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Das Kunsthistorische Museum zeigt eine umfangreiche Schau des rätselhaften venezianischen Renaissancemalers Giorgione.

Ein junger Mann reist nach Venedig. Einziges Ziel seiner Reise ist die Begegnung mit einem Gemälde in der Accademia: mit "La Tempesta" (Das Gewitter). Jahre hat der junge Protagonist von Juan Manuel de Pradas Kunstkrimi "Trügerisches Licht der Nacht" bereits damit verbracht, das Geheimnis dieses rätselhaften Bildes - gemalt von dem nicht minder sagenumwobenen Künstler der venezianischen Hochrenaissance Giorgione - zu lüften. Wie Generationen von Kunsthistorikern vor ihm auch. Pradas Roman ist einer der gescheiterten Versuche, dem nicht allzu großen Ölbild, in dem der Landschaft und dem Naturereignis erstmals in der italienischen Kunst zentrale Bedeutung beigemessen werden, näher zu kommen. Denn kaum ein Gemälde hat bis heute so viele unterschiedliche Interpretationen erfahren wie "Das Gewitter".

Dabei war es bisher noch nie außerhalb Venedigs zu sehen. Jetzt erstmals hat eines von den wenigen gesicherten Werken Giorgiones die Lagunenstadt verlassen und ist gemeinsam mit einem weiteren Hauptwerk, "La Vecchia" (Alte Frau), nach Wien ins Kunsthistorische Museum gereist. Dass die kostbaren Schätze überhaupt nach Wien gekommen sind, beruht auf der glücklichen Tatsache, dass das Haus am Ring sechs Werke des nur kleinen Giorgione-Ruvres besitzt und Venedig für eine Ausstellung ebenfalls zwei Hauptwerke, "Die drei Philosophen" und "Laura", im Gegenzug zur Verfügung stellen konnte. Anlass der Schau in Venedig war die Restaurierung von Giorgiones einzigem Altarwerk "Pala di Castelfranco", das in Wien natürlich fehlt.

Mythos Giorgione

Ansonsten hat die kleine, im Verhältnis zu Giorgiones Schaffen dennoch sehr umfangreiche Schau jede Menge zu bieten. 17 der 25 von den Forschern eindeutig Giorgione zugeschriebenen Werke werden einander gegenübergestellt. Ergänzt durch Bilder von Zeitgenossen, Vorläufern und Schülern, geben sie Einblick in Giorgiones faszinierenden Malstil und seine ungewöhnliche Sichtweise auf die Wirklichkeit. Auf der Rückseite der Wände werden in Leuchtkästen Ergebnisse der Röntgenaufnahmen von Giorgione-Bildern gezeigt, um so Einsicht in die verschiedenen Malstadien zu geben.

Die direkte Begegnung mit den Originalen erweist sich sowohl für Fachleute als auch für ein breites Publikum als außerordentliche Gelegenheit, die Vielfalt dieses Malers zu studieren. Zwar galt Giorgione bereits kurz nach seinem Tod als der größte Künstler Venedigs und der strukturelle Erneuerer der Malerei Norditaliens schlechthin. Heute genießt er jedoch lange nicht denselben Bekanntheitsgrad wie seine Nachfolger Tizian, Tintoretto oder Veronese.

Der Mythos, der Giorgione stets umgab, mag auch daran liegen, dass man sehr wenig über sein Leben weiß. Laut dem italienischen Künstlerbiografen Giorgio Vasari wurde Giorgione in Castelfranco bei Venedig geboren, war ein außerordentlicher Musikliebhaber, der anfänglich Madonnen und später hauptsächlich Porträts malte, bis er 1510 an der Pest starb.

Mehr noch als das rätselhafte Leben sind es die Bilder selbst, die Giorgione bis heute zu einem der meistdiskutierten Maler der Kunstgeschichte machen. Als erster Künstler Venedigs hat Giorgione die strengen Linien aufgelöst und die Umrisse im Sinne von Leonardos "sfumato" verwischt. Aufgrund der leuchtenden Farbigkeit, dem Licht-Schatten-Spiel und der lockeren, pastosen Malweise erscheinen seine Bilder wie "Laura" oder "Knabe mit Pfeil" ungemein sinnlich. Eigentlich beinahe modern. Die malerische Unmittelbarkeit wird durch die Darstellung der Personen unterstützt, die den Betrachter oft direkt, wie Christus in der "Kreuztragung" (s. S. 1), anblicken.

Schonungslos realistisch

Zu den ungewöhnlichsten Bildern der Schau gehört "La Vecchia". Auf dem mit wenigen Farben gemalten Porträt ist eine alte Frau zu sehen, die ausdrucksstark mit leicht geöffnetem Mund aus dem Bild blickt. Im Zentrum steht ihr vom Leben gezeichnetes Gesicht. Ungeschönt zeigt Giorgione die Spuren des Alters: die Falten, die trüben Augen, die kaputten Zähne und das schüttere Haar. Selten gibt es in der Kunstgeschichte vor dem 20. Jahrhundert und Bewegungen wie dem Expressionismus eine derart schonungslos realistische und expressive malerische Darstellung eines alternden Menschen. Wie bei allen Giorgione-Bildern hat auch "La Vecchia" zu kontroversen Interpretationen geführt. Ausschlaggebend für die diversen Deutungen ist ein Zettelchen in der Hand der Dargestellten mit der Inschrift "col tempo" (mit der Zeit). So verkörpert die Frau für die einen das Alter schlechthin, für die anderen ist es eine Vergänglichkeitsdarstellung. Manche Forscher wiederum möchten es in Zusammenhang mit literarischen Texten des 16. Jahrhunderts verstanden wissen, oder sie sehen in ihm schlicht und einfach ein Bildnis von Giorgiones Mutter.

Die inhaltliche Unauflösbarkeit aller Giorgione-Bilder macht sie für den Betrachter besonders reizvoll. Zugleich lässt dieser Aspekt, abgesehen von den malerischen Innovationen, sie zu frühen Vorläufern der Kunst der Moderne werden, wie Rainer Metzger im Katalog feststellt. Ab dem Moment, wo ein Werk nicht mehr eindeutig einem Inhalt zuzuordnen ist, wird das Reden und Spekulieren darüber zu einem Teil der Kunst selbst.

Giorgione. Mythos und Enigma

bis 11. Juli 2004

Kunsthistorisches Museum 1010 Wien, Maria Theresien-Platz

täglich außer Montag 10-18 Uhr, Donnerstag 10-21 Uhr

www.khm.at/giorgione

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