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DER MANIPULIERTE MENSCH

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TT eine Nachricht aus der Filmwelt hat seit dem Tod von james AV rjean ejn ^cno von solcher Intensität ausgelöst wie die vom Tode Marilyn Monroes. Dies geschah auf eine Weise, die darauf schließen läßt, daß ihr Sterben eine Kettenreaktion von Emotionen auslöste, die in keiner rational faßbaren Relation zu ihrer Bedeutung als Mensch und als Künstlerin stehen, dafür aber um so symptomatischer für bestimmte Aspekte der geistseelischen Situation unserer Zeit sind. Dies ist umso besser verständlich, je schärfer man ins Auge faßt, wie sehr ihre Existenz, vom Beginn ihres kometenhaften Aufstiegs vor knapp zehn Jahren über die Prägung ihres Typs und ihrer Rollen bis zu ihrer Todesstunde, als Funktion vornehmlich un- und halbbewußter kollektivpsychologischer Kräfte zu begreifen ist. Der Blick auf etliche Ereignisse ihres Lebens und auf mehrere beredt einhellige Details der Reaktion auf ihren Tod wird dafür aufschlußreich sein.

- ^“orma Jean Baker, so lautet ihr bürgerlicher Name, war in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre, knapp zwanzigjährig, einfache Arbeiterin, Spritzlackiererin in einer Fabrik, eine unter vielen im anonymen Millionenheer der berufstätigen Frauen Amerikas. Hinter sich hatte sie eine flüchtige Ehe mit einem Soldaten, vor sich die Aussicht, ihr Leben in tristen Verhältnissen zu verbringen. Da kreuzt ein Photograph ihren Weg. Man lebt in einer Zeit, da das Pin-up-Wesen, die Verbreitung knallig-bunter Mder leichtgeschürzter Mädchen, als Relikt des Kriegs, immer noch en vogue ist und, unter anderem wohl auch als Reaktion auf generationenlangen Puritanismus, noch weiterhin bleiben wird.

Der Photograph kreiert Norma als Pin-up-Girl. Ihr Typ, entsprechend zurechtgemacht, schlägt ein, ihre Gestalt, ihr hübsches, lebenshungriges, etwas simples Gesicht mit dem stereotyp strahlenden Lächeln setzt sich durch. Sie avanciert, zum erstenmal vom Votum einer letztlich namenlosen Gunst getragen, rasch zu einem der meistbeschäftigten und höchstbezahlten Photomodelle der USA. Welchen Einfluß diese erste, auf keiner geistigen oder persönlichen Leistung beruhende Blitzkarriere, als aufreizender Vorgeschmack einer nun in den Bereich des Möglichen liegenden Filmlaufbahn, auf die junge Frau hatte, ist wicht leicht abzuschätzen. Sicher ist jedoch, daß diese kleine Schilderhebung zum Pin-up-Idol der Massen, betrachtet man die dahin führenden Selektionsvorgänge, nicht Norma Jean Baker, nicht auf die einmalige, unverwechselbare Persönlichkeit eines Menschen abzielte, sondern auf ein seelisch wie geistig leeres Modell des Sexy-Hexy-Typs. Das heißt, daß der hinter diesem Modell stehende Mensch, durch Make-up und Art der Photographie in Gestalt, Farbe und' Kontur des vorgefaßten Modells'hineingepreßt, an sich durch jede beliebige, diesen Vorstellungen entsprechende Person austauschbar war.

Hier werden Phänomene sichtbar, die bereits zahlreichen soziologischen und psychologischen Untersuchungen unterworfen wurden und, folgt man der Terminologie David Ries-mans, jenseits der Schwelle des Übergangs von der innen- zur außengeleitetem Gesellschaft liegen Charakteristisch für die Medien der Außenleitung, zu denen neben der Reklame sämtliche Massenkommunikationsmittel, so auch die Bildserien der Comics (mit den Gestalten des Superman oder des Plastic Man *= Gummimensch) gehören, ist, daß es nirgendwo auf den inneren Charakter, sondern allein auf Äußerlichkeiten, die bis ins kleinste Detail der Kleidung oder Sprache wiedergegeben werden, ankommt. Die bisher erarbeiteten Ergebnisse über diese Gebiete auch nur zu skizzieren, führte über den Rahmen unserer Betrachtung hinaus, der Leser sei unter anderem auf die einschlägigen Werke von Gorer, Margaret Mead, Hofstätter, Schelsky, Gehlen hingewiesen.

