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Der Schauplatz liegt im Geistigen

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Alles Theater ist Spiel. Indern es vorgibt, Wirklichkeit zu sein, entlarvt es die Wirklichkeit als Schein. Wo nun eigentlich siedeln die Dichter, die Stückeschreiber ihre Bühnenwerke an? Die Zeit in ihren Werken ist Fiktion, der Raum ist Fiktion. Verlange man Illusion, erklärt Schiller, würde das „immer nur ein armseliger Gauklerbetrug sein“, alles sei auf den Brettern nur ein „Symbol des Wirklichen". Und er spricht davon, „dem Naturalismus in der Kunst offen und ehrlich den Krieg zu erklären .

Kann man da noch fragen, wie Bühnenbilder auszusehen haben? Ist das nicht eindeutig? Auch das Optische hat ein „Symbol des Wirklichen“ zu sein, der Schauplatz liegt im Geistigen. Alle Kunst will Unsichtbares sichtbar machen. Nun aber verflüchtigte sich uns rationalen Menschen der Gegenwart alles Geheimnis aus dem Gegenständlichen allzusehr: so sieht sich die Kunst gezwungen, die äußere Wirklichkeit zu zerbrechen, um die innere desto spürbarer erahnen zu lassen. Das gilt für die Malerei und Plastik, für das Drama, soweit es unsere Zeit nicht nur reportiert, sondern bekundet, das gilt für das Bühnenbild.

Eben im Vordrängen des Irrealen unterscheidet sich das heutige Drama vom Bühnenwerk vergangener Zeiten. Dies aber geht auf Strindberg zurück. Ohne ihn ist das wesenhafte Theaterstück der Gegenwart nicht denkbar, es gibt kaum Neues, das sich bei ihm nicht vorgebildet fände. So hat er auch für das Bühnenbild schon im Jahre 1898, und zwar in „Nach Damaskus", zweiter Teil, eine Anregung gegeben, die aller Spätere vorwegnimmt. „Ein Wirrwarr von Dekorationen, Landschaften, Palästen, Zimmern“, heißt es da, „werden heruntergelassen und vorgeschoben, unter denen Personen und Möbel verschwinden", bis „aus dem Wirrwarr" ein Gefängniszimmer ersteht. Und in einem seiner Briefe an das Stockholmer Intime Theater schlägt er im Jahr 1910 für „Nach Damaskus", erster Teil — neben anderen Möglichkeiten — vor, „einen neuen Hintergrund zusammenzuphantasieren, der im Tcxtilstil, wie ein Gewebe, Motive aus dem ganzen ersten Teil bringt.“

Damit ist der Schauplatz des Dramas auf den Brettern als ein Bereich äußerer Wirklichkeit zerbrochen. Das „fragmentarische“ Bühnenbild, wie es heute vor allem von den Ausstattern im deutschsprachigen Bereich angewendet wird, kann sich bilden. Der Maler Willi Baumeister erklärte, die schönsten Dinge seien immer fragmentarisch. Hat er nicht recht? Was fertig und in sich beschlossen ist, läßt der Phantasie keinen Spielraum, mehr noch, es entzieht sich dem Geheimnisbereich, aus dem alle Kunst lebt. Fast möchte man behaupten, jedwedes Halbgesagte werde ergänzt vom Unsagbaren.

Aus dieser von Strindbergs Dramen herkommenden Erneuerung des Theaters erstehen nun Bühnenbilder, die nur Bruchstücke, also keine volle Realität wiedergeben und als Pars-pro- toto-Inszenierungen bezeichnet werden können. So nun stellt man etwa die Wände eines Raumes unverbunden nebeneinander, es gibt Schwebeteile und Hängedecken, nicht selten begnügt man sich mit Paravents, oder die Zimmerwände sind transparent, wie etwa in Tennessee Williams „Glasmenagerie". In den besten der fragmentarischen Bühnenbilder wird die Umwelt des Schauspielers zur Psychographie des Stückes, zur gefühlsmäßigen Zusammenfassung, zum Gefühlssubstrat im Optischen, wobei eine zauberhafte Umsetzung des Unsichtbaren ins Sichtbare stattfindet.

