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Das Werk des Vaters

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Erst sechs Jahrzehnte ist es her, seit es bekannt wurde, daß der geniale kaiserliche Hofarchitekt Johann Bernhard Fischer von Erlach in Graz das Licht der Welt erblickt hat. Vorher dachte man an Wien, Prag oder auch Salzburg. Ueberau hat er großräumige und großartige Bauten aufgeführt, die dem Stadtbilde erlesene Blickpunkte verleihen, jede in sich eine architektonische Großtat, die, an klassischen Vorbildern geschult, doch jedesmal eine eigenständige Imagination verwirklichte. Selbst internationale Kunstkenner billigen ihm den Rang und Ruhm des bedeutendsten Barockbaumeisters Oesterreichs zu.

Auch Dr. Albert Hg, dessen 1895 veröffentlichtes Werk „Die Fischer von Erlach“ noch heute die ergiebigste biographische Fundgrube für Johann Bernhard und Emanuel Fischer darstellt, begann seine Nachforschungen nach ihren Eltern und Ahnen in Prag. Dort hatte Johann Bernhard ab 1707 den berühmten Palast Clam-Gallas erbaut, dort hat allerdings später der Kaufmann Josef Erlacher Maria Johanna Fischer geheiratet, kein Wunder, daß Ilg erst einer irrigen Spur nachging, aber dann entdeckte er im Wiener Dompfarramt den Trauschein seines Helden, in dem er Graecensis, Grazer, genannt wird. So wandte er sich an Konservator Monsi-gnore Graus mit dem Ersuchen, Näheres aus den Grazer Matriken zu erkunden. Bald hatten Graus und Ilg die Taufeintragung der Stadtpfarre vom Hl. Blut vor Augen, derzufolge Stadtpfarrer Johann Abbt am 20. Juli 1656 dem „Burger Vnd B i 1 d t h a u e r“ Johann Baptista Vischer und seiner Gattin Anna Maria, Witwe des Bildhauers Sebastian Erlacher, einen Sohn Johann Bernhard taufte.

Selbstredend konzentrierte .sich das Interesse der Kunsthistoriker und — Erbbiologen allso-gleich auf Werke des Bildhauers, dem das große Baugenie das Leben und damit auch künstlerische Anlagen dankte. Einiges war bereits bekannt: Kümmel hatte den Landschaftlichen Auslagenbüchern entnommen, daß der Drechsler und Bildhauer Fischer 1652 für den großen Landhaussaal 284 Rosetten „mit zierlichen Laubern“ gestellt und 1660 mit fünf anderen Bildhauern für den zur Erbhuldigung einziehenden Kaiser Leopold eine Triumphpforte errichtet hatte, Wastler berichtete in seinem Steirischen Künstlerlexikon, daß Fischer 1653 im Schloß Egg'enberg arbeitete und 1676 „drei steinerne Bilder“ für die Peßnitzbrücke am Fletsch meißelte, Stiftsarchivar Quitt erkundete aus Rechnungsbüchern, daß Fischer für die Schloßkirche St. Gotthard bei Graz, die der kunstsinnige Abt von St. Lambrecht 1660 zu Ehren des Kaisers erbaut hatte, drei Altäre bestritt, nach Janisch „aus feinstem italienischem Marmor“.

Durch die Klosteraufhebung geriet Schloß und Kirche an einen Freiherrn, der im Schloß ein Spielkasino errichtete und die Kirche, weil sie die Aussicht nach Graz störte, demolierte, die Brückenstatuen waren schon vor dem ersten Weltkrieg entfernt worden, von der Triumphpforte ist noch kein Stich ans Tageslicht gekommen, die Arbeiten für Landhaus und Eggenberg waren handwerklicher Natur, die kunsthistorische „Neugierde“ blieb bis heute ungestillt.

