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Das Werden der neuen Türkei

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Der Wiener Professor für Turkologie und Islamik versuchte mit dieser Arbeit eine Einführung in das Verständnis jener großen Krisen Zu geben, durch deren erfolgreiche Überwindung die Türkei zu ihrer heutigen Gestalt gelangte. Es sind zwei Fragen, die beantwortet werden sollen: Wie ist die Türkei das geworden, was sie bis 1918 gewesen ist, und wie wurde sie das, was sie heute ist. Es handelt sich bei diesen Vorgängen um innere und äußere Veränderungen, die ein Volk von Grund aus verwandelten und zu den interessantesten geistesgeschichtlichen Phänomenen gehören, die es überhaupt in der Neuzeit gibt. Der Übergang von einem Völkerstaat zu einem in sich geschlossenen und in dieser Geschlossenheit zu neuer Kraftentfaltung aufsteigenden Nationalstaat, der zu einem neuen Bewußtsein seiner geschichtlichen Existenz gelangt ist, das bedeutsame und oft so wenig und unrichtig eingeschätzte Problem der Brückenstellung der Türkei zwischen Europa und Asien, das sich zu einem Kulturproblem ersten Ranges entwickelte — das sind Erscheinungen, die in die Tiefe der Erkenntnis allgemeiner volksgeschichtlicher und völkerpsychologischer Vorgänge führen, deren Aufdeckung keine geringen Anforderungen an das Wissen und Einfühlungsvermögen ihres Darstellers stellen. Der Verfasser, der selbst jahrelang in der Türkei lebte, hat diese schwierige Aufgabe in hervorragender Weise gemeistert und auf verhältnismäßig wenigen Seiten ein klares, verständliches und eindringliches Bild dieser Entwicklung und der ihr zugrunde liegenden politischen und geistigen Voraussetzungen entworfen. Es wird vor allem klar, welche einzigartige Leistung es war, ein verfallendes Staatswesen, das in den Strudel divergierender Interessen der Großmächte geraten war, aus dieser unheilvollen, die nationale Existenz bedrohenden Abhängigkeit loszulösen und sich politisch und kulturell auf eigene Füße zu stellen, und wie sich die schon längst vorhandenen nationalen Strömungen durch die gefährlichsten weltpolitischen Krisen der neuesten Zeit hindurchrangen und in der Verbindung ursprünglichen Wesens und europäischer Zivilisation in Form und Gestalt den modernen Staat entwickelten, der ein hohes Maß politischer, wirtschaftlicher und kultureller Unabhängigkeit besitzt und als Verbindungsglied zwischen Asien und Europa noch eine wichtige Rolle zu spielen berufen ist. Niemand hätte eine solche Entwicklung vorausgesehen, als der Friede von Sevres (1920) die Türkei auf ein kleines Territorium um Ankara beschränkte und es den Anschein hatte, als würde Kleinasien das Feld der Expansionsinteressen miteinander rivalisierender Großmächte werden, und daß sich gerade aus dieser drohenden Gefahr der Vernichtung der nationalen Existenz jene Kräfte des Widerstandes und des Neuaufbaues entwickeln würden, deren Entfaltung bis dahin durch eine mächtige traditionelle Gebundenheit und verhängnisvolle politische Abhängigkeit gehemmt waren, Kemal Atatürk und Inöni waren autoritäre Präsidenten. Es war nun einmal so, daß nur eine zielsichere Energie die Aufgabe vollbringen konnte, „ein in seiner Masse politisch noch durchaus ungeformtes Volk für den scharfen Existenzkampf in einer nüchternen und harten Gegenwart vorzubereiten”. Doch läßt Duda keinen Zwe’fel darüber, daß sowohl der betonte Nationalismus als die Einseitigkeit einer autoritären Regierung gewisse Gefahren in sich bergen und daß die politische Entwicklung noch nicht zur vollen Reife gelangt ist und daß der entscheidende Schritt zur westlichen Zivilisation erst dann getan sein wird, „wenn die Überzeugung sich gefestigt haben wird, daß es gut sei, auch den politischen Gegner zu hören und seine Meinung zu achten und zu berücksichtigen, wenn das Leben des Staates zur echten res publica, zur allgemeinen öffentlichen Angelegenheit geworden ist”

Die sehr verdienstvolle und instruktive Einführung in die vielen Europäern so schwerverständlichen Probleme des türkischen Reiches und besonders deren geistesgeschichtliche Fundierung verdient mit besonderem Interesse und Dank von allen Gebildeten zur Kenntnis genommen zu werden.

Friedliches Palästina. Reisebilder von Theodor F. Meysels. Albrecht-Dürer-Verlag, Wien. 159 Seiten.

