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Der Prater in der Großraumplanung Wiens

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Die weitgehenden Zerstörungen unserer Großstädte stellen uns vor neuartige Probleme, wenn wir den Wiederaufbau großzügig ins Auge fassen Hiebei gilt es vor allem die seit Jahrhunderten in der städtebaulichen Entwicklung wirksamen Kräfte zu erkennen, um dem Planen für die Zukunft den richtigen Weg zu weisen. Fragen, vor die sich früher nur das geschichtliche Interesse am Werden und Wachsen einer Stadt gestellt sah, gewinnen für die den Wiederaufbau lenkenden Disziplinen, vor allem für Stadtbaukunst. Architektur und Denkmalpflege eine Bedeutung grundlegender Art, wenn wir den natürlichen Gegebenheiten, den Erfordernissen des Tages und jenen der Zukunft gerecht werden wollen. Sie ergeben uns ein Material, das wir gar nicht gründlich genug studieren können, um zeitlos gültige Lösungen zu finden.

Auch die stadrbaugeschichtliche Struktur Wiens, wie sie aus alten Stadtbildern hervortritt gewinnt in zunehmendem Maße für alle an Interesse, die sich mit dem Wiederaufbau unserer Stadt beschäftigen und die volle Verantwortung für die Lösung dieser einmaligen Aufgabe tragen. Bis ins späte Mittelalter, ja bis zu den Vormärztagen des vorigen Jahrhunderts zeigte die Gestaltung Wiens das Bild einer Festungsstadt, die von Vorstädten umgeben war, mit denen sie nur in lockerem, fast ländlichem Zusammenhang stand. Leider hatte die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entfaltete spekulative Bautätigkeit dieses Bild fast restlos ver-wisdit. Die vielfadien Bindungen der mittelalterlichen, barocken und vormärzhehen Vorstädte an die sie umgebende Landschaft sind größtenteils verloren gegangen, könnten aber durch Anlage entsprechend verteilter Grünflächen wenigstens andeutungsweise noch zurückgewonnen werden, wie später noch ausführlicher dargelegt ist.

Das lieblose Uberwuchern der Vorstadtbauweise bis über die Ränder der alten Vorstädte hat auch ein landschaftlidies Gebiet, den Prater, hart bedrängt, der in seiner Ursprünglichkeit bis nahe an den Stadtkern heranreicht.

War die Lage Wiens am Schnittpunkt des Donaustroms mit der Alpen-Karpatenkette durch die Geographie vom Schicksal schon vorherbestimmt, so war sie jedoch für die Entwicklung der Stadt seit der Gründung des Römerlagers bis zum Beginn des großstädtischen Ausbaus im 19. Jahrhundert nur für das Südufer des während dieser Zeitläufte in viele Arme aufgelösten Stromes maßgebend. Das Nordufer blieb fast unberührt. Auch die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erfolgte Stromregulierung änderte nichts an diesem Zustande. Die Aulandschaften der Inseln und des nördlichen Ufers blieben außerhalb des großstädtischen Wachstums.

Der Charakter dieser Landschaften hat sich am Südufer nur auch im Gebiet des Praters erhalten, das im großen und ganzen

gesehen, seine Eigenart als Naturschutzpark noch bewahren konnte.

Seine städtebauliche Sonderstellung inmitten der Großstadt blieb durch alle Perioden ihres bald langsameren bald schnelleren Wachstums aufrecht Tn den letzten Jahrzehnten allerdings mußte der Prater manche Einbußen an seinem Gebier erleiden. Siedlungen, Sportplätze und Bauten aller Art haben es wirklich verändert und müssen als Eingriffe in sein unbedingt erhaltenswertes Bild empfunden werden. Sie in Zukunft zu vermeiden, gebietet die Achtung vor einer schon aus dem 12. Jahrhundert uns überlieferten Auffassung, dieses Gebiet als erhaltenswertes Augelände anzusehen, ebenso aber auch die E i n-r:hätzung der gesundheitlichen Bedeutung, die ein Naturpark solchen Ausmaßes und solcher landschaftlicher Schönheit füt dir Bewohner der Großstadt besitzt und wohl für alle Zukunft besitzer muß Der Generation von heute, vor die zwingende Notwendigkeit des Wiederaufbaues der Stadt gestellt, erwächst die Verpflichtung, den Auwaldcharakter des Pratergebietes zu wahren und dadurch den Entscheidungen unserer Vorväter, die sich gerade hier als wichtig und segensreich bewährt hatten, Rechnung zu tragen.

Eine solche Auffassung der uns in der städtebaulichen Behandlung des Praters gestellten Aufgabe muß sich daher mit allem Nachdruck gegen Pläne wenden, die eine weitere Verbauung des Prater-geländes erwägen.