Meine systematische Durchforschung der steirischen Pfarrarchive, die — vergleiche die „Furche“ vom 2. Juni 1956 — die ersten vier gotischen Bildhauer mit gesicherten Werken erhob, war auch im Falle Johann Baptist Fischer von unerwartetem Erfolg. Schon in meinem Buche „Die barocken Kirchen von Graz“ hatte ich 1951 faksimiliert zur Kenntnis gebracht, daß er 1687, just in dem Jalre, in dem sein illustrer Sohn für das Grazer Mausoleum Risse des Hochaltars und der S:ukkaturen ausarbeitete, für das Kirchlein Sit. Kathrein am Offenegg einen Auferstandenen Heiland mit zwei Engeln lieferte. Die G:nien sind verschollen, der Salvator blieb enalten. Erstmalig kann ich in der „Furche“ nun mitteilen, daß unser Bildhauer im Laufe seiner 52jährigen selbständigen Tätigkeit eine lange Reihe von beglaubigten Werken erarbeitete. In zwei Faksimilesäulen stellen sie sich selber vor. Sie gingen nach allen Gauen des Landes. Wenn wir ins Kalkül ziehen, daß aus dem 17. Jahrhundert höchstens in jedem, zehnten Pfarrarchiv Kirchenrechnungen vorhanden sind, ist erwiesen, daß unser Künstler äußerst umworben, seine Werkstätte ungemein leistungsfähig war.

Die Originalrechnungen, darunter ein Autogramm Fischers, bezeugen also: Johann Baptist Fischer lieferte für Schloß Waldstein eine Brunnenfigur, nach Birkfeld einen Hochaltar und zwei Kapellenaltäre, nach Irdning vier Statuen, nach St. Veit eine Arbeit um neun Gulden, nach Fürstenfeld zwei „wohlgemachte

Engel“, nach Straden Altarfiguren, nach Sankt Peter am Ottersbach einen Hochaltar.

Was blieb von diesen neu entdeckten plastischen Herrlichkeiten erhalten? Bei dieser zwangsläufigen Frage moduliert freilich Dur in Moll, die Freude des Forschers in die Wehmut des Kunsthistorikers: herzlich wenig. Die Kirchen von Birkfeld und St. Peter wurden umgebaut, die Altäre in den Neubau nicht übernommen, die Waldsteiner Brunnenfigur ist verschollen gleich den Irdninger Säulenheiligen und den Fürstenfelder Engeln, die Arbeiten für St. Veit und Straden blieben von Haus aus unbestimmbar.

Der Trost ist der Hochaltar von P a s s a i 1. Die Chronik behauptet zwar. Fischer habe nur die Tischlerarbeiten bestritten, den Statuenschmuck aber Bildhauer Erasmus Burk, die Kirchenrechnung 1670 belehrt uns eines Besseren, „Bildhauer“ Burk war 'der Faßmaler, Plastiker dagegen Fischer. Doch nochmals eine Variation in Moll: Der Hochaltar wurde abgetragen und durch ein Fresko „ersetzt“. Doch diesmal spendet die Chronik Trost: sie gibt genau an, bei welchem Bauern sich die Hauptstatuen noch heute befinden, die Apostelfürsten als Patrone der Kirche, nur ein „großer Michael“ ist unauffindbar.

Die beiden Figuren bieten heute einen recht ungleichen Anblick. Die rechte Seite von St. Petrus ist von der Schulter nieder ein mißglückter Ersatz, der linke Arm, wie es scheint, von Anbeginn unbeholfen angesetzt, nur das Haupt mit vorgewölbter Stirn und geeckten Backenknochen beweist denselben Ursprung wie St. Paulus. Der freilich ist für seine Entstehungszeit eine äußerst beachtliche Bildhauerleistung: ein richtiger Weltenwanderer und Welteroberer im Zeitensturm, der des temperamentgeladenen Predigers Haupthaar türmt und

Vollbart verweht, den Umhang gekräuselt bauscht, ihn jedoch nur fester an die Hünenachseln preßt. Ein prachtvoller Kontrapost, anatomisch überzeugend aufgefaßt und durchgeführt, durch den schräg gesenkten Gürtel bildhaft unterstrichen, im ausgeprägten Spielbein markant vollendet.