Die Fragen, auf die es sowohl mit dem Blick auf das Schicksal •Norma Jean Bakers wie bezüglich der Rolle, die sie noch, halb freiwillig, halb unfreiwillig, zu spielen haben wird, ankommt, lauten: Vermochte sie sich in den Millionen Pin-ups, die nun in den USA erscheinen, wiederzuerkennen und sich mit ihnen zu identifizieren? Wie weit reichte bei ihr nach solcher Konfrontation die Empfindung der Selbstentfremdung? War sie imstande, dieses schockhafte Erlebnis innerlich zu verarbeiten und positiv nutzbar zu machen? Oder wurde sie — wenn ja, in welchem Maß? — selbst zum Opfer des aus ihr fabrizierten, letztlich durch menschlichen Substanzraub bis in die Tiefe verfälschten Bildes, dem sich zu entziehen sie nicht die Macht und wohl auch nicht die Absicht hatte?

Was nun folgte, waren Versuche, Kontakt mit Hollywood zu erlangen, die zunächst mißrieten, war die Aufgabe des einzelnen Namens und seine Ersetzung durch das Pseudonym Marilyn Monroe, in solcher Situation ein zusätzlicher Identitätsverlust, ein von ihren Partnern dieser Periode wie von ihr selbst betriebenes Fit-Machen, ein Präparieren ganz im Sinn der Pin-up-Funktion. Nun kam, und zwar — das ist bezeichnend für den Gesamtvorgang — gleichzeitig mit dem Skandal, der aufflammte, da sie sich als Aktmodell hergegeben, ein erster Film mit einem Außenseiterproduzenten und darnach der erste Hollywood-Vertrag.

Der Skandal verebbt sogleich, als Marilyn, wie sie nun heißt und als welche sie sich fühlt, erklärt, sie hätte das Geld, das sie für die Aktaufnahme erhielt, für die Miete gebraucht. Die Gesellschaft, durch dieses unwahre Geständnis eines „armen Mädels“, das sie längst nicht mehr ist, in sentimentale Rührung versetzt, verzeiht ihr mit Vehemenz, und der zweiten Blitzkarriere steht nichts mehr im Weg, ja ihr ist nun erst recht der eigentliche Weg bereitet.

Hollywood greift das geworfene Hölzchen auf, stempelt Marilyn zur „Sex-Bombe“ (dieser Terminus wurde für sie erfunden) und investiert Riesensummen darein, den Namen der Sechsundzwanzigjährigen populär zu machen. Der Generalangriff des Großmoguls und Allherrschers der 20th Century Fox, Spyros Skouras, gelingt, binnen Jahresfrist ist Marilyn für jedes Kind in den Vereinigten Staaten ein Standardbegriff. In rascher Folge entstehen drei Filme: „Asphaltdschungel“, „Niagara“ und „Wie angelt man sich einen Millionär?“ mittelmäßige Streifen, in denen Marilyn, künstlerisch beurteilt, keine bessere Leistung als die einer halbwegs talentierten Statistin vollbringt. Die volle Wirkung als Sexy-Symbol war allein durch weitgehende Absenz von Geist, Kunst und Persönlichkeitsentfaltung erzielbar. Der Erfolg dieser ebenso im Zeitgeist liegenden wie machiavelli-stischen Meisterleistung des Managements ist unbeschreiblich: dlie Dollarmillionen prasseln wie Hagelschlag in die Kassen der Fox, Marilyns Aufstieg wird mit dem der Garbo und Chaplins verglichen, >sj£ avanciert, so man den Slogans trauen darf, zum „ergiebigsten Goldesel“ aller bisherigen Filmzeiten. Das Ziel ist in dreifacher Weise erreicht: die Fox scheffelt Mammutprofite, die Massen haben das in Kenntnis ihrer Psychologie sorgfältig adaptierte Idol, Marilyn ist Spitzeostar.

A ls solcher, das ergab sich wie von selbst, heiratete sie ihr männliches Gegenstück, Joe di Maggio, zu dieser Zeit als Baseballstar ein Sportidol der amerikanischen Jugend. Und Norma Jean Baker, die junge, simple Arbeiterin, die als Rohmaterial gedient hatte, wii'e stand es mit ihr? Gab sie es überhaupt noch? Darnach fragte niemand, auch sie selbst noch nicht. Jetzt entstehen die Filme „Blondinen bevorzugt“ und' „Das verflixte 7. Jahr“, deren Niveau etwas höher ist und in denen Marilyn ein beachtliches komisches Talent zeigt. In diese Zeit fällt die Scheidung von di Maggio und mit der Beziehung zu Arthur Miller, der als bedeutendler Dramatiker ein Sinnbild des Geistes iist, eine vorläufige Schicksalswendung. Marilyn sagt, mit dem Ziel, zur Filmkunst durchzustoßen, Hollywood ab, dreht in London mit keinem Geringeren als Lawrence Olivier einen Film, kehrt aber, durch neue Verträge gelockt, doch wieder nach Hollywood zurück, wo ihre beiden besten Filme, „Manche mögen's heiß“ und „Machen wir's in Liebe“, zwar durchaus auf der Linie des nun einmal forcierten Typs, doch differenzierteres Spiel, das höhere Zukunftsaspekte andeutet, ermöglichen. Nun kommt, nach einem Drehbuch Arthur Millers, als Partnerin Clark Gables, „Misfits“, ein künstlerisch ambitionierter, doch nicht durchaus gelungener Film. Und, völlig überraschend, die Scheidung von Miller.

