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Der Jahrmarkt der Kunst

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Die Welt als „Jahrmarkt“ und immerwährendes Schauspiel ist eine alte Vorstellung, der die Jahrhunderte nichts von ihrer Gültigkeit genommen haben. An ihr erprobt der Satiriker seine Sprachgewalt, der Karikaturist seinen ungebärdigen Stift. Von Brueghel zu Saul Steinberg, von Rabelais zu Thackeray führt eine ununterbrochene Linie. Aus dem Blickwinkel unseres Jahrhunderts betrachtet, gewinnt das „theatrum mundi“ einige neue, beunruhigende Züge. Mit wachsender Deutlichkeit wird das Welttheater zur Weltschaustellung von gigantischem Umfang, die nach und nach alle Lebensbezirke erfaßt. (C. B. de Milles letztem Film, „The greatest show of the world“, kommt in diesem Zusammenhang symbolhafter Rang zu.) Im Welttheater war jeder Akteur zugleich Träger eines hierarchischen Wertsystems, im Bereiche der Schaustellung, der „Exhibition“, wird er zum Komödianten seiner selbst. In dem Maße nun, wie der Einzelne sein Dasein dem monotonen Zugriff kollektiver Prozesse entziehen will, wird er zum Schauobjekt der ihn begaffenden „Oeffentlichkeit“. Er spielt eine Doppelrolle, denn er ist selbst auch anonymes Glied dieser Oeffentlichkeit, die nicht nur über eine unruhige, fahrige Sehbegierde verfügt, sondern überdies selbst gesehen, vom Kameraauge festgehalten werden will. Dieser merkwürdige Drang zur Schaustellung manifestiert sich besonders deutlich in verschiedenen Wochenschaustreifen, wo man immer wieder wahrnehmen kann, wie sich der „Mann auf der Straße“ gierig ins Blickfeld der Kamera drängt.

Indiskretion ist das Merkmal der gegenwärtigen Situation, ihr Symbol das erbarmungslose Photoauge. Das Fazit: der Mensch will Augenzeuge sein. Wahllos und ungeregelt konsumiert er wahre Unmengen yon visuellen Reizen, die sich jedoch selten zum Bild, zur optischen Gestalt verdichten. Zu seinem Lebensstil gehört das aus unzähligen disparaten Eindrücken gemischte Sehfeld, das gleich den Wochenschauen ohne innere Ordnung und Schwerpunkt ist: Erdbebenkatastrophe, Windhunderennen, Priesterweihe, Atombombenversuch ... Diese Erlebnisweise bietet dem Beobachter zahlreiche Aspekte, sie findet ihre reinste Ausprägung im Phänomen der „Ausstellung“. Wir verstehen darunter ebenso die „Pin-up-show“ wie den Gewerkschaftskongreß, die popularisierende Schaustellung der Wissenschaften ebenso wie die „Film-Festivals“, die Treffen der Viehzüchter und Zuckerbäcker, die Industriemessen, die Hunde- und Gartenbauausstellungen. Alles findet hier zusammen, was in unserer Epoche nach Schaustellung drängt. Zugleich hat sich ein brennendes Bedürfnis des heutigen Menschen hier seine umfassende Institution geschaffen: das Bedürfnis nach massiven, konzentrierten optischen Eindrücken. Dahinter -•steckt ein Tieferes: die Sehnsucht nach einem veränderten Weltzustand, die utopische Begierde nach einer paradiesischen Zivilisationsstufe, nach dem materiellen Schlaraffenland.

