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Der Salon d'Automne

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Fast acht Jahre waren wir abgeschnitten von dem pulsierenden künstlerischen Leben jenseits der Grenzen, aber auch im Lande selbst eingeengt durch die Tendenzen einseitiger Beeinflussung auf einem Gebiete, dessen schöpferische Kräfte sich nur in Freiheit entwickeln können. Und nun öffnen sich die Tore und wir dürfen das Wunder der ewig jungen, ewig ringenden französischen Kunst erleben, die bei aller Tradition erlesenen Geschmacks weltempfänglich war und ist, alle neuen Ideen in sich aufnimmt, künstlerisch formt und der Welt wieder schenkt.

General Bethouart, der ein schönes Vorwort für den Katalog dieser Ausstellung geschrieben hat, ist es in erster Linie zu verdanken, daß Wien in diesem Sommer eine Ausstellung des „Salon d'Automne“ zu sehen bekommt, jener international hoch-angesehenen. Kunstvereinigung, die damit seit ihrer Gründung im Jahre 1903 zum ersten Male eine Ausstellung außerhalb von Paris durchführt, eine vornehme Geste französischer Noblesse gegenüber Wien, das auch in den Tagen größter Not niemals seiner kulturellen Pflicht untreu geworden ist. Besonderen Dank schulden die Wiener Kunstfreunde der französischen Besatzungsmacht aber auch deshalb, weil diese die schwer besdiädigten Ausstellungsräume im Kunstgewerbemuseum am Stubenring in großzügiger Weise wieder herstellen ließ, so daß Wien nunmehr über ausreichende Schauräume für große künstlerisdie Veranstaltungen verfügt.

Die Ausstellung selbst übertrifft alle Erwartungen, die man an eine repräsentative Schau französischer Gegenwartskunst stellen konnte. Mehr als 250 Künstler, unter ihnen die führenden Namen, haben ihre Werke für diese Kunstschau zur Verfügung gestellt, so daß man tatsächlich einen vollständigen Überblick über das zeitgenössische französische Kunstschaffen gewinnen kann. Die Fülle des Gebotenen ist so überwältigend, daß es schier unmöglich erscheint, auf alle Einzelheiten einzugehen und es daher geboten ist, sich auf den Gesamteindruck zu beschränken und nur das Wesentlichste und Auffallendste hervorzuheben.

Schon das äußere Bild der Ausstellung besticht. Die Bilder sind so geschickt gehängt, daß jedes einzelne von ihnen voll zur Geltung kommt, wohl ein Hauptverdienst Commandant R i v a u t s und einiger Mitglieder des „Salon d'Automne“, die nach Wien herbeigeeilt waren, um die organisatorischen Aufgaben dieser Ausstellung zu lösen. Dabei fällt auch besonders angenehm auf, wie geschmackvoll Bilder und Umrahmung aufeinander abgestimmt sind. Es sei hier nur auf die zwei prächtigen Notre-Dame-Bilder Barbiers hingewiesen, deren tiefer Stimmungsgehalt durch die Umrahmung aufs wirkungsvollste gehoben wird. Namentlich das zweite Bild mit der im Nebel verschwimmenden Silhouette der ehrwürdigen Kathedrale ist von unendlichem Reize. Wie köstlich ist auch das entzückende „Mädchen mit weißem Hut“ von Abel Bertram, dessen koloristische Delikatesse durch die zarten blauen Töne des breiten Rahmens wundervoll gesteigert wird!

Diese Ausstellung umfaßt außer Bildern und Graphiken auch Plastiken und kunstgewerbliche Arbeiten aller Art sowie eine hochinteressante Schau architektonischer und städtebaulicher Entwürfe, sie ist keineswegs beschränkt auf eine einseitige künstlerische Richtung, sondern wird von Impressionisten und Expressionisten, von Neuimpressionisten, Kubisten und Surrealisten besdiickt, und dennoch wirkt sie wie ein einheitlidies Ganzes, das von Grazie und Esprit, vor allem aber von wirklichem Geschmack getragen wird. Sie vermag jedem Besucher etwas zu schenken und wird dabei niemanden zu heftigem Widerspruch herausfordern. Es fehlt auch dem kühnsten Versuch künstlerischer Neugestaltung jene Brutalität, der man so oft früher in modernen Ausstellungen in Wien begegnen konnte. Irgendwie wirken auch die kubistischen Bilder dieser Ausstellung selbst auf den konservativen Kunstbetrachter versöhnlidi durch ihre farbige Noblesse und die brillante Raumfüllung.

Besonders auffallend ist die große Zahl religiöser Kunstwerke, die gleichfalls auf keine bestimmte künstlerische Richtung beschränkt sind. In ihnen spiegelt sich das Wiedererwachen des religiösen Fühlens in dem Frankreich von heute. Eines der Hauptwerke auf diesem Gebiete ist wohl der wundervolle „Gang nach Emmaus“ von Marcel Roche, ein Bild von edler Schlichtheit und stiller Größe. Kantige Bauerngesichter haben diese Apostel, die voll Erstaunen auf den Heiland sehen. Alles Licht des Bildes ist auf die Hände Christi konzentriert, während alles übrige im Halbdunkel verschwimmt, das nur in der Aureole über dem Heilandskopf aufgelichtet ist. Von der herbstrengen Empfindung dieses Werkes bis zum „Verklärten Christus“ von Yves A 1 i x ist ein weiter Schritt, den nur der verstehen kann, der auch in dem kleinen Bilde des dem Kubismus nahestehenden Alix die Echtheit religiöser Ekstase herausfühlt. Das religiöse Empfinden ist eben an keine bestimmten künstlerischen Gesetze gebunden, wie dies auch die interessanten Arbeiten von Marthe Delacroix beweisen, zwei moderne Madonnenbilder von monumentaler Einfachheit, flächig aufgelöst und doch voll kompositioneller Strenge. Von starker Dynamik getragen ist auch die großformatige Auferstehung von Desvallieres.