In diesem Buch spiegelt sich jenes einzigartige Palästina, dessen Kenntnis im langjährigen Kampfesilärm fast verlorengegangen ist: das rätselreiche Grenzland zweier Kontinente, Schnittpunkt der ältesten menschlichen Kulturen, gemeinsamer geistiger Besitz dreier Weltreligio- nen — ein Land voll geheimnisvoller archäologischer Schätze und kulturhistorischer Seltsamkeiten. Gegensätze und Rätsel rundum, aber eingebunden in eine einzigartige Synthese durch Raum und Zeit. Wir wandern mit Meysels durch den Tunnel, den König Hiskla in grauer Vorzeit durch den Berg nächst Siloah hauen ließ, besuchen mit ihm Kreuzfahrerfeste, Basiliken und Festlichkeiten all der vielfältigen christlichorientalischen Riten, sehen abessinische Weihnachten wie jüdische Pessachfeste feiern, steigen in die uralte Schatzkammer der Grabeskirche zu Betlehem hinab, um dort die Krone der Kaiserin von Äthiopien zu sehen. Wir lernen die kommunalen Landgemeinschaften der Kabbutzim, der modernen jüdischen Ansiedler kennen und reiten mit dem Verfasser durch die Wüste zu den Ruinen von Askalon. In dieser Sammlung von 25 Berichten ist jedes einzelne der Bilder voll Bewegung, innerer Spannung und Einfühlung: Reportagen, die ins Herz der Dinge sehen, aufgebaut auf erstaunlich tiefer historischer und psychologischer Erkenntnis.

Grundlehren der Nationalökonomie. Von E. Böhler. Verlag A. Francke, Bern.

Das vorliegende Werk hat sich die Aufgabe gestellt, die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge in einer wertefreien Darstellung zu bringen. Durch Modellbildung, etwa einer idealtypischen freien Wirtschaft, steigt Böhler vom Elementaren zu komplizierten Organismen, dabei stets bemüht, ohne vofgefaßte Meinung an die Dinge heranzugehen. Derart gewinnen seine Formulierungen ein weites Maß an Wirklichkeitsnahe, und die Einheit von Theorie und Wirklichkeit wird in einem großen Umfang erreicht. In kühler Sachlichkeit behandelt der Verfasser das komplizierte Gebiet der Preisbildung ebenso instruktiv wie etwa das Organiations- problem der Marktwirtschaft. Ein Musterbeispiel an sachkundiger Darstellung ist die Kritik der Grenznutzenlehre, die an ihrem Wirklichkeitsgehalt und nicht an der Generallinie dogmatischer Lehrsätze gemessen wird. Im einzelnen behandelt Böhler die Organisation der Wirtschaft (Wirtschaftsorganisation, Marktwirtschaft, Unternehmung, Konkurrenz), den volkswirtschaftlichen Prozeß (Theorie der einfachen Wirtschaft, Theorie der Bedarfsdeckung) und die Probleme der volkswirtschaftlichen Dynamik. Eine mathematische Darstellung des Marktzusammenhanges ist angefügt. Das Werk ist eine mit Rücksicht auf das Fehlen moderner nationalöknomischer Literatur doppelt willkommene Ergänzung des wissenschaftlichen Schrifttums.

Rilke in Paris. Von Maurice Betz. Im Verlag der „Arche”, Zürich 1948.

Die Übersetzertätigkeit von Maurice Betz, der fast das gesamte Prosawerk und eine große Anzahl von Gedichten Rilkes ins Französische übertragen hat. ist für die Kenntnis und Verbreitung des Rilkeschen Werkes in Frankreich von entscheidender Bedeutung gewesen. In seinem 1937 in Paris erschienenen Buch „Rilke vivant” hat Betz seine Erinnerungen aufgezeichnet, deren Hauptteil das Werden der Übertragung der „Aufzeichnungen Malte Laurids Brig- ges” bildet. 1945 ist Maurice Betz gestorben, ohne sein Buch in der gewünschten Form bearbeitet zu haben. Diese Bearbeitung des Hauptteiles hat nun Willi Reich vorgenommen und zudem ein Kapitel von Betz mit Zeugnissen Rilkes über seine Pariser Aufenthalte vorangestellt. — In dieser Form bringt das Buch zahlreiche wenig bekannte, aber doch wohl nur für den Rilke-Spezialisten interessante Details. Aber es hat auch ein allgemeines Interesse. Es zeigt Rilke dort, wo er am größten war und vorbehaltlos anerkannt werden muß: bei der unerbittlich harten Arbeit am dichterischen Wort.

Musica orans. österreichische Fachzeitung für katholische Kirchenmusik. Eigentümer und Verleger: „Styria” Steirische Verlagsanstalt, Graz- Wien. Erscheint mit kirchlicher Druckerlaubnis.