Die Ausstellung hat den Platz des Jahrmarktes eingenommen. Thre Festtagsstimmung verbreitet eine Zauberformel von magischer Anziehungskraft: so groß und vielfältig ist die Fülle des Gebotenen, daß für jeden etwas zu finden sein müsse. Historisch hat die Ausstellung neben der populären noch eine andere, beinahe esoterische Wurzel: in ihren phantastischen Irrgärten lebt etwas von der beschwörenden, absonderlichen Atmosphäre der barocken Raritätenkabinette nach. Die geschichtliche Entwicklungslinie zu verfolgen ist nicht ohne Reiz. Aus den bunt zusammengewürfelten Kunst- und Wunderkammern des 16. Jahrhunderts ging allmählich das fürstliche Museum, zunächst die private, dann die öffentliche Galerie hervor. Die Kuriosa wurden ausgeschieden, der Geschmack läuterte sich, Malerei und Plastik beherrschten den gereinigten Kunsttempel. Als Gegenstück zur erhabenen perennitas der fürstlichen Galerie entstand bereits im 17. Jahrhundert in Paris der .Salon“, die Keimzelle der heutigen Monsterausstellung, die nichts anderes als ein Jahrmarkt der Kunstproduktion ist. Vom Salon zur Kunstausstellung schlechthin war der Schritt nicht mehr weit. Befördert wurde diese Entwicklung vom Entstehen des Kunsthandels und der journalistischen Kritik und schließlich von der Zeit selbst, die immer mehr dem Flüchtigen, Großartigen, jedoch Ephemeren zu huldigen begann. (Man entsinne sich Dau-miers Darstellungen der Pariser „Salons“, um zu ermessen, wie stark diese Atmosphäre vom Trubel des Jahrmarktes gesättigt war.)

Das 19. Jahrhundert bringt einen Ausstellungstyp hervor, in dem sich das Populäre mit dem Repräsentativen mischt: die Weltausstellung, deren Ziel es war, die Summe globalen Schaffensdranges zu veranschaulichen. Alle Bereiche menschlicher Tätigkeit waren aufgerufen, an dieser beinahe kultischen Huldigung der Prosperität teilzunehmen, und auch die Künste durften nicht fehlen. Sie wurden vertreten von den heute längst vergessenen „offiziellen“ Malern, deren sich eine prunksüchtige Obrigkeit zur Selbstverherrlichung bediente. Erstmals tauchte damals der Gedanke auf, der noch in unserer Gegenwart das dürftige Konzept der Kulturpolitiker beherrscht, der Gedanke nämlich, die Kunst patriotisch kostümiert ins Ausland zu schicken, in der Hoffnung, sie könne für das Exportland (das Kunstwerk ist da nicht weit vom Industrieartikel entfernt!) und dessen Anliegen werben und Freunde gewinnen. In unseren Tagen verknüpfen sich diese ideellen Erwägungen freilich in sehr offener Weise mit der Hoffnung auf materiellen Gewinn, wodurch derartige Unternehmungen nicht selten einem Wanderzirkus auffallend ähneln.

Im Schatten der Weltausstellung und ihrem enzyklopädisch-eklektischen Getriebe, sammelten sich die Gegenkräfte. Sic riefen einen neuen Ausstellungstypus ins Leben, der vor allem um die letzte Jahrhundertwende hervortrat und einer der wichtigsten Schrittmacher des modernen Kunstwollens wurde. Wir meinen die Ausstellungen der Protestierenden und Zurückgewiesenen. Das beginnt mit Courbet, der seinen Bildern eine Bretterbude errichtet, um dort den „Realismus“ zu demonstrieren, das setzt sich fort im „Salon des Refuscs“, aus dem der Impressionismus hervorgeht, und führt zu Edvard Münchs Skandalatisstellungen in Berlin (1892), die den unmittelbaren Anlaß zur „Secession“ der Jungen liefert.

Dieses Bild bereichert das .20. Jahrhundert durch einige neue Ausprägungen. Aus der Weltausstellung gehen: allmählich die Industrie- und Gewerbemessen hervor, an deren massigen Profil das künstlerische Schaffen keinen Anteil mehr hat. Einzig auf dem Wege über die Gebrauchsgraphik kann sie hier noch Zugang finden. Diese Entwicklung hätte ihr Gutes, wenn sie nicht zu einer immer fühlbarer werdenden Verdrängung der Kunst aus ihren eigensten Bereichen führen würde. Nichts beweist dies deutlicher als der besonders in Wien kraß hervortretende Umstand, daß die großen Künstlervereinigungen (Secession und Künstlerhaus) ihre Häuser den seltsamsten „Ausstellungs“Veranstaltern vermieten müssen.

