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Der ornamentlose Otto Wagner

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Die Ausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien ist ein Ereignis, wenn auch ein spätes. Zu keiner Zeit freilich hätte sie mit solchem Interesse rechnen können. Auch der Architektur u n interessierte gewinnt etwas: viele der Zeichnungen find ja an ihn gerichtet.

Erzählende Baukunst

Das Plakat ist vorzüglich gewählt: eine Perspektive der Ehrenhalle des ersten Akademieprojektes. Dieser Entwurf sprengt den Rahmen von „Baukunst“ in großartiger Weise. Seine Wirkungen beschränken sich nicht auf die Materialien Stein, Metall, Glas und ihre Anordnung, auf konstruktive Einfälle wie die aufgehängten Vordächer. Andere Ebenen kommen hinzu: Assoziationen zu historischer Baukunst, naturalistische Pflanzenformen, figurale Skulptur und sogar das Wort: Begriffe wie „Dichtung“ und „Wahrheit“ werden beschworen. Die vier Säulen repräsentieren Jahrtausende der Architektur und ihre Werke; auf der letzten (ganz vorne) sind die Alhambra, der Stephansdom, die Peterskirche und die Wiener Staatsoper vermerkt. Die Architekturgeschichte ist — durchaus in der Weise von Joyce — durch das Zitat in den Griff genommen.

Diese breite Vielfalt der Eindrücke ist es, die auch dem unbefangenen Laien sofort in die Augen springt, die aber bei der Interpretation Wagners nur nach seiner funktionellen und konduktiven Leistung als überflüssige Ornamentik abfällt. Das Gedankenexperiment, sie abzunehmen und darunter das reine Werk zu finden, ist undurchführbar.

In der Katalogeinleitung von Otto Antonia Graf wird die Wagnersche Formenwelt wahrscheinlich erstmalig als Ganzes begriffen und nicht zwischen „Baukörper“ und „Ornament“ unterschieden. „Alle seine Bauten sind ein Kubus oder ein Prisma ... Alles

Schmückende ist akzessorisch“ (Dagobert Frey) war die bisher herrschende Theorie. „Man könnte sich ein Elementarereignis vorstellen, das das Unwesentliche von Otto Wagners Bauten herabwüsche und sie nicht verstümmelte, sondern zu konzentrierterer Wirkung erhöbe“ (Hans T i e t z e).

Das Elementarereignis hat an einigen Stellen stattgefunden und gezeigt, daß die große Fläche und der große Kubus Wagners nichts sind ohne die Knoten gesteigerter „Informationsdichte“. Es ist auch nicht so, daß die großen Formen die Notwendigkeiten widerspiegeln, während die kleinen der Zierde dienen. Alle Formen sind phantastische Erfindungen. Für Wagner war die Architektur abstrakte Kunst: „Sie allein ist imstande, Formen zu bilden, welche der Menschheit schön erscheinen, ohne das Vorbild in der Natur zu finden“ (1895).

„Ist der Hauptzweck der Ehrenhalle ein repräsentativer, so hat die Aula ganz bestimmten optischen und akustischen Zwecken zu dienen“, schreibt Wagner zu dem oben erwähnten Akademieentwurf. „Peinlich genaues Erfassen und vollkommenes Erfüllen des Zweckes (bis zum kleinsten Detail)“ — das ist seine andere Seite.

Tragische Disziplin

An Architekturschulen wird zuweilen zu Entwürfen ein „Funktionsschema“ verlangt, das heißt, die „Funktionen“ — gemeint sind die Wege, die Personen oder Güter im Bau zurücklegen müssen — sollen in die Pläne eingezeichnet werden, um deren Funktionsgerechtheit nachzuweisen. Dabei fällt kaum jemand auf, daß es natürlich um so sinnloser ist, Wege einzuzeichnen, je genauer das Bauwerk ihnen entspricht; und von einigen Grundrissen Wagners, bei denen die Funktionen wirklich in Wegen bestehen (Länderbank, Postsparkasse, Universitätsbibliothek, vor allem aber Stadtbahn), kann man tatsächlich sagen, daß sie der negative Abdruck ihres Funktionsschemas sind.

Im Falle des Miet- und Warenhauses verstand der großstädtisch denkende Wagner, daß die Funktionen wie beim Ausstellungsbau im Gegenteil ständig wechseln und daß daher möglichst beliebige, nichttragende Unterteilungen nötig seien. Aber den Begriff der Variabilität dehnte er nicht auf das Bauwerk als solches aus. Seine Bauten sind immer ein Ganzes im Sinne klassischer Baukunst; sogar die Stadtbahn ist in spannungsvoller Weise aus solchen Einheiten zusammengeschachtelt, nicht aus Elementen addiert. Und wenn er auch in einer späteren Schrift das zukünftige „fahrbare“, „zusammenstellbare“ Haus prophezeit, so ist sein Ziel doch immer der Bau von „ewiger Dauer“ etwas „nicht Vergrößerungsfähiges' von „Ernst und Würde“. Dazu sollte] die neuen Materialien und Konstruk tionen dienen. Über Paxtons Kristall palast ist keine Äußerung Wagner bekannt; er hätte ihn ebensowenij verstanden wie den Eiffelturm.

