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Das Wesen der Renaissance

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Streben nach Allwissenheit und Allmacht ist ein wesentliches Kennzeichen der Renaissance in ihrer Blüte und ihrem Zenit. Zugleich erinnern wir uns, daß Allwissenheit und Allmacht zu den ersten Attributen Gottes gehört, des Gott-Schöpfers, des ersten und größten Logos. Die Menschen der Renaissance streben also danach, ihre unverblaßte Gottähnlichkeit wiederzuerlangen, sich gewissermaßen mit Gott zu vereinigen, danach, Sein Bildnis mitwissend und vollkommen widerzustrahlen.

Gott ist uns allen gegenwärtig, immer, auch jenen, die ihn verneinen. Und die Grundhaltung der Menschen Ihm gegenüber ist dreifach: im Versuch der Mystiker, durch Vernichtung des eigenen Ich sich Gott zu einen und in der Ekstase am unaussprechlichen Geheimnis der Gottheit teilzunehmen; im Versuch der Atheisten, Gott aus der Welt zu schaffen, um Ihn durch den vergotteten Menschen zu ersetzen; im Versuch der gläubigen Schöpfer, durch Weisheit und Macht Ihm ähnlich zu werden, sich über die allgemeine Menschheit zu erheben, ohne auf den Glauben an das Jenseits und auf die eigene Persönlichkeit zu verzichten. Es sind die drei ewigen Straßen: der Weg der Einung, der Weg des Titanismus und der dritte, den man den Weg der Teilnahme nennen könnte. Diesen letzten wählten, ohne sich dessen klar bewußt zu sein, die Genien unserer Renaissance.

Anders als die Menschen des Mittelalters, welche vor allem auf den duldenden und erlösenden Christus sahen, kehrten sie zur Ersten Person der Dreifaltigkeit zurück und strebten nach Vergöttlichung, in der Schöpfung den Schöpfer suchend. Man kann, glaube ich, behaupten, daß die Renaissance im Hinblick auf das Mittelalter die Nachfolge des Sohnes durch die Nachfolge des Vaters ersetzte. Die „Imitatio Christi“ (Nachfolge Christi), welche die mönchische Aszese zusammenfaßt, folgt Pico della Mirandolas „De Dignitate hominis“ (Von der Würde des Menschen), die Verkündigung der vergessenen Rechte des Menschen, des göttlichen Geschöpfes im göttlichen All.

Diese Männer verleugneten weder Christui noch seine Kirche, wie es die Geschichtsschreibung der Aufklärung, der Romantik und des Idealismus gerne glauben machen will.

Die „Imitation“ Gottes von seifen der großen Geister jener zwei Jahrhundert erinnert auch nicht an die zerstörerische Anmaßung der Titanen des hellenischen Mythos und noch weniger an den Titanismus der modernen Gottesmörder des Wortes- Die Menschen der Renaissance wollen sich nicht selbst im wunderbaren Abgrund der Gottheit vernichten, sie denken auch durchaus nicht daran, Gott zu vernichten, wohl aber wünschen sie sehnlichst, Ihn zu verstehen, Ihn zu lieben, durch die Erforschung und Beherrschung der Natur Ihm ähnlich zu werden. Und in dieser göttlichmenschlichen Beziehung liegt keine Unehrerbietigkeit, kein Sacrile-gium. Ist denn der Mensch gemäß dem Christentum nicht das auserwählte Meisterwerk Gottes?

Die Menschen der Renaissance suchen und ahmen den Schöpfer nach, welchen das Christentum offenbart und lehrt, und gerade deshalb empören sie sich gegen Aristoteles, den Theoretiker einer fremden und gleichgültigen Gottheit, die nicht liebt und deshalb auch nicht geliebt werden kann. Diesen lebendigen Gott, ihn suchen die großen Meister der Renaissance hauptsächlich durch Wissenschaft und Kunst. Jener Riese Leonardo trachtet in seinen wissenschaftlichen Forschungen nicht nur nach Wissen, sondern auch nach Macht, und auch die Kunst war für ihn ein Weg zur Erkenntnis, das heißt zur Macht. Der gelehrte Maler ist seiner Meinung nach eine Art Halbgott, der die geschaffenen Dinge wiedergibt und beherrscht.

Die Kultur der Renaissance war vor allem eine künstlerische Kultur, die Kunst ist aber auf ihre Art eine Besitzergreifung der Welt. Sie ist die Sprache der Stummen, sie ist das Licht der Blinden, denn stumm und blind ist ein Großteil der Menschen. Der große Künstler offenbart die verborgene Schönheit der Dinge, ihr wesentliches Geheimnis und da er den Betrachter daran gewöhnt, die Schöpfung mit neuen Augen anzusehen, trägt er dazu bei, sie freudiger und vollkommener erscheinen zu lassen; fast möchte ich sagen, daß er sie offenbart und verschönert. Die Kunst der Renaissance, besonders die des 15. Jahrhunderts, bietet uns eine heitere, morgenlichte Welt dar, unberührt und licht, als wäre sie erst seit wenigen Tagen erschaffen, und mit Vorliebe kindliche und jugendliche Geschöpfe, denen Gut und Böse noch unbekannt scheint, so wie Adam und Eva, bevor sie die Frucht des Baumes kosteten.

Die Natur ist bei diesen Künstlern nicht mehr ein Reich der Dämonen wie im Mittelalter, sondern ein erneuertes, leuchtendes Paradies der Unschuld. Sie kehrt zur irdischen Wirklichkeit zurück, wie sie aus den Händen des Vaters hervorging, noch nicht verdüstert, noch nicht getrübt durch die menschliche Sünde.

Neben der Kunst steht die Wissenschaft, die von Leonardo an tätig und wirksam sein will, nicht mehr bloß betrachtend und spekulativ. Da Vinci bemüht sich, Häfen und Kanäle zu graben, und träumt davon, Berge zu ebnen, Maschinen zu erfinden, fähig, des Mepschen Kraft zu vervielfältigen, träumt von einer Schiffahrt unter den Meeren und adlergleichem Flug am Himmel. Allwissenheit ist für ihn der Weg zur Allmacht. Vor solch glühendem Ehrgeiz verirrten sich einige Geister und die Wiederherstellung der menschlichen Werte verleitete sie bisweilen zum Vergessen Gottes: sehr wenige sind es und wahrhaftig nicht die größten.

Der größte plastische Schöpfer der Renaissance bringt diese Wiederkehr des Vaters in dem Zeitalter, welches das seine war, auf vollendete Weise zum Ausdruck. Giotto erzählte in der Capeila degli Scrovegni gottbegnadet die Lebensgeschichte Christi und schuf damit sein Meisterwerk. Michelangelo formte in seiner Jugend und in seinem Alter das schmerzvolle Bild des getöteten Gottes, doch in seinem Meisterwerk als Maler, in der Sixtina, stellte er in der Wölbung die Schöpfungstat des Vaters von der ersten Seite der Genesis an dar und später, im Jüngsten Gericht, malte er — die Leidensgeschichte übergehend — den wiederkehrenden, triumphierenden Christus, der sich für immer vom Kreuze loslöst und nicht mehr der wunde Märtyrer des Mittelalters ist, sondern ein sieghafter junger Gott, der neue Himmel schuf und eine neue Erde und im Namen des Vaters über dem Werk der letzten Gerechtigkeit waltet.

Aus dem Buch „Wiedergeburt und Erneuerung“, Amandus-Edition, Wien

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