Volksprater und Landschafts-prater

Solange sich diese Pläne nur auf den Volksprater beziehen, der jetzt in Trümmern liegt und doch wieder erstehen soll, ist gewiß nichts dagegen einzuwenden, wenn Wiener Geschmack und österreichische Tradition bei einem planmäßig angeleiteten Wiederaufbau zur Geltung kommen. Hiebei könnte die Ausstellungsstraße den Volksprater nach wie vor säumen, gegen die Hauptallee hingegen sollte er nicht reichen, um die Bedeutung dieser Hauptzufahrtsstraße und das landschaftliche Gepräge der ganzen Prateranlage nidit zu beeinflussen. Denn würde hier oder anderwärts der Landschaftsprater angegriffen werden, der doch den historisch gegebenen Rahmen auch für den Volksprater abgibt, so wäre dies eine Verfehlung und nicht zu verantwortende Störung des hergebrachten Landschaftsbildes. Die Grenzen beider Gebiete werden gegenwärtig im Rahmen der Studien für die Stadtplanung genauer festgelegt.

Das Gebiet des Landschaftspraters könnte dadurda, daß es als wahrhaft einzigartiges Maturdenkmal. dessen Erhaltung zur Ehrensache der Allgemeinheit werden sollte, zum Landschaftsschutzgebiet

im Sinne des Naturschutzes erklärt wird, allen Bedrohungen seitens der Bauspekulation ein für allemal entzogen w e r-d e n; indessen wäre damit unsere Verpflichtung, die nicht nur d;e Erhaltung, sondern auch die richtige Erschließung dieses kostbaren Besitzes für die ganze Stadt beinhaltet, nur zum Teil erfüllt.

Das Grünland in der Großraumplanung Wiens

Es wird also noch Gegenstand eingehender Erwägungen sein müssen, inwieweit das zu schützende Gebiet in den städtebaulichen Organismus einzubeziehen ist. Und ein weiterer unerläßlicher Schritt zur Lö-

sung des Praterproblems wird die Ausschreibung von Wettbewerben sein, die Lösungen für die Gestaltung der Randgebiete, der Hauptzugänge des Praters und des Donaugeländes zu suchen hätten und die sich auch auf die Gestaltung der dem Prater gegenüberliegenden Loban erstrecken müßten Denn vor allem die Bedeutung, die der Prater eit jeher als ein der Erholung und Entspannung und damit der Volksgesundheit gewidmeter Naturpark gehabt hat, läßt seine Ausgestaltung nicht als einzelne Autgabe erscheinen, sondern verweist darauf, sie im Zusammenhang mit allen anderen Bestrebungen zu sehen, die

anf die Umgebung und auf eine möglichst weitgehende Durchsetzung des verbauten Stadtgebietes mit Grünland und damit auf die Gewährleistung volksgesundheitlich richtiger Grundzüge in der Großraumplanung Wiens abzielen. Ein möglichst ohne sonderliche Zäsuren ineinander überleitender Zusammenhang der beiden landschaftlichen Motive — bewaldetes Bergland und Stromlandscbaft — in Gestalt eines von den Hängen des Wienerwaldes bis zu den Praterauen und der Lobau reichenden Grünlandgürtels, wäre durch die Zusammenfassung von so verschiedenartigen, aber einander in Harmonie ergänzenden Landschaftsbildern der äußere Rahmen, der noch manche andere auf der richtigen Verschmelzung von Städtebau und Landschaftspflege erzielbare Werte umschließen würde.

Die endliche Bereinigung des schon oft als widersinnig beklagten Mangels, daß Wien eigentlich gai nicht an der Donau liegt, sondern durch ein unorganisiert verbautes, in endlose Länge gezogenes Hafen-und Industrieviertel von ihr getrennt ist, und daß die Donau das Stadtgefüge Wiens eher zerschneidet als verbindet, gehört ebenso hieher, wie di: Bereinigung der nicht zuletzt daraus sich ergebende Merkwürdigkeit, daß das am Nordufer gelegene Floridsdorf in keinerlei städtebaulichen Beziehungen zu den Stadtteilen des Südufers steht, sondern als ein nur beiläufig angegliederter, für sich bestehender Teil der Großstadt gewertet werden muß, der eine städtebauliche Eigenexistenz führt.

