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Denkmäler der Tonkunst

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Unter dem 25. Mai 1803 schreibt die „Allgemeine musikalische Zeitung“: „Nicht ohne Vergnügen wird man erfahren, daß das schon längst angekündigte Werk: ,Denkmale der musikalischen Kunst von der Erfindung des Kontrapunktes bis auf die gegenwärtige Zeit“ wirklich ausgeführt werden wird. Herr Sonnleithner nämlich, der den ersten glücklichen Gedanken dazu faßte, der zur Sammlung der Materialien mehrere Reiche Europas durchreiste und das Werk vor einigen Jahren unter dem Titel einer Geschichte der Musik in Denkmälern etz. ankündigte, ist jetzt Associé im Wiener Kunst- und Industrie- Comtoir und hat die Ausführung des genannten Unternehmens dem Manne aufgetragen, der wohl ohne allen Zweifel demselben am meisten gewachsen ist — dem Herrn Dr. Forkel in Göttingen.“ Dieses Unternehmen, zu dessen Mitarbeitern Haydn, Albrechtsberger und Salieri zählten, stand jedoch unter einem unglücklichen Stern. Joseph von Sonnleithner, Mitbegründer der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, hatte zunächst allein und dann gemeinsam mit dem Göttinger Musikgelehrten Johann Nikolaus Forkel die Grund- ztige einer Denkmälerpublikation in einem ausführlichen Prospekt entworfen und dann auch tatsächlich mit der Herausgabe eines ersten Bandes begonnen. Sein Inhalt umfaßte vornehmlich Messekompositionen niederländischer Meister und stützte sich zum Teil auf das berühmte bei Hieronymus Graphaeus 1539 in Nürnberg erschienene Werk Missae XIII quatuor vocum a praestantissimis arti- ficibus compositae. So wie in jüngst vergangener Zeit die Denkmäleredition durch Krieg und Politik unterbrochen wurde, so ging dieser hoffnungsvolle Beginn im Brande der Napoleonischen Kriege zugrqnde. Der erste Band war fertiggestellt, die Korrekturbögen bereits bei Forkel in Göttingen, da erlag Wien dem Franzosensturm und — wie wenig haben sich die Menschen verändert! — die schönen 270 Bleiplatten der Stichvorlage wurden zu Flintenkugeln umgegossen.

Nach diesem hoffnungsvollen Beginn folgt eine große Lücke, die nur gelegentlich bescheidene Ansätze zu neuer Forschertätigkeit zeigt. Die noch Beethoven gewidmete Veröffentlichung „Kirchengesänge der berühmtesten älteren italienischen Meister“ von Gottlieb Freiherr von Tücher sei in diesem Zusammenhang erwähnt. Erst Jahrzehnte später vollzieht knapp nach dem Deutschen Reiche Österreich den entscheidenden Schritt: 1894 wird unter der Führung der bedeutendsten Persönlichkeit der europäischen Musikwissenschaft, unter Guido Adler, die „Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich“ gegründet. Ihrem Programm zufolge soll sie durch Reihenveröffentlichungen von Musikwerken vergangener Epochen „die Belege zur Musikgeschichte in historisch einwandfreier Form und bezeichnender Auswahl bieten“. Diese über mehr als vierzig Jahre sich hin- streckende Arbeit Adlers und seiner Mitarbeiter brachte-in 84 Bänden eine überragende wissenschaftliche Ausbeute zustande. Von der mittelalterlichen Einstimmigkeit bis zum Straußschen Kunstwalzer finden wir hier Publikationen von europäischer Bedeutung, unter ihnen als berühmteste die Edition der Trienter Codices, einer unschätzbaren Sammlung von Werken der Hauptmeister des kirchlichen Chorrepertoires um 1450.

Möge es symbolisch sein, wenn nun dank einer wahrhaften Kulturtat des österreichischen Bundesverlages nach jahrelanger Unterbrechung — 1938 wurde das österreichische Denkmälerunternehmen der vom „Staatlichen Institut für Musikforschung" in Berlin herausgegebenen Reihe „Das Erbe deutscher Musik" eingegliedert —, ein neuer Band erscheinen kann und dieser Band inhaltlich an jenen anknüpft, mit dem einst Guido Adler das Forschungswerk eröffnete. Beiden ist die große Persönlichkeit des österreichischen Barockmeisters Johann- Josef Fux gemeinsam. Wurden dort Mässekompositionen des Komponisten dargeboten, so bringt diesmal Univ.-Prof. Dr. Erich Schenk, der nunmehrige Leiter der Denkmälerpüblika- tionen, eine Reihe von Werken für Tasteninstrumente desselben Künstlers. Damit hellt sich, nachdem erst kürzlich der Wiener Musikforscher Andreas Ließ in seinem J. J. Fux gewidmeten Buche eine Reihe bisher unbekannt gewesener Werke namhaft machen konnte, das vielfach noch in Undeutlichkeit gehüllte Bild des Komponisten erneut um einige Grade auf. Wobei als bedeutsamstes Moment die Tatsache erscheint, daß sowohl aus den Sonaten wie aus den Suiten und ganz besonders aus den zwölf Menuetten neuerdings die schon von Ließ überzeugend nachgewiesene spezifisch österreichische, aus der Welt des süddeutschen Katholizismus erwachsene Geistigkeit spricht. Es sind die weltlichen, kleinformalen Entsprechungen zu den großen Kirchen- und Opernwerken des aus der Steiermark stammenden Meisters. Die musikgeschichtlichen Fäden, die diese Werke verknüpfen, hat Schenk in einer Einleitung ausführlich aufgedeckt und dargetan, wie in den Orgelsonaten, die gattungsmäßig aus der italienischen Sonata da Chiesa a tre abzuleiten sind, Bindungen des Komponisten an Italien erkennbar werden, wie in den Suiten dagegen neben der österreichischen Tradition der Meister Johann Jakob Fro- berger und Ferdinand Tobias Richter französisches Musiziergut einfließt, und wie endlich in den Menuetten die große Reihe klassischer österreichischer Gebrauchstanzmusik, die über Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert bis Lanner und Strauß führt, eröffnet wird. So spiegelt sich in der Mannigfaltigkeit der Verknüpfungen das aus dem Boden des Volkstums zu übernationaler Geistigkeit emporgewachsene Wesen dieses österreichischen Meisters charakteristisch wieder und wird dem aufmerksamen Betrachter ein Blick in die kulturelle Aufgeschlossenheit und weltweite Denkungsart jenes Hofes gewährt, an dem Fux durch 25 Jahre hindurch als Hofkapellmeister gewirkt hat.

Müßig zu sagen, daß die Ausführung des Bandes der besten österreichischen Verlagstradition entspricht. Sein Erscheinen ist ein ermutigendes Zeichen aufstrebender wissenschaftlicher Arbeit und in allem und jedem geeignet, die abgerissenen Beziehungen, mit denen die österreichische Musikwissenschaft mit der Welt verbunden war, von neuem aufleben zu lassen — und gerade das tut not!

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