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Der Gott in der Futterkrippe

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Die Kirche hütet das Evangelium von der Menschwerdung Gottes und in ihm das Geheimnis unserer Natur. Die Kirche verkündigt in ihrem Weihnachtsevangelium „allem Fleisch“ den Ruhm des rettenden Gottes, sie verkündet aber zugleich die Würde der geretteten Menschen.

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Die Kirche hütet das Evangelium von der Menschwerdung Gottes und in ihm das Geheimnis unserer Natur. Die Kirche verkündigt in ihrem Weihnachtsevangelium „allem Fleisch“ den Ruhm des rettenden Gottes, sie verkündet aber zugleich die Würde der geretteten Menschen.

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Weihnachten ist ein Fest der Christen; aber sein Sinn und seine Bedeutung müßte auch von denen verstanden werden, die keine Christen sind. Die Menschwerdung Gottes bedeutet keine Abdankung der Gottheit, keine Vermenschlichung und Säkularisierung, bedeutet nicht den ,Menschgott“ statt des Gottmenschen; auch keine anthropomorphe Redeweise über den unaussprechlichen Gott, einen Rückfall in den Paganismus. Gott bleibt Gott, auch wenn Er Mensch wird. Aber die Fleischwerdung des göttlichen Wortes zerstört jeden Monophysitismus. Und das ist die theologische Botschaft der Heiligen. Nacht. Es gibt keine Alleinwirklichkeit Gottes, weil es in Christus zwei unvermischte Naturen gibt: die menschliche neben der göttlichen. Und die menschliche ist von der göttlichen nicht aufgesogen worden und wird von ihr nie absorbiert werden. Gott wird durch Seinen Sohn ewig und unwiderruflich Mensch sein. So ist also der Mensch, kein Nichts, wenngleich er total Geschöpf bleibt. So wird also der Mensch nie in der Gottheit aufgehen, sondern immer er selbst, immer Mensch, wenn auch in Christus vergöttlichter, bleiben.

Dieses Theologoumenon verhindert die Abschaffung. der -menschlichen Freiheit; wenn es nicht bloß eine Natur (die göttliche, absolute) gibt, gibt es auch, zunächst in Christus, dann aber in jedem Menschen einen Willen, der mit dem göttlichen nicht identisch ist. Das heißt, daß der Mensch frei ist. Der Osten neigt zum Monophysitismus und deshalb zur Diktatur. Der totale Staat ist eine banalisierte, verweltlichte Form der Ein-Naturen-Ideologie, ihre Konsequenz auf dem politischen Sektor. Man hat Rom ein schwarzes Moskau genannt, weil es Dogmen, weil es unerschütterliche Prinzipien besitzt, weil es eine im Gewissen bindende Glaubensforderung erhebt. Das Gegenteil ist wahr: der römische Papst ist nicht Kaiser und kann es niemals werden, weil Christus keine Theokratie vorgesehen hat. Die weltliche Herrschaft und die sakrale Gewalt sollten nach Seinem Willen geschieden sein und die Kirche darf niemals Staat werden. Gott tritt auch in der Kirche und gerade in ihr als der politisch, der militärisch machtlose Gott auf, als der Gott in der Futterkrippe, der ein Wickelkind geworden war, um der menschlichen Freiheit Raum zu geben. Dem donnernden Gott von Sinai, dem „Herrn der Heerscharen“ Israels entspricht die Theokratie des Alten Testaments. Dem Gott in Windeln zu Bethlehem in der Stallhöhle entspricht die Kirche, die ihre geistige Macht von der unausgesetzt zu leistenden und jederzeit widerruf-baren Glaubensbestimmung ihrer Glieder abhängig macht. Die „Christenheit“ als eine Symbiose zwischen Kirche und Staat, als Sakralisie-rung des Staates und Implikation der Kirche ins Weltliche ist einer pluralistischen Gesellschaft gewichen, in der die Kirche eher als „kleine Herde“ in der Diaspora oder jedenfalls als eine geistige Größe unter vielen existiert. Sie muß in Konkurrenz treten und sich mit den Geistes-mächten ihrer Zeit konfrontieren; sie kann nicht durch politischen oder gesellschaftlichen Druck ersetzen, was ihren Christen etwa an spiritueller Kraft mangelt. Das Geistliche, Göttliche in ihr tritt rein hervor und muß als solches wirksam werden. Sie ladet die Welt und die welthaften Institutionen zur Zusammenarbeit für das Wohl der Menschheit ein, von dem sie allein weiß, daß es letzthin im' „Heil“ besteht. Sie repräsentiert der Welt gegenüber Christus als „Bräutigam“, sie verficht das Gnadenhafte ihrer Botschaft (das nicht nur den Geschenk-, sondern auch den Freiheitscharakter in sich schließt).