Unter den vielen Graphiken finden sich gleichfalls viele Blätter religiösen Inhalts. Die Holzsdinitte Bissons, vierzehn Kreuzwegstationen, technisch vorzüglich, groß in der Formengebung und voll tiefster Empfindung, verdienen Hervorhebung, einige noble Blätter R o c h e s aus dem Leben des Heilands und die tief gelühlten religiösen Lithographien Rouaults gehören ebenfalls hieher.

Auch unter den Plastiken tritt das religiöse Moment stark io den Vordergrund. Schon der Hauptsaal wird beherrscht durch die edelgroße „Madonna mit Kind“ von Lamourdedieu. Ein Hochrelief („Grablegung“) von S a u p i q u e, die sch he Bronze der „Jeanne d'Arc“ von Ich i und eine sehr feine Terrakottastatuette von Joe und Jean M a r t e 1 gehören zu den besten plastischen Arbeiten dieser Ausstellung.

Natürlich überwiegt die weltliche Kunst mit ihrer unendlichen Vielfältigkeit an Motiven figuraler und landschaftlicher Art. Nur auf wenige Werke, die ganz besonders im Gedächtnis haften bleiben, sei hingewiesen. Assel in hat einen markanten Kopf eines alten Bauern beigesteuert, von bezwingender farbiger Kraft. Unter den vielen Bildern aus Paris sei auf Corneaus „L'ile St.-Louis“ hingewiesen, mit seiner wundervollen Vorfrühlingsstimmung. Ein kleines Meisterwerk ist auch D e n i e r s „Fenster“, das durch einen zarten Tüllvorhang einen Blick auf die Straße gewährt. Wie ein Märchenwald mutet die prächtige Impression des „Waldrandes“ von Andre F o y an, die ein Seitenstück in der feinen Stimmung der „Grünen Allee“ von Ladureau hat. Der Frauenakt von Barat-Levreaux, auf einer Mauer vor einer südlichen Landschaft sitzend, ist wohl eines der besten Bilder dieser an guten Bildern so reichen Ausstellung. Die beiden tonig feinen pro-vencalischen Landschaften von S i g r i s t, ein famoses Schilfbild des Österreichers Eisenschitz, das schöne Blumenstück von Montagnac, zwei leuchtende Rosenbilder von S a v r e u x und Thomsens farbig brillantes Knabenbildnis seien genannt. Das strenge Muschelstilleben von Henri-Matisse sowie verschiedene Arbeiten von Bompard, Labisse („Parzen“), L a u t r e c, einem Hauptvertreter der neuen Sachlichkeit,. L i m o u s e (ein lebensvolles „Familienbildnis“), M o u i 1-1 o t und S u r v a g e stellen künstlerische Höhepunkte verschiedener Kunstrichtungen dar.

Unter den Graphikern sei auf die wertvollen Blätter von Luc Albert M o r e a u hingewiesen, die er der Wiener „Albertina“ zum Geschenk gemacht hat, auf die köstlichen Buchillustrationen Derains sowie auf Arbeiten von Lotiron, Noury und Jacquemin. Immer wieder kann man sich an der technischen Meisterschaft, an dem Ideenreichtum und an der innigen Naturverbundenheit der französischen Graphiker erfreuen.

Die französische Plastik marschierte seit jeher an der Spitze europäischer Kunst. Diese Tatsache wird auch durch diese Ausstellung wieder bestätigt. Arbeiten wie die von Damboize, Gilly, Poisson und R i v a u d, dessen Medaillen, darunter die de Gaulles, beste Medailleurkunst repräsentieren, oder die köstliche Tierplastik Hilberts sind der beste Beweis dafür, daß das Land Rodins auch heute noch über eine Fülle bildhauerischer Talente verfügt.

Im kunstgewerblichen Teile dieser Ausstellung gibt es ebenfalls wertvolle Arbeiten. Wie meisterlich ist zum Beispiel die prächtige schmiedeeiserne Gruppe „Aufbruch zur Jagd“ von Desvallieres! Gläser und Keramiken, Tapisserien und Möbel, Metallarbeiten der verschiedensten Art bekunden sehr bedeutendes handwerkliches Können,feinen Geschmack und starke Erfindungsgabe.

Einen nicht unwichtigen und daher auch recht umfangreichen Teil der Ausstellung machen die Pläne und Entwürfe französischer Städtebauer und Architekten aus, die gerade in unserer Stadt, die durch die Kriegshandlungen so schwer mitgenommen wurde, besonderes Interesse finden werden. Man sieht nicht nur die Entwürfe für einzelne Baulichkeiten religiöser und profaner Art, sondern vor allem Planungen großen Stils zur Assanierung von Pariser Stadtvierteln und zum Wiederaufbau zerstörter französischer Städte. Sie bekunden die Lebenskraft des französischen Volkes, die Gründlichkeit und Großzügigkeit, mit denen es an den Wiederaufbau herantritt, und zugleich auch das Können der französischen Baukünstler, unter denen B a r d e t, Dorian, Laborie und G u 11 o n besonders hervorgehoben werden sollen.

Wenn man diese Ausstellung wirklich in allen Einzelheiten studieren will, dann erfordert sie viele Stunden eingehender Betrachtung. Erst dann aber wird man erst ihre ganze Bedeutung und den Reichtum künstlerischer Leistungen, den sie enthält, voll und ganz würdigen können.

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