignis muß in diesem Zusammenhang die von der Diözesankommission für Kirchenmusik in Wien veranstaltete, von Univ.-Prof. Dr. Leopold Nowak aufgebaute Ausstellung „Österreichische Kirchenmusik seit 19 45" gewürdigt werden, in der auf kleinstem Raum die sakralmusischen Leistungen des neuen Österreich erstmalig zusammengetragen sind. Komponisten, Editeure, Orgelbauer, Glockengießer, Rundfunk, Technik und graphische Kunst zeigen hier in aller Bescheidenheit eine reiche Fülle religiösen Wirkens und Schaffens, die mehr sagt als Worte vermögen. Das Andenken an den größten Meister neuer österreichischer Kirchenmusik, den uns so früh entrissenen Joseph Lechthaler, wurde in stiller Verehrung in den Mittelpunkt der Schau gestellt.

Von außerliturgischen Feiern erzielte ein

geistliches Konzert mit Beethovens „Missa solemnis durch die tief religiöse Interpretation des Dirigenten Anton Heiller stärksten Eindruck, wie er in nur konzertanter Wiedergabe allein kaum zu erreichen ist, obwohl Heillers künstlerische Intentionen in der einzigen Probe, die ihm zur Verfügung stand, nicht voll entfaltet werden konnten, — Die Staatsoper stellte zwei Abende in den Rahmen des Katholikentags: Honeggers „Johanna auf dem Scheiterhaufen unter Clemens Krauß in glänzender, besonders formal vollendeter Wieder? gäbe, der die Verschmelzung der heterogenen Stilelemente des Werkes vorbildlich gelang, die aber den geistigen Aufschwung der seinerzeitigen oratorischen Aufführungen nicht erreichte — und Pfitzners „Palestrina", zu dessen Wahl wohl das kirchenmusikalische Thema locken mochte, dessen Titelheld auch in Julius Patzak einen idealen Darsteller besaß; als Festvorstellung des Katholikentages aber kann die Oper wegen ihres zweiten Akts nicht gerade als sehr passend bezeichnet werden.

Das musikalische Erlebnis dieser festlichen Tage kam weder vom Konzert noch vom Theater; es kam von der Kirche, und zwar von der liturgischen Feier; es kam vom singenden Volk und vom unsterblichen Kunstwerk gottesdienstlicher Musik, mit der das betende Volk ebenso verbunden ist wie mit dem gregoria- nischenChoralunddemdeutschen Lied.

Set Svanholm

An den Fingern einer Hand kann man die zeitgenössischeai, wirklich guten Heldentenöre aufzählen. Unter diesen wiederum gibt es nicht mehr als zwei oder drei, die die überaus schwierige und anstrengendste Partie des Faches, den Tristan, voll bewältigen. (Es mag uns trösten, daß dies früher auch nicht anders war, wenn wir den bewegten Klagen der Dirigenten und Komponisten längst vergangener Zeiten Glauben schenken.) Set Svanholm ist einer von diesen wenigen. Seine Stimme ist schön, stark genug und gut geführt. Zwar entbehrt sie des orphischen Zaubers; aber er hat auch keinerlei Unarten oder ins Gewicht fallende technische Mängel, wenn wir von einzelnen zu tief angesetzten Tönen absehen. Svanholms Erscheinung kommt der idealen Vorstellung des Heldentenors, insbesondere des Wagner-Sängers, sehr nahe. Sein Spiel ist intelligent und von angenehmster Zurückhaltung. Neben ihm standen — in der bekannten Inszenierung von Josef Witt und unter der Leitung von C1 e- mens Krauß — Anni Konetzni-Wiedmann, Gottlob Frick, Paul Schöffler, Hans Braun und Elisabeth Höngen auf der Bühne. Durch Beschleunigung des Tempos war jeder der drei Akte um etwa zehn Minuten kürzer. Kleine Mängel in der Regie (Winken mit dem Schleier im zweiten und ungeschicktes Flan.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung