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DER MAGIER DER BÜHNE

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Am 9. September 1873 wurde er in Baden bei Wien geboren, am Salzburger Landestheater, damals noch Stadttheater, fand Max Reinhardt sein erstes größeres Engagement. Im Foyer und in den Wandelgängen dieses Hauses, das gegenwärtig nicht bespielt werden kann, wurde eine bemerkenswerte Ausstellung veranstaltet, die das Wirken als Schauspieler und Regisseur dieses außergewöhnlichen, dynamischen Theatermannes zum Thema hat. Als Initiator zeichnet die vor einigen Monaten von einem Gremium österreichischer Theaterforscher gegründete „Max-Reinhardt-Forschungs- und Gedenkstätte“, an deren Spitze die Wiener Universitätsprofessoren Margret Dietrich und Heinz Kindermann stehen. Ihr Anliegen ist eis, zu einem Zentrum wissenschaftlicher Publikation, Pflege, Betreuung, Auswertung und Sammlung Reinhardtscher Hinterlassenschaften zu werden, zu einem Institut internationaler Reinhardt-Forschung. Schon in der kurzen Zeit ihres Bestehens konnte eine Fülle kostbarer Quellenmaterialien erworben werden, aus deren Beständen — ergänzt durch Leihgaben aus Theatersammlungen in Wien, Köln und Hamburg, sich die diesjährige Ausstellung zusammensetzt. In den nächsten Jahren soll sie erneuert, ergänzt und mit neuen unveröffentlichten Objekten komplettiert werden: eine ständige Einrichtung, die zugleich Rechenschaftsbericht der Forschungsstätte darstellt.

E rwartungsgemäß und sicher auch richtig stellte die diesjährige Ausstellung eine chronologische Übersicht, einen Querschnitt durch das Leben Reinhardts, dar, in der nur einige spezielle Gebiete — Reinhardts „Sommernachtstraum“ und Antikeinszenierungen — zum Festspielsommer 1966 Verbindung hersteilen. Rein äußerlich ist die Ausstellung wienig übersichtlich und etwals konventionell von Architekt Wallnöfer in den vorhandenen Raum gestellt worden. Geringe Mittel sollten kein Hindernis für Formschönheit und praktische Erwägungen sein!

Zu den wohl interessantesten Abschnitten der Salzburger Schau gehören diejenigen, in welchen Max Reinhardts Anfänge dokumentiert werden. Eines der ersten Photos zeigt das Sulkovskysche’ Eleventheater seines Lehrers Maximilian Strebens in Matzleinsdorf, in dem sich Anfänger das Recht auf Rollen kaufen konnten. Reinhardt war wenig bemittelt und konnte nur kleine Rollen erwerben. Das waren meist die Alten, die zudem wenig Kostümvarianten benötigten. Aus der Not wurde wahrhaftig eine Tugend — Reinhardt zeigte bald einen Hang für das ältere Fach, in dem er Erstaunliches leistete. Bruno Frank schrieb in seiner Novelle „Der Magier“: „Als ganz junger Mensch hatte er einen Alten gespielt, den Großvater eines Mädchens, das dem ungeliebten, reichen Mann zum Altar folgen sollte. Und so erschütternd ist sein Kummer gewesen, daß das Mädchen in Tränen ausbrach... und die Vorstellung frühzeitig abgebrochen werden mußte!“

Uber das Volkstheater Rudolfsheim und das Sömmer- theater Preßburg kam Max Reinhardt nach Salzburg. Mit ihm wurden zwei andere junge Schauspieler engagiert: „Max Marx, der sich in Sarajevo und Olmütz als Charakterkomiker bereits die ersten theatralischen Sporen verdient hatte, und Berthold Held, etwas älter als Reinhardt, aber wie er ein Neuling auf den weltbedeutenden Brettern. Die drei waren in Salzburg unzertrennlich, mit Held ergab sich eine engste Freundschaft für das ganze Leben.“ (Franz Hada- movsky „Reinhardt und Salzburg“.) Von allem Anfang an scheint sich Reinhardt in Salzburg sehr wohl gefühlt zu haben. Später erklärte er: „Ich bin mit keinem Ort der Welt mehr verknüpft als mit Salzburg. Ich lebte hier als Kind, ich entsinne mich abenteuerlicher Fahrten von Salzburg aus... ich erinnere mich vor allem an meine theatralischen Anfänge am Salzburger Stadttheater. Das alles — und wohl auch die herrliche Landschaft mit der einzigartigen Architektur — ließen mich hier ansiedeln und immer wiederkehren.“ Er fand vor allem in dieser Stadt seine erste theatralische Bestätigung und Anerkennung. Ein immenses Rollenrepertoire mußte bewältigt werden: In der Spielzeit 1893/94 gab er 49 Rollen in 175 Tagen! Nach dem Goetheschen Wort „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“ half sich der Theaterdirektor aus der Not, und so jagte ein Stück das andere. Reinhardts streng eingehaltenes Fach wies ihn als Charakterdarsteller, vor allem für Intriganten, aus. Sein heimliches Vorbild trug ihm bald den Spottnamen „Taschen- Lewinsky“ ein! Offensichtlich brachte ihm das viel Glück, denn bald stach er aus dem Ensemble. Im „Volksblatt“ vom 5. 10. 1893 schreibt der Rezensent über die „Maria Stuart“: „Reinhardt als Burleigh ist an erster Stelle zu nennen. Er charakterisierte diesen englischen Staatsmann scharf und richtig. Dabei bewährte sich Herr Reinhardt als ein tüchtiger Sprecher, der den Fluß der Rede voll und ganz beherrscht.“ Neben Klassikern spielte er — wie die aufliegenden Theaterzettel beweisen — Reinhold im „Müller und sein Kind“, den Wurzelsepp im „Pfarrer von Kirchfeld“. Berengar im „Talisman“, Grillhofer im „G’wissenswurm“' oder den Glücksnummern verkaufenden Hausierer im „Lumpazivagabundus“, um nur einige zu nennen.

Von Salzburg holte Otto Brahm, der „Vater des Berliner Naturalismus“, Max Reinhardt an das Berliner „Deutsche Theater“, von wo nun sein weltweiter Ruhm seinen Ausgang nahm. Am 6. September 1894 trat Reinhardt als Theres in Grillparzers „Esther“ zum erstenmal in Berlin auf und blieb bis zum Ende des Jahres 1902 Schauspieler bei Brahm. wo er auch mit Ibsen und Strindberg in engere Berührung kam. Dann trennte er sich von Brahm, weil ihm der Naturalismus zuwider wurde, „denn dieses Kleben am Boden hinderte ihn, einem seiner stärksten und produktivsten Wesenszüge zu folgen: einem Schweben über dem Realen, traumhafter Erfüllung des tiefsten Sinnes dies Theaters“ (Hadamovsky).

Schon ein Jahr zuvor hatte er oppositionell seine erste Bühne gegründet: „Schall und Rauch“ nannte die junge, ambitionierte Schauspielergruppe das kleine Theater mit dem üppigen Jugendstilportal. Die satirischen Szenen, kabarettistischen Nummern und Einakter hatten solchen Erfolg, daß bald ein Repertoirebetrieb sich entfalten konnte. 1902‘spielte man unter dem neuen Namen „Kleines Theater“ Wedekinds „Erdgeist“, Gorkis „Nachtasyl“ und Wildes „Salome“. Letzteres unter der (ersten offiziellen) Regie Max Reinhardts mit Tilla Durieux und Gertrud Eysoldt alternierend in der Hauptrolle. Zwei regieliche Besonderheiten Reinhardts treten bereits hier in Erscheinung: die geforderte schauspielerische Beweglichkeit, indem die Rollengebiete variiert werden (die Durieux gab an manchen Abenden auch die Hero- dias), und die Heranziehung von Malern für das Bühnenbild, wobei er bahnbrechend für den deutschsprachigen Raum und damit für das moderne Bühnenbild wurde. Dovis Corinth, Mitglied der Berliner Sezession, entwarf zusammen mit dem Bildhauer Max Kruse das Bühnenbild: Wenige plastische" Bauteile umfassen die ansteigende Terasse des königlichen Palastes. Auf dem Rundhorizont — zum erstenmal in Corinths „Peleas-und-Melisander“-Ausstattung im gleichen Theater verwendet — sind ganz unten die ferne Stadt und darüber der tiefblaue nächtliche Sternenhimmel gemalt. Grünliches Mondlicht fängt die Schwüle der orientalischen Nacht ein. Die Kostüme stellen die assyrisch-orientalischen Vorbilder durch die Kühnheit des Schnittes und den Rausch der Farben weit in den Schatten. Corinths Portrait der

Eysoldt als Salome kann annähernd eine Vorstellung vermitteln.

Ganz neu und ohne jegliche Anlehnung an eine konventionelle Bühnenantike zeigt sich auch sein Bühnenbild zur „Elektra“ — Uraufführung von Hofmannsthal: Plastische Blöcke umgeben einen archaischen Hinterhof, in den blutrotes Licht fällt. Den Bühnenbildnern bei Reinhardt ist eine eigene

Abteilung in der Ausstellung gewidmet, hier wird die Fortsetzung dieser Anfänge durch Emil Orlik, Oskar Strnad, Ernst Stern und Karl Walser demonstriert. Der total auf eine Drehbühne gebaute „Kaufmann von Venedig“ zum Beispiel ist im Modell zu sehen.

1903 leitet Reinhardt neben dem „Kleinen Theater“ auch das „Neue Theater“. Reinhardt hatte als Regisseur sein ureigenstes Bewährungsfeld gefunden. Ein neuer Inszenierungsstil hob an. Packende Photos geben Beispiele seiner Massenregie: Im Zirkus Schumann inszenierte der Magier die „Orestie“ mit Moisisi in der Titelrolle. Emil Orlik riß den Boden durch Treppen auf und bot so- Reinhardt die Möglichkeit dynamischer Bewegung der Chöre. 1910 veranlaßte Reinhardt den Umbau des Zirkus Schumann in das „Große Schauspielhaus“ um einen adäquaten Raum für seine Großrauminszenierungen zu erhalten. Mit Türmchen und Säul- chen wirkte der von Hans Poelzig entworfene Bau wie eine riesige Tropfsteinhöhle... Interessant ist die Dreiteilung des Bühnenraumes in vorgebautes Orchester, Vorbühne und Oberbühne — jeweils für Massenszenen, Einzeldarstellung und Dekorträger.

In Bilddokumentation und Theaterzetteln wird die Zusammenarbeit Paul Wegeners mit Reinhardt gezeigt. Alljährlich soll ein anderer seiner großen Mimen folgen. Denn Reinhardt war ein Menschenführer und Talententdecker wie es selten einen gab. „Es wimmelte ihm zu, was in sich den Funken verspürte, überzeugt, er werde ihn zur Flamme an- , blasen. Er besaß die Kraft. Er war wie ein Magnet, der das Gold aus der Schlacke hervorzog. Tradition kannte er nicht. Er fing überall neu an“, formulierte Bruno Frank ...

Einen breiten Raum nehmen seine „Sommernachtstraum“- Inszenierungen ein. Das Stück fesselte Reinhardt. In Berlin, München, Florenz, Venedig, Oxford, Wien, Salzburg und Salzburg und nochmals Salzburg, im Schloß Kleßheim, maß er seine Kunst daran. Von romantischen Einflüssen bewegt, stellte er vorerst einen wirklichen nordischen Wald, mit echten Bäumen und Moos, auf die Bühne, um nur acht Jahre später eine streng klassische Idee (im „Deutschen Theater“) zu verwirklichen. 1927 bei den Salzburger Festspielen wurde ein Barockfest daraus, mit Pantomime und Tanz. Spielereien in der Besetzung gab es auch hier: Immer sind es, wie die Photos zeigen, knabenhafte Damen, die den Puck spielen. Die Mär erzählt, daß Reinhardt keinen hinreichend begabten Mann dafür finden konnte. (Nur ein einziges Mal, bei einem Gastspiel in Wien, gab Moissi den Puck.! Einmal aber fand er dann doch die Erfüllung seiner Vorstellung in Mickey Rooney, dem unvergeßlichen Waldgeist seines „Sommer- nachtstraum'-Films. Die andere Spielerei bestand in der Beisetzung des Oberon mit Tilla Durieux!

Auch der Salzburger „Faust--Aufführung Reinhardts mit der legendären Fauststadt Clemens Holzmeisters (die im Modell vorliegt) mit Paula Wessely, dem unvergessenen Gretchen, und Ewald Baiser als Faust wird in einer besonderen Abteilung der Schau gedacht. Daneben liegt das originale Regiebuch Reinhardts: Ein Dokument wohl unschätzbaren Wertes. Der Anfang sei hier zitiert:

Es wird Abend. Die Stadt geht schlafen. In den Fenstern wird es hell. Glockenläuten. Mägde am Brunnen. Lieder. Nachtwächter. Hundebeilen. Menschliche Stimmen singen. Ein Horn. Studenten aus dem Keller gröhlend nach Hause torkelnd. Eine Frauenstimme. Fenster, Tore werden geschlossen. Ketten, Riegel. Die Lichter erlöschen allmählich. Orgel. Dann ähnliche Geräusche aus der Ferne: Glocken, Stimmen, Hundebeilen, Lieder. Zum Schluß wie eine Luftspiegelung: Sphärische Glocken, Fernwerk der Orgel, leiser, heller, kaum erkennbarer Gesang. Tiefes Summen anwachsend zu hellem überirdischen Klang, der die Stimmen der Engel begleitet.

Unten ist es dunkel geworden. Nur Faust ist, bei seiner Lampe sitzend, im Fenster seiner Studierstube sichtbar.

Oben auf der Höhe, hellt es sich allmählich auf. Ein magisches Licht, das die Landschaft auf dem Berg zu einer ganz irrealen verwandelt.

Silberne Bäume auf silbernen Wolken. Die himmlischen Heerscharen. Vorne die drei Erzengel.

Raphael: „Die Sonne tönt nach alter Weise ...“

Reinhardt war ein Magier des Theaters; nur mit seinen Ideen bezauberte er eine ganze Welt. Seine Gastspielreisen sind dafür ein beredtes Zeugnis. Theater in solchem Glanz in Farben und Klang und Menschenreiz hatte man zuvor nicht erlebt ,„ .. das bunte Daseinsfeuer, das hier von der Bühne brannte, war freudigster Schein über einer glücksüchtig taumelnden Welt!“1 (Bruno Frank). — Diesem Manne eine Gedächtnissitätte großen Formates zu widmen, bedeutet eine der schönsten Bereicherungen der Salzburger Festspielel

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