EXie plastische Phantasie unterdrückt

Nun war Wagner der Meinung, daß Form aus den „Prämissen“ (Zweck, Material, Konstruktion) entstehe und „von selbst in die Feder“ fließe. Er empfand seine plastische Phantasie schließlich als unzeitgemäß und unterdrückte sein großes Talent (etwa ab der Lupusheilstätte) — eine tragische Disziplin. Freilich lag das im Sinne einer Entwicklung, aber man muß sagen, daß die späten Arbeiten jenen Reichtum an assoziativen und thematischen Wirkungen aufgegeben, ohne in konstruktiver oder funktioneller Hinsicht weiterzugehen. Und gerade um ihre Askese würdigen zu können, sollte man sie von denen der Jahrhundertwende her interpretieren und nicht als Essenz Wagnerschen Schaffens.

Wagner gab sich über das Besondere seiner Begabung keine Rechenschaft. Bezeichnend dafür ist die ambivalente Verwendung des Begriffes Kunst in seinen Schriften. Einerseits ließ er keinen Zweifel daran, daß Kunst als das Ganze einer Leistung natürlich nicht mit Absicht hervorgebracht werden kann. Anderseits forderte er immer wieder „Kunst“, die zu Zweckerfüllung, Materialwahl und ökonomischer Konstruktion nachträglich hin zutritt, die an untergeordneten Stellet wegbleiben kann, während sie ai wichtigen „gesteigert“ werden muß Offenbar meinte er damit seinen Auf wand an plastischer Erfindung, den e tatsächlich dosieren konnte.

Naive Phantasie?

Man kann nämlich die funktionell konstruktive und die phantastisch Seite Wagners nicht wie „Verstand' und „Gefühl“ einander gegenüber stellen. Seine Haltung war durch gehend eine intellektuelle, ein Haltung des Bewußtseins Und de Kritik. Diese Haltung ist es auch, dii ihn für uns — jenseits historische Würdigung — wirklich bedeuten macht.

Nicht nur, daß natürlich seini Formenwelt niemand zum Vorbili dienen kann; man wird auch niemani mehr vorwerfen können, er wolle nich zweckmäßig, ökonomisch und den modernen Leben entsprechend bauen In einer Zeit, da man, im Gegenteil die Ringstraße gegen die Vorurteile de Halbbildung in Schutz nehmen muß da mancher bedeutende Bau teuer unc unzweckmäßig ist, verfängt die ein fache Argumentation Wagners nicht mehr.

Aber sein scharfer und untadeliger Geist könnte befreiend wirken in einem Architekturbetrieb, der in unausgesprochenen Rücksichten und unkritisch wiederholten Vorurteilen befangen ist. Er befähigte ihn, eine rationelll Haltung einzunehmen gegenüber dem „Dekorativen“ wie gegenüber d' KtfnWrölttion, urt6Jtteii' dfnei absichtsvolle „Synthese“ anzustreben, sondern jedes Teil seiner eigenen Logik zuzuführen. Und während etwa H o r t a oder Van de Velde im Grunde Konstruktionen karikiert haben, war Wagner fähig, sie unverändert zu lassen und zu verfremden. Dies nämlich ist der Sinn seiner naturalistischen, vor die Fläche gehängten Kränze, seiner Engel und seiner Aufschriften.

Keine Sentimentalität

„So frevelhaft es.. . ist, irgendein Kunstwerk ohne zwingenden Grund anzutasten, ebenso lächerlich ist es wegen jedes fallenden Schmutzwinkels, weil er .malerisch' ist, ein Geschrei zu erheben.“ „Nachdem nun beinahe mit Sicherheit anzunehmen ist, daß die Theater an der Wien, in der Josefstadt und das Carltheater früher oder später einem Brand zum Opfer fallen werden, so ist für deren Neuplacierung Sorge zu tragen“ (1894). Solcher Art war Wasners Denken; und er hat manches Problem erledigt, das heute noch ein unheilvolles Scheindasein führt.

Er baute nicht für den Menschen, sondern für den „gegenwärtigen“ Menschen, was ungefähr das Gegenteil bedeutet. „Die Anzahl der Großstadtbewohner, welche vorziehen, in der Menge als .Nummer' zu verschwinden, ist bedeutend größer als die Anzahl jener, welche täglich einen .guten Morgen' oder ,wie haben Sie geschlafen' von ihren sie bekrittelnden Nachbarn ... hören will.“ Ähnliches wie über Nachbarschaft äußerte er über Wohnlichkeit: „Das Hotelzimmer wird ... sicher mehr dem Zimmer eines Sanatoriums als einem .Wohnzimmer' gleichen müssen“, dies „wird ein bedeutend größeres Behagen und größere künstlerische Befriedigung hervorrufen... als der bis heute verwendete Firlefanz“. Freilich konnte Wagner nicht ahnen, daß dereinst auch“ die Sanatorien wohnlich sein würden.

Was damals Lüge war, ist es geblieben; aber auch Wagners Wahrheiten sind heute pervertiert.

Die Sprachreinigung ist immer von neuem nötig. Leistungen der Naivität sind heute in der Architektur unmöglich; wahrscheinlich hat es sie nie gegeben.

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