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Der Mensch in der Kunst

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Der graue (oder rauchbraune oder blaßgrüne oder schwarzblaue) Ausstellungsalltag unserer Gegenwart kennt nur noch zwei Alternativen: Kringel, Flecken und Arabesken als Ausdruck verklausulierter schöpferischer Ausflüchte, und Kringel, Flecken und Arabesken, hinter denen sich nichts als das schlichte Nichtskönnen Verbirgt. Beides steht nur für sich da, Selbstzweck, Eigenform, beziehungslose Demonstration privater Eigenheiten, niemandem zu Nutz, nur gelegentlich ein Auge im Vorübergehen erfreuend. Das Abbild des Menschen ist, nur noch pls Rudiment ten seiner selbst. Wir wollen nicht rechten — begeben uns aber um so lieber zwei- und dreimal in die Weihburggasse, in die Galerie Würthle, zu einer großen, hinreißenden, befreienden Ausstellung, die den Namen — und nicht nur den Namen — „Der Mensch in der Kunst“ trägt.

Diese Ausstellung ist ein Festtag. Festtag der abbildenden Zeichenkun6t, die zum Großteil fünfzig bis zv/anzig Jahre alt ist, aber gültig blieb bis auf den heutigen Tag. Festtag bei den großen Schöpfern der europäischen' Malerei: bei Beckmann und

Picasso, bei Matisse und Munch, bei Nolde und Toulouse-Lautrec, bei Cézanne und Gris, bei Schlemmer und Gromaire. 93 Aquarelle, Holzschnitte, Lithos und Zeichnungen: Porträts, Bewegungsstudien und Aktskizzen und Verstrickungen und Deutungen und Beispiele des Menschen. An Hand von psychologischen Programmen und ästhetischen und geistigen Analysen dargestellt. Häufig ist es expressionistisch, einiges ist kubistisch, das meiste ist unverkäuflich, alles ist mitreißende Kunst. Ausweis eines Jahrhunderts. Trost bei Rodin und Léger, bei Wotruba und Käthe Kolwitz, bei Kubin und Heckei. Unter den Oesterreichern dominieren Boeckls in vitalen Farben glitzerndes Aquarell eines liegenden Aktes in enger Nachbarschaft zu Schieies 1914 signiertem Aquarell eines Mädchens, daneben Kokoschkas prachtvolle Handschrift, daneben Blätter aus Klimts Skizzenmappe.

Verkäuflich (und zwar von weniger als hundert Schilling an), indes nicht minder instruktiv, repräsentativ für das Menschenabbild in der Kunst und nahezu vollzählig, was die großen Namen unserer Zeit betrifft, ist .die Ausstellung „Das kleine Format — internationale Graphäk von Arp bis Vlaminck“ in der Galerie Verkauf. Die École de Paris ist unter anderem mit sehr schönen, signierten Blättern von Braque, Cézanne, Chagall, Laurencin, Marcoussis, Matisse, Miro, Picasso und Renoir vertreten, unter den Expressionisten kann man zwischen Corinht, Ensor, Heckei, Kandinsky, Käthe Kolwitz, Liebermann, Munch und Schmidt-Rottluff überaus günstig wählen, und aus der österreichischen Graphik stehen Kokoschka, Ernst Fuchs, Lehmden. Hutter und ein Porträt (1914) von Schiele in dem ihnen zukommenden Vordergrund.

Im Wiener Dom-Verlag auf der Seilerstätt stellt Wolfgang E r b e n s seine in klaren, rein-leuchtenden Farben ersonnenen Variationen zum Thema Raumaufteilung aus. Der junge Maler zeigt uns durch scharfe Zacken jeweils in zwei Teile zertrennte, dekorative Flächen, die als Demonstration der malerischen Farbgegeniiberstellungen gelten mögen: kontrastierend in Rot, Gelb und Blau. Die Zacken, abwechselnd in horizontaler und vertikaler Anordnung angebracht, können freilich auch als Einschnitte betrachtet. werden — je nachdem, welcher Farbfläche man gefühlsmäßig den Vorrang gibt. Das Gleichmaß der Komposition wird stets durch einen prallen Sonnenball hergestellt, der dort zu liegen kommt, wo er vom Blickpunkt einer intuitiven Symmetrie unerläßlich erscheint. (Erbens wurde im vergangenen Jahr in Rom als bester abstrakter Maler ausgezeichnet.)

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