Marilyn steht, auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn, allein. Seit Jahren ist sie in psychiatrischer Behandlung, ihre Nerven versagen, sie braucht, um Schlaf zu erlangen, ständig steigende Dosen wirksamer Drogen. Ist sie durch das rasante Leben im Reichtum verbraucht? Ist ihr die Rolle als perfekt manipuliertes Idol, eine Rolle, die, wenngleich in der Nähe ihres Ichs, aber doch außerhalb desselben angesiegelt ist, unheimlich geworden? Sieht sie keinen Weg mehr, zur Identität mit sich selbst zurückzufinden? Fragen über Fragen, die heute noch nicht beantwortbar sind. Die Entwicklung hat etwas unentrinnbar und unheimlich Mechanisches an sich. Marilyn geht jetzt mit „Something got to give“ ins Atelier, abwechselnd sich gehen lassend oder krampfhaft um Haltung bemüht, sie versäumt Drehtag über Drehtag, schuldbewußt (sie ist jetzt wirklich hilflos und damit wahrhaft rührend) und beflissen greift sie zum ältesten und banalsten Gag: sie liefert, wie einst zu Beginn ihrer Karriere, freiwillig eine Szene als Unbekleidete, die prompt als Rekiameskandal um die Welt geht, und fehlt abermals bei den Dreharbeiten. Dies ist in einem Moment, da die Disziplinlosigkeiten der Liz Taylor (als „Cleopatra“) die Fox bereits 30 Millionen Dollar gekostet haben. Titan Spyros Skouras, dessen Stuhl wackelt (bald darauf muß er die Fox, sein ureigenstes Lebenswerk, verlassen), entläßt Marilyn in einem Augenblick der Panik fristlos. Eine Depression ist die Folge, der Schlaf flieht sie mehr denn je Sie konsultiert, in erbärmlicher Verfassung, ihre Ärzte und Psychiater. Am Morgen des 5. August, wird sie, neben sich leere Phiolen eines starken Schlafmittels, tot auf ihrem Lager gefunden.

Was nun kommt, ist die Schockwelle, von der unsere Analyse ausging. Die Massen ebenso wie die Kommentatoren, gleich betroffen, reagierten gleichartig. Aus der Erkenntnis, hier sei ein Mensch, gleioh ob er dazu mithalf oder nicht, gleich welche ethischen oder geistigen Tugenden er besaß oder nicht besaß, restlos überfordert und vergewaltigt worden, wird sofort (obwohl die Überdosis des Schlafmittels, worauf auch der Polizeibericht deutet, auch versehentlich eingenommen worden sein könnte) allein die Selbstmordthese akzeptiert, was dem sicheren Gefühl für den Menschenverschleiß, den unsere Zivilisation auf ihrem gegenwärtigen Stand betreibt, entspricht. Und, zweitens, in der Panik vor der Tatsache, daß es sich dabei um einen Automatismus von annähernd schicksalhaftem Rang handeln könnte, für den niemand und doch zugleich die Gesamtheit des Kollektivs haftbar wäre, wird ein Sündenbock gesucht. und (auch das ist typisch) nicht in EinzeJmenschen, sondern in einem letztlich anonymen Apparat, in Hollywood als einem Machtkörpermodell unserer Zeit par excellence, gefunden.

A 11 dies stellt nichts anderes als die Flucht vor der Grund-** tatsache dar, daß unser Geschlecht im Bann der Pseudo-und Ersatzgottheiten steht, die es, in tiefster Seele unbefriedigt, instinktivem Drängen blindlings gehorchend, am laufenden Band aufstellt und wieder zerstört, Ersatzgottheiiten, vor deren leeren Masken es bis in die Träume, bis in den Tod hinein gejagt wird. Derartige Erscheinungen als zu Zeitenwenden gehörig zu erkennen, muß nicht heißen, sich mit ihnen abzufinden, sondern, durch sie herausgefordert, um so kraftvoller nach Verbindung mit der ewigen Wahrheit zu trachten. So gesehen wollen wir in Furcht und Mitleid unser Haupt vor dem Grab Norma Jean Bakers entblößen, die in den ihrem Tod vorangegangenen Tagen einer der unglücklichsten und verlassensten Menschen der Welt war: als Opfer einer Epoche, die aus ihren Konvulsionen mit herauszuhelfen, gleich wo er stehen mag, jeder aktive Geist aufgerufen ist.

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