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Der kluge Felix und der große Elefant

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Frankreichs Politik im „Schwarzen Afrika” südlich der Sahara ist gründlich durcheinander- geraten. Man hatte in Paris nicht damit gerechnet, daß eines der afrikanischen Territorien von de Gaulles Unabhängigkeitsangebot Gebrauch machen würde. Guinea jedoch hat sich am 28. September mit überwältigender Mehrheit für das Abenteuer der „nichtsubventionierten Unabhängigkeit” entschieden. Das war das Werk eines einzelnen Mannes, des 36jährigen Seku Ture, Regierungschefs des neuen Staates und Idols der gudnesischen Massen.

Gegenüber diesem neuen Stern der afrikanischen Politik hat Frankreich sich noch nicht für eine klare Politik entscheiden können. Geht es auf Seku Turės beharrlich wiederholte Angebote einer Fortführung der bisherigen Zusammenarbeit im Rahmen jenes französischen „Commonwealth” ein, das in der neuen französischen Verfassung vorerst noch ein weißer Fleck ist, so droht e6 damit in seinen anderen afrikanischen Territorien einen Erdrutsch auszulösen: die schwarzen Führer, die dort die Massen zum Verbleiben im französischen Herrschaftsbereich bewogen haben, kämen sich ge- nasführt vor, wenn Seku Ture so eine „Prämie für die Sezession” erhielte. Andere Mächte interessieren sich jedoch bereits angelegentlich für das Patronat über den jungen Staat, das Frankreich zu übernehmen zögert: Guineas Bauxitschätze übertreffen diejenigen von Südfrankreich und Ungarn ganz beträchtlich. Aus Bauxit aber macht man Aluminium und aus Aluminium Flugzeuge. Die Angelsachsen haben (zusammen mit Rom und Bonn) Guinea längst anerkannt, und als Abgesandte des Ostblockes hat bereits eine umfängliche Delegation der DDR Seku Ture ihre Aufwartung gemacht. Frankreich aber ist vorläufig noch im Schmollwinkel geblieben. Zwar hat es getreu de Gaulles Versprechen Guinea nach der Abstimmung sofort in die Unabhängigkeit entlassen, und die auf ihren Posten verbliebene französische Beamtenschaft bildet vorläufig noch die Armatur des jungen Staates. Aber Frankreich hat nicht nur die Subventionierung Guineas eingestellt. Es nimmt vorerst auch juristisch von seiner Existenz keine Kenntnis und sucht Seku Ture durch eine Reihe kleinerer Schikanen zu „bestrafen”.

Lange kann dieser kuriose Schwebezustand nicht weiterdauern. Innerhalb der mit atemraubendem Tempo ihrer Einheit bewußt werdenden afrikanischen Welt hat der Schritt Guineas eine gewaltige Erschütterung ausgelöst. Ob man nun mit einem Mitglied der schwarzen Elite von Senegal oder Ghana oder Kamerun zusammenkommt — immer gibt es nur ein Thema: Guinea, Guinea. Frankreich ist jedoch in einer Zwangslage. Jeder Versuch einer realistischen Einstellung zum Phänomen Seku Ture droht dessen Gegenspieler und treuesten Freund Frankreichs im Schwarzen Afrika zu verletzen: F ž 1 i x Houphouet-Boigny, immerwährender Minister in den französischen Regierungen der letzten Jahre.

Es ließe sich kaum ein größerer Gegensatz denken zwischen dem jungen Seku Ture und dem 53jährigen Arzt Houphouet. Der letztere ist bekannt für seine sprichwörtliche Ruhe. Dieser Angehörige der vermögenden Bourgeoisie des reichsten unter den französischen Territorien Afrikas, der Elfenbeinküste, könnte mit seiner zierlichen Gesta’t, seiner verbindlichen und vermittelnden, jedem Extremismus abholden Art ein „Radikaler” in dem so unradikalen Sinne dieser französischen Parteietikette sein. Absolute Haltungen sind ihm fremd, und brüske Kehrtwendungen verabscheut er. Er glaubt nicht an die Lebensmöglichkeit eines unabhängigen Afrika; in einer engen französisch-afrikanischen Symbiose sieht er den für seine Heimat einzig gangbaren Weg. Seine Politik ist darum auch eine ganz andere als die der „Jungen”: ihm geht es nicht darum, sich Schritt für Schritt zur Unabhängigkeit vorzukämpfen, sondern er sucht Frankreich zur Abschaffung jener Ungleich-’ heiten zu bewegen, die einer wirklichen Symbiose der geschilderten Art im Wege stehen. Ihm geht es nicht darum, Massen hinzureißen, sondern die Eliten durch vernunftmäßige Argumente zu überzeugen.