Bei Jouvet, Barrault. Olivier finden sich solche Inszenierungen. Claudel schreibt in den zwanziger Jahren dem Bühnenbildner für seine Phantasmagorie „Der seidene Schuh" vor: ,’m Hintergrund genügt jede noch so flüchtig überschmierte Leinwand oder auch gar keine.“ Die Kulissenschieber sollen ihre Handgriffe vor den Augen des Publikums ausführen, „ohne, daß sich die Handlung dadurch stören ließe“. Ja. „alles muß provisorisch aussehen. im Aufbruch, vom

Zaun gerissen, planlos, improvisiert in der Begeisterung!“ Bei Wachtangow legten die Schauspieler vor den Augen der Zuschauer ihre Kostüme an und spazierten, so lange sie unbeschäftigt waren, unter dem Publikum. Das Spiel solcherart als Spiel sinnfällig gemacht, erscheint uns schon seit geraumer Zeit als die eigentliche Zukunft des Theaters. Das Bühnenbild zum Abklatsch der äußeren Wirklichkeit erniedrigen, widerspräche dem.

Wie immer die Umwelt bei diesen Inszenierungen dargeboten wird, wir erhalten nur Andeutungen, sie sagen aber mehr aus, als sie unmittelbar wiedergeben. Folgenden Grundsatz hat der amerikanische Bühnenarchitekt Norman Bel Geddes als richtungweisend aufgestellt: „Jedes Detail des Bühnenbildes muß sich organisch aus der Handlung des Stückes ergeben.“ Noch lebendiger und zwingender drückte dies Gertrud Eysoldt aus: „Nichts, was nicht durch uns, die Schauspieler, zum Leben auf der Bühne gezwungen wird, hat ein Recht, dort zu sein.“ Da der Schauspieler aber nur die Vorstellungen des Dramatikers ins Optische und Akustische umsetzt, als unmittelbare Gegenwärtigkeit vor uns erstehen läßt, ist es ursächlich der Dichter, der durch sein Wort den Raum schafft. So erklärt Egon Vietta: „Daß Bühne letztlich der Ort ist, auf dem durch das dichterische Wort der Raum entsteht — freilich gespiegelt und unterstützt durch jene künstlerische Raumelemente, die der Bühnenbildner gleichsam dem Wort ablauscht.“

Bedarf es nun überhaupt des Bühnenbildes?

Genügt nicht das dichterische Wort allein, das durch seine sinnliche Fülle Sinnliches vor uns erstehen läßt? Copeau, der Begründer des „Vieux Colombier“, dekretiert: „Bühnenbild und Nebendingen räumen wir keine Bedeutung ein." Asketisches Ideal: „Man belasse uns nur die nackten Bretter.“ Gerne erzählte er von einem Bühnenarbeiter, der angesichts eines überaus sparsamen Bühnenbildes sagte: „Es ist nichts vorhanden, so sieht man direkt die Worte Pj Nun, von Copeau kommen viele der bedeutend-, sten Pariser Theaterleute der letzten Jahrzehnte her: Dullin, Pitoeff, Gaston Baty, Jouvet, Bar- rault, Jean Vilar. Am folgerichtigsten setzt Vilar die Bühnenauffassung Copeaus fort. Bei ihm gibt es auf dem Spielpodium bekanntlich nur einige Stühle, einen Tisch, ein paar Hocker, das ist alles. Die Sitzgelegenheiten werden zu Fixpunkten eines Bewegungskunstwerkes, das Optische blüht einzig in der besonderen Pracht der Kostüme auf, die auf unseren Bühnen nicht ihresgleichen besitzt.

Dieser weitgehenden Verringerung des Schaumäßigen auf der Bühne, kommt für die Gegenwart und die Zukunft aber deshalb eine besondere Bedeutung zu, da ja nunmehr der Film wahre Bildfluten in die Vorstellungswelt des Menschen hineinwirft. Sind wir dadurch im Optischen so sehr gesättigt, daß man erklären kann, der Film habe völlig das Bildmäßige übernommen, wodurch das Theater des Optischen weitgehend entraten könne? Auch die Rundbühne, der für die Entwicklung des Theaters eine wachsende Bedeutung zukommt — dies zeigt sich besonders in Amerika —, muß auf die Dekoration verzichten und sich mit Tischen, Sitzgelegenheiten und einigen wenigen Versatzstücken begnügen. Liegt also die Zukunft des Theaters im Gefolge zeitbedingter Bestrebungen und neuer, nicht mehr zurücknehm- barer Gegebenheiten, tatsächlich in der bühnenbildlosen Szene? Demgegenüber erklärte Pisca- tor, als er sich einige auf das Wort gestellte Aufführungen ansah: „Die Bühne ist optisch verarmt!“ Er, der schon in den zwanziger Jahren den Film auf der Bühne verwendete, möchte zu einer Synthese zwischen Theater und Film gelangen. Nun, die Entwicklung des Theaters wird wohl eher dazu führen müssen, alles wesensmäßig dem Film Nahe aus sich auszuscheiden.