Zu den Wiener „Chorblättern” und dem in Innsbruck erscheinenden „Alpenländischen Kirchenchor” gesellt sich nun in dieser Zweimonatsschrift ein drittes kirchenmusikalisches Organ; nicht aber konkurrierend, sondern ergänzend. Vermögen sie doch erst als Dreiklang die seit 1938 verstummte „Musioa Divina” zu ersetzen! Während die schlichten „Chorblätter” sich an jeden einzelnen Ktrchenmusiker wenden, der „Alpenländische Kirchenchor” den Chorleitern und Organisten Anregung und Aufschwung bietet und die Vergeistigung ihres Berufes anstrebt, stellt die „Musica orans” die wissenschaftliche Plattform für musikliturgische Auseinandersetzungen. Eine Anzahl führender Kirchenmusiker aus dem ganzen Bundesgebiet hat sich im Herausgeberkollegium zusammengetan, um das geistige Niveau und die religiös-musikalische Zielsetzung, eine Erneuerung der Kirchenmusik im gottesdienstlichen Geiste, zu betreuen. Bereits die erste, im September 1948 erschienene Nummer der „Musica orans” ist ein erfreulicher Beweis für die mutige Offenheit in der Kritik bestehender Unzukömmlichkeiten und der Forderung ihrer Korrektur im Sinne der päpstlichen Bullen. Aufsätze über kirchenmusikalische Denkmäler der Tonkunst in Österreich, Kultmusik und Musikkultur, Verlagswesen und anderes bringt die soeben erscheinende Novembernummer. Mit dem Wunsche nach strenger Treue zur wissenschaftlichen Höhe verbinden wir den einer weitesten Verbreitung des Blattes.

Laster und Askese. Von Heinrich Fichtenau. Verlag Herder, Wien 1948.

Geschichtsforschung, die diesen hohen Namen verdient, ist immer Erhellung der Gegenwart aus einer Beleuchtung (und, wenn möglich, Durchleuchtung) der Vergangenheit. Geschichte ist nun wesenhaft Geschichte des Menschen. Sehr sonderbar und erwägenswert die Tatsache, daß es fast völlig fehlt an einer historischen Anthropologie an einer Entwicklungsgeschichte des inneren Menschen, seiner Leiden und Leidenschaften, wie er im Konflikt zwischen Ich, Über- und Unter-Ich, Ich, Du und Es sich entfaltet. Hiezu bedarf es einer eigentümlichen Verbindung von Religionsgeschichte, Psychologie und sachfundierter Geschichtsforschung, die nur selten eine Personalunion in einer forschenden Persönlichkeit eingeht.

Der Wiener Historiker Heinrich Fichtenau, einem weiteren Publikum bekannt durch seine „Grundzüge der Geschichte des Mittelalters” (Wien 1947), hat nun bereits in seiner Arbeit „Mensch und Schrift im Mittelalter” (Wien 1946) hier neue Bahnen eröffnet. Sein neuestes Werk „Askese und Laster in der Anschauung des Mittelalters” (Herder, Wien 194 8) muß durchaus in dieser Perspektive gesehen werden. Der enge Titel darf nicht irreführen. Auf knappstem Raum wird hier ein Durchblick durch das innere Ringen des abendländischen Menschen im ersten Jahrtausend seiner neueren Geschichte erstellt. Ausgehend von der kritischen Sichtung zahlreicher moderner Fehlurteile wird Askese als „Training”, als Disziplinierung und Ordnung der barbarisch-chaotischen Triebmassen in der personalen Existenz des spätantiken, dann des germanischen Menschen des „Mittelalters” begriffen. — Ein weltgeschichtlicher Vorgang größten Ausmaßes: die Leistung noch der modernen Wissenschaft ruht auf der (später „innerweltlich” werdenden) geistlichweltlichen Selbstzucht, die von Paulus über östliche Mönchsväter, mittelalterliche Orden und Bußdisziplinen mannigfache formale Abwandlungen durchgemacht hat. Im Kampf gegen den „bösen Feind”, gegen Dämonen und Laster werden neue Frömmigkeitsstile, Epochen, geschmiedet. Im apokalyptischen Reigen wird das Hauptlaster der Römer, die Habgier, abgelöst zuerst von der Acedia, der düsteren Trockenheit der Seele — Ursünde des Mönchtums —, dann von der Superbia, Hoffart, Selbstsucht, Überheblichkeit der germanischen und feudalen Epochen unseres Kontinents. — Mitten im Ringen zwischen Zeit, Ideologie, religiöser und historischer Realität steht immer der Mensch — der konkrete individuale Mensch, im Fall und Aufstieg… Dieser lebendig und fesselnd geschriebene Essay ruft dringend nach Fortsetzung und weiterem Ausbau — in einem Werk, das Huizmga sr’-on vor 20 Jahren gefordert hat — in einer Geschichte Europas, als Geschichte seiner Todsünden.

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