Landschaf tspflege im “Wiederaufbau

Es wäre also ausgehend von der Forderung nach Erhaltung des Praters in seine Einfügung in ein Wienerwald und Donauauen verbindendes, den Großraum von Wien umschließendes und zungenförmig in diesen eingreifendes System von Grünlandflächen möglichst ir. der Form eines zusammenhängenden

Grünlandgürtels zu erstreben; in diesem System käme dem Prater dank seiner dem Stadtzentrum unmittelbar benachbarten Lage eine Schlüsselstellung zu, die aber auch einen entsprechenden städtebaulichen Konnex mit diesem verlangt — im Linienzug Praterstraße—Prater-stern—Hauptallee ist dieser ja schon weitgehend vorgebildet, nur ist der Zusammenhang der Praterstraße mit dem Stadtkern in der bisherigen Form durchaus unbefriedigend gewesen Indessen sind hier durch die Notwendigkeit umfassender Neuplanung . des besonders von Zerstörungen betroffenen zweiten Bezirkes weitreichende Möglichkeiten eröffnet, die ebenso von städtebaulichen Wettbewerben ausgeschöpft zu werden verdienen, wie in ähnlicher Weise Schönbrunn als Vorposten der westlichen Grünlandzone eine entsprechende Hinleitung aus der Stadtmitte verlangt. Ferner ist die vollgültige Lösung des Problems der Au=wägung von Städtebau- und Landschaftspflege als dessen Kernstück das Praterproblem immer deutlicher wird, nur dann zu finden, wenn es gelingt, die Stadt näher an den Strom heranzubringen und sie mit diesem durch entsprechende Bauten und Anlagen zu verbinden, was in weiterer Folge dazu nötigt, die bereits entstandenen und in Zukunft an Bedeutung wohl noch gewinnenden Hafenanlagen am Praterspitz und in der gegenüberliegenden Lobau verkehrsmäßig dem Stadtorganismus anzuschließen. Von ausschlaggebender Bedeutung wird für alle diese Fragen auch der Ausbau eines auf mehrere Staustufen verteilten Donauwasserkraftwerkes sein mit seiner Einflußnahme auf den Stromwasscrspiegel u*nd auf den Grundwasserspiegel in den angrenzenden Ufergebieten, sofern es überhaupt einer Verwirklichung entgegengehen sollte.

Wenn nun also Prob'eme von größter Reichweite zur Diskussion stehen, so darf auch die Rücksicht auf die zur Erhaltung des Praters notwendige Kleinarbeit nicht fehlen. Für die Erh-'tung der Baumund Wiesenbestände des Praters, insbesondere für die Wiedergutmachung der in den letzten Vorkriegs- und in den Kriegsjahren entstandenen ungeheuren Verluste an Baum- und Pflanzenzuwachs ist mit der Anwendung der gesetzlichen Schutzbestimmungen, die der Erklärung des Landschafts-praters zum Naturschutzgebiet folgen würde, noch lange nicht alles getan; Pflanzung und Pflege der für die Praterauen charakteristischen Baumarten, vor allem der verschiedenen Pappelarten und Erlen, in

einer ebenso dem Charakter der Aulandschaft entsprechenden Aufteilung in einzelne oder in Gruppen mit gemeinsamer Krone stehende Bäume erscheint unerläßlich. Nicht zu vergessen wäre aber auch, edelsten Baumwuchs auf weite Sicht zu fördern. Auf Wiesen und Gebüsche mir Durchblicken zu malerischen Perspektiven wäre Bedacht zu nehmen.

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Gewiß sind wir von der Möglichkeit einer Ausführung solcher Pläne noch ent-

fernt, und durch andere Schwierigkeiten, deren Uberwindung vor derartigen Maßnahmen in Angriff genommen werden muß, getrennt Indessen ist es hier, wie in ähnlichen Fallen, nie zu früh, leicht aber bald zu spät, um mit der grundsätzlichen Klärung der Probleme zu beginnen und damit für den Augenblick wenigstens das eine zu gewinnen, daß keine ungenügend vorbedachten Schritte getan und die künftigen praktischen Arbeiten dadurch nicht weiter erschwert werden.

Än Oen höchften Richter

Wenn nach Gesetz ich über Menschen richte, Was gabst du meinen Jahren an die Hand —: Gereifte Einsicht, wägenden Verstand Und daß kein Leben ich umsonst vernichte.

Es ist ein Buch, in deiner Schrift geschrieben; Ein jedes Volk und eine jede Zeit Las anders noch das Wort „Gerechtigkeit“; So ist es uns Geheimnis noch geblieben.

Wir wähnen nur, doch: Wähnen wir das Rechte? Errieten je wir deinen wahren Sinn? Denn alles, was ich kann und was ich bin, Ich dank es einem irrenden Geschlechte.

Vor deiner Weisheit sind wir ja so klein; Was strenge Norm mir immer drum befehle, Vergaß ich nie, daß über eine Seele Mein Urteil fällt! —: So mag ich Richter sein.

Eduard Schwab

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