Was bedeutet dies im Bereich des Bühnenbildes? Jeder zu weit getriebene Naturalismus verbietet sich damit, denn der Film ist optisch, bedingt durch die Linse der Kamera, durch die Photographie, vollnaturalistische Wirklichkeitswiedergabe. Nun aber hat der Bühnenbildner Werken völlig verschiedener geistiger Haltung die Umwelt zu schaffen, so nun eben auch naturalistischen Bühnenwerken. Wie verhält er sich da? Lehnt es der Ausstatter ab, selbst eine bestimmte Eigenart allzusehr sichtbar zu machen, ist er bemüht, möglichst die Eigenart des Dramatikers ins Optische umzusetzen, so wird er für ein wirklichkeitsnahes Stück eine wirklichkeitsnahe Dekoration schaffen. Das ist gewiß bei Konfektionsstücken oft und oft notwendig. Doch wird man auch da vielleicht mehr und mehr vom Total-Naturalistischen des Films zu einem fragmentarischen Naturalismus abrücken.

Die Richtlinien für die Gestaltung des Bühnenbildes liegen aber nicht allein in diesen Fragen. Das Optische der Szene wurde durch den Engländer Gordon Craig und den Schweizer Adolphe Appia vor und um die Jahrhundertwende revolutioniert; nicht mehr Bilder gestalteten sie, sondern Räume. Die dreidimensionale Raumbühne erstand, ein Raumkunstwerk zu schaffen war das Ziel. Auch in dem Wiener Bühnenbildner Alfred Roller wurde noch vor dem ersten Weltkrieg der Raumgestalter frei. Von dem Bestreben geleitet, den szenischen Apparat zu vereinfachen, stellte er zu beiden Seiten der Bühne Bauten auf, zwischen denen der Hintergrund den Schauplatz kennzeichnete. Stufenbauten, Treppen setzte er auf ihre dramatische Funktion hin ein, er duldete also nichts auf der Szene um seiner selbst willen. Nach dem ersten Weltkrieg baut dann der Regisseur Leopold Jeßner im Verein mit dem Bühnenbildner Emil Pirchan die Szene aus Treppen auf, es entsteht also ein rein funktioneller Bühnenraum, dessen Aufgabe fast ausschließlich darin besteht, dem Schauspieler vielfältigere Bewegungsmöglichkeiten zu erschließen. Die „konstruktive Bühne“ von Meyerhold in Moskau mit ihren Gerüsten, Leitern und Treppen, hat ebenfalls vorwiegend funktionelle Aufgaben.

Doch auch die Revolutionierung der Malerei blieb nicht ohne Auswirkung auf die Szene. So hat Max Reinhardt immer wieder Maler zur Bühnenbildgestaltung herangezogen, Karl Walser, Max Slevogt, Emil Orlik, Ludwig von Hof- mann, Lovis Corinth, Max Pechstein, Edvard Munch, ln Frankreich war dies Jahrzehnte her nicht anders. Picasso, Juan Gris, Fernand Leger, Raoul Dufy, Miro, Dali, De Chirico, Derain, de Segonzac und viele andere schufen Bühnenbilder, in denen meist das Bildmäßige gegenüber dem Raummäßigen vorherrschte. Formtendenzen der Malerei wurden auf das Bühnenbild übertragen, vom Kubistischen, das auch auf der Bühne Flächengestaltung bleibt, also durchaus nicht wirkliche Kuben schafft, über das Surreale bis zum Abstrakten. Ergaben sich somit gerade auch vom Malerischen her vielfältige fruchtbare Anregungen für das Bühnenbild, so darf man wohl feststellen, es konnte dies kaum anders sein, denn die geistige Situation, aus der sich Drama und Malerei und eben auch das Bühnenbild so sehr gewandelt haben, ist für alle diese Bereiche schöpferischer Tätigkeit stets die gleiche.

Die optische Gestaltung der Szene reicht heute vom weitgehend naturalistischen Bühnenbild über die fragmentarische Schauplatzandeutung bis zur dekorationslosen Bühne. Zweifellos hängt die weitere Entwicklung des Bühnenbildes von der Entwicklung des Dramas ab. Das Vorhandensein des Films aber wird den Dramatiker mehr als bisher zwingen, erlebnismäßig das Geistige im Dramatischen herauszuarbeiten, um so in Schillers Sinn — wenn auch nicht in Schillers Art — ein „Symbol des Wirklichen“ zu geben. Der Bühnenbildner aber hat hierfür die optischen Ausdrucksmittel bereits vielfältig vermehrt.

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