Die Kirche respektiert den Versuch der mittelalterlichen Christen, eine engste Symbiose zwischen Kirche und Gesellschaft, Kirche und Kultur, Kirche und Staatlichkeit zu schaffen. Aber ihre Wege sind heute nicht mehr dieselben, weil die Menschen nicht mehr dieselben sind wie damals. Der Primitive im Glauben sucht die Machtzeichen Gottes, um glauben “zu können. Er will, wie Thomas, „sehen“ und dann erst glauben. Er verläßt seine Götter, wenn die Krieger des einen und wahren Gottes ihre militärische Ueberlegenheit gezeigt haben und verachtet jene von da ab als selbst Unterlegene. „Die Juden suchen Machtzeichen“, sagt Paulus (und der ist „Jude“, der sie sucht). Der Mensch von heute (das gilt allerdings nur von den geistigen Eliten) ist skeptischer und gereifter zugleich; er sieht in politischen Machtbeweisen nicht den Widerglanz des Göttlichen. Ihm ist die physische Macht eher verdächtig, dämonisch zu sein. Er sucht das Spirituelle auf dem Wege seiner eigenen Gesetzlichkeit und will seine un-verwechselbaren Zeugen sehen. Er sondert reinlich (oft skrupulös puristisch) und haßt unsaubere -Vermengungen des Heiligsten mit weltlichen Nebeninteressen / Daß die Kirche nicht Staat, nicht Gesellschaft, nicht Kultur, nicht Nation ist, daß sie mit keiner konkreten Ausformung der genannten Weltwirklichkeiten identisch ist, bildet heute den Ausgangspunkt ihrer Mission, ohne daß sie in Gefahr des religiösen Gettos käme. Erst von der Basis dieser Nichfidentität aus kann sie apostolische, kann, sie Missionskirche sein. Der Verzicht der Kirche auf Zweischwerterlehre und papocäsaristische Theokratie allein freilich kann der Welt den ersehnten Frieden, von dem in jeder Weihnacht die Rede ist, nicht geben. Die brüderliche Zusammenarbeit der Kirche mit allen christlichen Bekenntnissen zur Realisation des Christlichen in der Welt, die Verbundenheit mit allen, die dem „lebendigen Gott“ dienen zur Lösung der geistigen Notstände der Menschheit, die menschliche, vom Geiste der Bergpredigt getragene Mitarbeit mit allen Gutwillige* an“ den schreiendsten sozialen und kulturellen Problemen der Menschheit, können den Frieden der Welt so lange nicht garantieren, als hionophysitische Häresie in Form des totalen östlichen Systems den Planeten politisch“ und psychologisch beschattet! “

Die Frage menschlicher Koexistenz ist eine universale menschheitliche; aber sie kann keinesfalls einseitig durch Vereinnahmung des einen und damit durch Eliminierung des Problems gelöst werden. Selbstaufgabe zugunsten des Totalanspruchs des anderen stellt keinen Akt der Pazifizierung dar. Was entmythologisiert werden muß, ist der utopische Messianismus eines Systems, das sich für die präsente Gottheit hält. Alle pseudo-religiösen Heilsideologien sind verdächtig und gefährlich. Solange sie die Welt in ein- kapitalistisch-imperialistisches Satansrcich, das als Hölle beschrieben wird, und ein sozialistisches Messiasreich, das als wiedergekommenes Paradies deklariert wird, scheiden, kann die Welt jenen Frieden nicht haben, der den „Menschen göttlichen Wohlwollens“ versprochen wird.

Die Gnostiker aller Zeiten (terribles simplifi-cateurs!) haben die Welt immer simplifizierend und unversöhnlich geschieden und sich naiv als' die allein Erkennenden und Erwählten gefühlt. Das totale System von heute ist seinem Monolitismus nichts als pervertierte Theologie: die häretische These von der Alleinwirklichkeit Gottes. Deshalb verschwinden in ihm Freiheit, Personalität, Gewissen und Wahrheitsdenken des Menschen. Mit einem Wort: sein Rang, sein unverwechselbar Eigenes.

Die Kirche hütet das Evangelium von der Menschwerdung Gottes und in ihm das Geheimnis unserer Natur. Die Kirche verkündigt in ihrem Weihnachtsevangelium „allem Fleisch“ den Ruhm des rettenden Gottes, sie verkündet aber zugleich die Würde der geretteten Menschen. Nicht der Staat, nicht die Rasse, nicht das Volk, sondern der einzelne ist gerettet worden. Nicht der Steat ist zum Glauben berufen worden und zum Heil, sondern der einzelne. Damit der einzelne in Freiheit seinem Gott die Glaubensantwort geben könne, dazu ist das Wort Fleisch geworden und hat unter uns Sein Gezelt aufgeschlagen, das Zelt Seines brüderlichen, menschlichen Leibes. Der kleine Gott, der Sich in der Krippe von den Armen suchen läßt, bildete in Gemeinschaft mit den bethlchemitischen Schafhirten die erste christliche Gemeinde. Das Kind im Stall wollte nicht Cäsar noch König sein. Es hat die Kirche der Armen im Geiste, der Hungrigen nach der Gerechtigkeit, die Kirche der seligen Verfolgten gestiftet und dadurch — die Freiheit gerettet.

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