Die repräsentative Monsterausstellung ist heute nahezu vollkommen in die subventionierende Hand des Staates übergegangen. In regelmäßigen Abständen veranstalten die großen Kunst- und Fremdenverkehrsmetropolen der westlichen Welt ihre Kunstjahrmärkte (die man nach dem italienischen Vorbild als „Biennalen“ zu bezeichnen pflegt) und bieten so' den Kulturmanagern der einzelnen Staaten willkommenen Anlaß zu hemmungslosem Herdenauftrieb. Dazu kommen die Jahresausstellungen der einzelnen Kunstverbände, wobei oft Tausende von Bildern vorgeführt werden. Ueberblickt man die heutige Situation in ihrem ganzen Umfang, so bietet sie den verwirrenden Eindrück pausenloser Geschäftigkeit. Eine Ausstellungshysterie ist über Europa und Amerika hereingebrochen,die künftige Chronisten zweifellos als historisches Novum festhalten werden. Wie sehr das heutige Kunstpublikum des Schlagwortes bedarf, zeigt der große Erfolg der nicht ganz sinnvoll als „Amerika-Ausstellung“ benannten Schau der Meisterwerke des Wiener Kunsthistorischen Museums, der wohl kaum ein ähnlicher Erfolg beschieden gewesen wäre, hätte man sie einfach als Neuaufstellung der rückgekehrten Kunstschätze bezeichnet.

Auf die inneren Gründe dieses Zustandes, auf die Disposition unserer Epoche für das schillernde, verführerische Phänomen der „Ausstellung“ wurde eingangs verwiesen. Die Tatsache, daß diese hektische, ziellose Betriebsamkeit bedenkliche Symptome vorweist, entbindet ihren Kritiker jedoch nicht von der Verpflichtung, ihr Positives zu erforschen.

Es gibt eine große Reihe von Ausstellungen, die in gewissenhaftester Weise über eine Künstlerpersönlichkeit, über ein bestimmtes ikonographische Thema oder über einen Stilabschnitt orientieren. Nicht nur gibt sich die Kunstforschung mit diesen Veranstaltungen verfeinerte und vertiefte Möglichkeiten der Werkanalyse in die Hand — sie legt überdies eine Art Bestandsaufnahme vor und gibt der Oeffentlichkeit Rechenschaft über ihre Tätigkeit. Ausstellungen dieser Art sind das Ergebnis ernsthafter Organisation, es geht ihnen nicht um den Rummel und die Publizität, sondern um das ideale Museum, das in seinen Mauern — wenn auch nur zeitweilig — eine möglichst umfassende Zusammenschau des jeweiligen Ausstellungsthemas gestatten soll. Nennt man diese großen, vielfach noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten, so berührt rrian zugleich einen Punkt, der zu den unerfreulichsten Aspekten der kulturellen Gegenwart hierzulande gehört. Wir meinen die mangelhafte Beschickung Oesterreichs mit Ausstellungen aus dem Ausland. Unser Land ist durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse zu einem unsicheren Boden geworden. Wer nur kann, kehrt ihm den Rücken und bringt seinen Besitz anderswo in Sicherheit. Die dreißiger Jahre haben bereits Wiens Bestand an namhaften Privatsammlungen verringert. Heute hat Wien seine drei bedeutendsten fürstlichen Privatgalerien (von denen eine die größte Europas ist) verloren, dazu kommt die der Hitler-Aera zum Opfer gefallene Sammlung Lanckoronski.

Dies verdient in Erinnerung gebracht zu werden. Denn diese empfindliche Lücke im Kunstbestand einer Millionenstadt wäre nur zu schließen, wenn es gelänge, dem Wiener Publikum zeitweilig eine bedeutende Schau von fremden Kunstschätzen vorzuführen.

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