Da ist Seku Ture von ganz anderer Art. Als er mit General de Gaulle diesen Sommer in die guinesische Hauptstadt Konakry einfuhr, mußten die französischen Ortskundigen die Gäste aus Paris darauf hinweisen, daß der stürmische Beifall der Masse nicht de Gaulle gelte. Der Ruf „Der große Elefant kehrt zurück!” galt vielmehr Seku Ture. Und wirklich hat der guine-, sische Staatschef neben seinem persönlichen Rivalen Houphouet etwas von dem gewaltigen Herrscher der afrikanischen Wildnis. Man glaubt es dem Mann mit dem breitflächig zugehauenen Gesicht, daß er von dem Erobererfürsten Samory abstammt. Zugleich aber ist er, was ihn ebenfalls von dem Akademiker Houphouet unterscheidet, als Gewerkschaftsführer nach oben gekommen. Seine über Guinea hinausreichende Machtstellung, die ihn nach Houphouet zum zweiten Präsidenten der größten Afrikanerpartei, des RDA (Rassemblement Democratique Afri- cain), hatte werden lassen, war in seinem Amt als Generalsekretär der Negergewerkschaft UGTAN (Union Generale des Travailleurs de TAfrique noire) verankert. Der von einem sagenhaften Kondottiere abstammende Arbeiterführer das ist etwas anderes als der bisherige, nach dem Modell der französischen Parlamentarier geformte Typus des Negerpolitikers.

Die Gegner Seku Turės in Paris zeichnen ihn gerne als totalitären Diktator. Dazu reizt natürlich seine autoritäre Art an und die unerhört straffe Disziplin seiner politischen Anhängerschaft. Auch seine Faszination auf die Frauen wird hervorgehoben; er habe die Männer schon dadurch in der Hand, daß er die Frauen jederzeit zu einem Streik der Lysistratä aüfrüfen könnte, der einhellig’befolgt würde, Und dann wird auf seine vor einigen Jahren unternommene Studienreise nach Moskau hingewiesen, von der er als überzeugter Marxist zurückgekommen sei. Solche Behauptungen allerdings übersehen die bloß „instrumentale” Bedeutung solcher Anleihen; für die jungen Negerpolitiker ist in ihrem Kampf für die Einheit und Unabhängigkeit Afrikas jede Waffe aus dem vArsenal von 1789 (und 1917) recht.

Im übrigen ist dem Zerrbild Seku Turės mit ebensolcher Methodik ein Zerrbild seines Rivalen gegenübergestellt worden. Für die „Jungen” unter den schwarzen Politikern wird Houphouet mehr und mehr zu einem Mann, den die Leimruten der Pariser Ministerehren seiner Heimat entfremdet hätten. Seku Ture wird daneben zum Inbild eines Mannes, der sich nicht habe „6nt- afrikanisieren” lassen. Trifft nicht gerade auf seine ungestüme Art jener Spruch eines Negerpolitikers zu: „Der Mann, der Afrika rettet, wird aus dem Busch kommen.”

Die außerafrikanischen Mächte müssen sich auf jeden Fall damit abfinden, daß Seku Ture— teils aus eigener Kraft, teils durch Fehler der französischen Afrikapolitik — für die junge, zur Macht drängende Generation der Afrikaner zu einem Symbol geworden ist, das schon heute Ghanas dynamischen Staatschef Nkrumah überschattet. Das zeigt sich schon an den Solidaritätsbewegungen für Guinea, die sowohl in den unabhängigen Staaten Afrikas wie auch in den französischen und englischen Besitzungen überall im Entstehen sind. Im Schritt Guineas zur Unabhängigkeit sieht man das Beispiel dafür, daß Afrika erst zu seiner „eigenen Persönlichkeit” kommen müsse, ehe es sich den weißen Mächten auf gleich zu gleich föderieren könne. Die „Vereinigten Staaten von Afrika seien die notwendige Voraussetzung zu einer solchen Entwicklung. Houphouet-Boigny hat sich verhaßt gemacht durch seine bekannten Widerstände gegen größere territoriale Zusammenschlüsse in Westafrika, die in seiner Befürchtung ihre Wurzel haben, die reiche Elfenbeinküste müsse dabei die Hauptkosten tragen. Das wird ihm als „Separatismus” ausgelegt. Seku Ture hingegen ist durchaus zuzutrauen, daß er im Sinne jener „Vereinigten Staaten” davon träumt, der Bolivar von Afrika zu werden. Haben nicht Prophezeiungen — und welche Macht haben Prophezeiungen in diesem Kontinent — dem heute 36jährigen Seku Ture vorausgesagt, daß er mit vierzig Jahren ein neuer „Mahdi” sein werde?

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