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Das Turiner Grabtuch doch echt?

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Nach einer ansehnlichen Reihe negativer Gutachten über die Echtheit des sogenannten Turiner Leichentuches Christi - ich nenne hier nur Kardinal Innitzer, P. Damasus Zähringer OSB., I. Blinz-ler, P. Gaechter $J. und verweise auf mein Referat in: „Die Zeit im Buch“, 6 (1952), Novemberheft, S. 22 ff. — hat sich nun durch die vorliegende Studie überraschenderweise gerade aus dem in der Frage bis jetzt sehr skeptischen deutschen Sprachraum eine Stimme für die Echtheit dieser eigenartigen Reliquie erhoben.

Um es gleich vorwegzunehmen: die Methode, wie Bulst an das ebenso heißumstrittene wie schwierige Problem herantritt, ist im Gegensatz zu Hynek u. a. durchaus solid und vertrauenerweckend. Er gibt zum Beispiel offen zu, daß das mehr als tausendjährige Stillschweigen der Geschichte über das Grabtuch für die Verteidiger seiner Echtheit „wenig ermutigend“ ist (S. 15). Das gleiche gilt natürlich von der Tatsache, daß bereits 1390, also bald nach dem Auftauchen dieser angeblichen Reliquie, (der in Avignon residierende) Klemens VII. das Grabtuch für unecht erklärte. Noch- 1902 antwortete die römische Kongregation auf die Anfrage bezüglich der Echtheit des Tuches: non sustinetur. Aus diesen und ähnlichen Tatsachen zieht Bulst den einzig richtigen Schluß: „Ein im engeren Sinn historischer Beweis für die Echtheit des Turiner Grabtuches läßt sich nicht erbringen“ (S. 22).

Damit wird für viele gebildete Katholiken das Problem eigentlich erledigt sein, mindestens solange man nicht frühere Zeugnisse für die Existenz bzw. Verehrung dieses Tuches findet (wie dies etwa E. Wünschel CSSR. von den amerikanischen Gelehrten, welche seit 1950 die zum Teil noch unerforschten Handschriftenbestände des Sinaiklosters untersuchen, erhofft). Aber bei der letzten öffentlichen Ausstellung der Reliquie (1931) wurden sehr genaue photographische Aufnahmen gemacht, aus denen eindeutig hervorzugehen scheint, daß ein gegeißelter, mit Dornen gekrönter und gekreuzigter Mann in dieses (4,36 X 1,10 m) große Tuch vorsichtig eingehüllt worden war, auch die Spuren des Lanzenstiches sind zu sehen usw. Konnte ein „Fälscher“ im Mittelalter ein solches „Negativbild“ mit den damaligen Mitteln wirklich herstellen? J. Blinzler, „Das Turiner Grablinnen und die Wissenschaft“ (1952), S. 28 ff., bejaht dies unbedingt, gestützt nicht nur auf das Gutachten eines Fachmannes wie losef Braun SJ., sondern auch auf das sehr verblüffende Ergebnis, zu dem Prof. Clement (f 1939), ein vorzüglicher Kenner mittelalterlicher Malerei und Restaurator alter Wandgemälde in Paris, gelangte, als er mit Hilfe einer Büste, die er mit in Wasser gelöster Aloe bestrichen hatte, auch einen Negativabdruck herstellen konnte, ganz ähnlich dem des Turiner Leichentuches. Bulst dagegen betont, daß eine völlig unbekleidete lebensgroße Christusstatue im 14. Jahrhundert, wie sie das Turirier Tuch voraussetzt, „kunstgeschichtlich einfach undenkbar ist“ (S. 36). Bei dem „bekannten Mangel an historischem Sinn im Mittelalter“ (S. 37) sei es auch wenig wahrscheinlich, daß ein französischer Künstler damals orientalische, ja vielleicht sogar antike Leinwand verwendet hätte usw. (Aber haben nicht die Kreuzzüge viele neue Linien zwischen Orient und Abendland gezogen?)

Wichtiger als all diese historischen Detailfragen, denen doch keine entscheidende Bedeutung zukommen dürfte, sind und bleiben die exegetischen Schwierigkeiten gegen die Echtheit des Turiner Tuches. Bulst wiederholt die bereits bekannte These R. W. Hyneks u. a., daß der Gekreuzigte „nicht gewaschen und nicht bekleidet“ und daher „offenbar in großer Eile“ bestattet wurde (S. 93). Gegen ersteres spricht allerdings Johannes 19, 40, wonach Jesus nach jüdischem Brauche bestattet wurde, und dazu gehört vor allem das Waschen des Leichnams (vgl Apg. 9, 37, nach der Mischna, Schabb. 23, 5, ist dies sogar am Sabbat erlaubt I), um so mehr, wenn er mit Blut, Schweiß und Staub bedeckt war. Auch die „große Eile“ muß man nicht übertreiben, losef von Arimathäa und Nikodemus wußten seit ungefähr elf Uhr vormittag, daß lesus zum Tod verurteilt bzw. bereits gekreuzigt ist, hatten also fast sechs Stunden Zeit, die 100 Pfund (etwa 33 kg) Myrrhe und Aloe sowie die Linnenstreifen usw. durch ihre Diener besorgen zu lassen (vgl. lohannes 19, 40), so daß praktisch alles schon bereitstand, als dann der Leichnam Jesu von Pilatus freigegeben wurde (vgl. dazu jetzt Näheres bei P. Gaechter, Zum Begräbnis lesu, in ZKTh. 75 [1953], S. 220 bis 225). Das Waschen des Leichnams kann unter diesen Umständen kaum ein besonderes Zeitproblem gewesen sein. Damit fällt aber die ganze Hypothese von der Echtheit des Tuches von der exegetischen Seite her.

Momentan läßt sich auch vom medizinisch-chemischen Standpunkt aus noch kein abschließendes Urteil fällen, das gibt Bulst indirekt selbst zu, denn er bedauert es wiederholt (vgl. S. 69, 128), daß eine genauere Untersuchung des Grablinnens selbst bis jetzt nicht erlaubt wurde. Mit Photos, und wären sie noch so gut, kann man hier unmöglich das Auslangen finden. Wer sich auch dem Endergebnis der Untersuchung nicht anzuschließen vermag, wird aus den zahlreichen photographischen Beilagen, dem umfassenden Literaturverzeichnis und der vornehmruhigen Art des Verfassers, sich . mit gegenteiligen Ansichten in dieser Frage auseinanderzusetzen, reichen Gewinn schöpfen.

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