Archivalisch beglaubigt ist, wie bereits bewiesen, auch der Auferstandene von St. Kathrein. Der Stilvergleich berechtigt, ja verpflichtet zur stolzen Feststellung: Auch der Grazer Dom birgt Werke aus unseres Meisters Hand. Die Assistenzfiguren des Kreuzaltares, dessen spätgotischer Kruzifixus wohl einst vor dem Chorscheide-bogen von der Decke niederhing. Verrät die Kathreiner Plastik in Anatomie — überstarke Hand, erneuert? — und im Faltenspiel — das Stück scheint obendrein nachträglich unten zu spitz zugeschnitten worden zu sein — eine gesellenhafte Unsicherheit, so ist die Dolorosa des Domes eine statuarisch selbstsichere und physiognomisch ernst zu nehmende Meisterleistung. Die Analogien zwischen Heiland und Mutter springen beweisend in die Augen: eine eher rechteckige als ovale Kopfform, kaum mehr als halbgeöffnete Augen und die beweiskräftigste Aehnlichkeit, die, um im Barock zu reden, reverendo Knollennase. Jeden Irrtum in der Zuweisung schließen aus die breitflächigen Faltenläufe mit den höchst charakteristischen engen Kleidumschlingungen der linken Arme. Die vollerblühte Meisterschaft stellte der Künstler im majestätischen Johannes Evangelist unter Beweis.

Das sind die Arbeiten, die von Archivalien eindeutig in das Werk des Bildhauers Johann Baptist Fischer eingeordnet werden, Dazu kommen etliche Altäre, die ihm mittelbar mit großer Sicherheit zugewiesen werden können: In den Jahren, da Fischer für die Hauptkirche Birkfeld drei Altäre stellte, entstand in ihrer Filiale St. Lorenzen der Hochaltar; eine Wegstunde von Birkfeld entfernt liegt Miesenbach, in der Friedhofskapelle steht ein gleichzeitiger „bemerkenswert reicher Schnitzaltar“ (Dehio). Mehrere Gründe sprechen dafür, daß dies der durch Abbruch der Birkfelder Kirche obdachlos gewordene Bruderschaftsaltar ist. Obendrein haben seine Plastiken untrügliche Aehnlich-keiten mit Statuen Fischers. Stilistisch mit ihnen eng verwandt, ist die Dolorosa der Ecce-Homo-Säule auf dem Grazer Griesplatz, ebenso die prachtvolle Maria mit Kind im Hof der Eskomptebank in der Herrengasse.

„Der Bilthauer und Tischler“ zu Graz stellte 1672 einen Hochaltar nach Deutschteistritz, ebenso 1688 nach Uebelbach. Das kann nur Fischer gewesen sein, er allein übte nachweisbar beide Berufe aus. Beide Pfarren gehörten zum Stifte Rein. Gleich der wundervollen Wallfahrtskirche Straßengel. Laut ihrer 1777 gedruckten „Geschichtsverfassung“ verlobte sich 1658 „Herr Fischer, Bildhauer in Grätz“ dorthin, weil sein einziger Sohn todkrank war. Dabei kann es sich nur um unseren Johann Baptist und seinen Sohn — Johann Bernhard Fischer von Erlach handeln. „Naher straßengel“ sandte denn auch laut undatierter, doch eigenhändiger Widmung der große Architekt einen „Ersten gedankhen oder abriß“ eines Hochaltares.

Bildhauer Johann Baptist Fischer führte nachweisbar eine große Werkstatt. Seine eigenhändige Rechnung vom Jahre 1660 zählt mit vollem Namen vier Gesellen und fünf Lehrjungen. An den 1682 für Birkfeld gelieferten zwei Altären arbeiteten mehrere Gesellen, denn es ward „denen Bilthäuergesellen“ ein „Trinkhgelt“ gegeben. Wenn wir also auch eine Reihe von Altären aufgeführt haben, die unserem Meister angedingt wurden, so bleibt eine gewichtige Untersuchung anzustellen: Was hat der Prinzipal gearbeitet, was seine Gesellen? Das kann nur an Hand zahlreicher Illustrationen geschehen. Der einschlägige Abschnitt meines im Druck befindlichen Werkes „Steirische Bildhauer“ umfaßt denn auch 30 Seiten mit sieben Tafeln und 20 Textbildern. Soviel darf daraus schon hier vorweggenommen werden: Die Werkstätte bildete nicht nur zahlreiche, sondern auch hochbefähigte Künstler heran, die plastische „Handschrift“ des Meisters selber zeugt von lebhafter Eingebung, starker Variationslust und antithesenreicher Amplitude. Vater Fischer ist eines genialen Sohnes „würdig“.

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