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DER TANZENDE SCHIWA

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Diese Ausstellung ist in mehr als einer Hinsicht einmalig und bemerkenswert. Ihre Einmaligkeit liegt unter anderem darin, daß sie einen geschlossenen Überblick über die Entwicklung der Kunst des indischen Kontinents vermittelt und daß sie vorwiegend aus den Beständen der für uns schwer erreichbaren indischen Museen besteht, die durch Objekte des berühmten Musee Guimet in Paris und des Museums für Völkerkunde in Wien ergänzt wurden. Bemerkenswert ist, daß ihr Zustandekommen privater Initiative — Herrn Alfried Krupp von Bohlen-Halbach — zu verdanken ist, der den Auftrag gab, diese Ausstellung in der Villa Hügel in Essen zu realisieren, von wo sie, nachdem sie in Paris und Zürich war, nun einer Anregung des Präsidenten des Nationalrates Doktor h. c. Ing. Leopold Figl folgend, durch das Bundesministerium für Unterricht im Zusammenwirken mit der Österreichischen Kulturvereinigung nach Wien gebracht wurde. Ihnen — vor allem Frau Dr. Adele Kaindl vom Unterrichtsministerium — muß für ein Ereignis gedankt werden, das auch durch die klare und saubere Aufstellung der Objekte einen Rahmen gefunden hat, der seiner würdig ist.

Die früheste Kultur, von der wir Kenntnis haben, fist dieMhY Tal des1 8e3rittn' NWfdwe9MBh des Kontinents entstandene Harapp,af-Kuftur1.“4m'' 3. und 2. Jahrtausend v. Öhr“.' schon auf einem ersten Höhepunkt, gehört sie zu de frühesten Hochkulturen der Menschheit überhaupt. Sie kennt Großstädte und Handelsplätze, ist den Kulturen Vorderasiens verwandt, von dort her wahrscheinlich gegründet, lebt unter einer Priester- und Kaufmannsaristokratie und besitzt Bronzewaffen, Silberschmuck, Glas und Edelsteine. Die Unterklassen leben noch auf der Stufe der Steinzeit. Ein Fruchtbarkeitskult mit einer Muttergöttin kennzeichnet diese Kultur. Die bildnerischen Zeugnisse, die man davon in der Wiener Ausstellung sieht, sind Terrakottafiguren, zum Teil in jenem primitiven Stil, der von einer erstaunlichen Internationalität war, zum Teil schon verfeinerte Darstellungen von Fruchtbarkeitsgottheiten, Tierfiguren, Mutter-und-Kind-Darstellungen und vor allem Siegel aus Speckstein, großartig stilisierte Tierdarstellungen, Elefanten, Einhörner, Zebus und Fabeltiere, präzise und scharf geschnitten und mit Picto-grammen versehen. Die Harappa-Kultur ging durch das Eindringen der nomadischen Indo-arier aus dem Gebiet der asiatischen Hochländer in der Nähe des Kaspisees um etwa 1700 v. Chr. zugrunde. Diese den Iraniern verwandten Viehräuber brachten Streitwagen, Pferde und bessere Waffen mit sich und' wurden zur Aristokratie des eroberten Gangesgebietes. Aus den sich bildenden Stadtplutokratien entstanden um 600 v. Chr. große Königreiche, die sich nach dem Eroberungszug Alexanders des Großen (326 v. Chr.) zu dem Riesenreich der Mauryas zusammenschlössen, das fast ganz Indien und Ostafghanistan umfaßte. Die von den Ariern mitgebrachten Göttervorstellungen vermengten sich mit dem magischen Opferkult der Brahmanen-priester oder mit den lokalen Kulten der Fruchtbarkeitsgottheiten. Die Arier verehrten die Kräfte der Natur, die sie bald personifizierten, ihre ältesten Hymnen, die Veden (heiliges Wissen) sind ein Zeugnis dafür. Es entwickelte sich ein umfangreiches Götterpantheon, ein System komplizierter Riten und Opferhandlungen und ein spekulatives Gebäude philosophischer Ideen, um die fundamentalen Probleme der Existenz und das Wesen der Seele zu erklären: die Upani-schaden. Epische Gedichte entstehen, das Ramayana und das Mahabharata. Im Bha^avad-gita oder „Lied des Herrn“ werden die fundamentalen Glaubenssätze dieser Religion festgehalten.

Die entscheidenden und für das Verständnis der indischen Kunst wichtigen, sind der Glaube an die Bedeutung, die jede Tat in diesem Leben für das kommende Leben hat, das durch die Wiedergeburt der Seelen gegeben ist, wobei gute Taten zu einer Wiedergeburt auf einer höheren Ebene führen, böse zu einer auf niederer Stufe. Das letzte Ziel ist Nirvana, die Freiheit von Existenz durch das Aufgehen in Brahma, der letzten einzigen Wirklichkeit. Dieser Glaube kristallisierte sich in verschiedenen Systemen, die vom Theismus bis zum Materialismus reichten, aus. Von ihnen wurde der Buddhismus besonders einflußreich, er spielte die entscheidende Rolle im Mauryareich, bis es sich nach dem Tod des Kaisers Ashoka wieder auflöste.

Aus diesem Reich zeigt die Ausstellung einige Tonfiguren, weibliche und männliche Statuetten, die an die frühe griechische Archaik erinnern, ohne deren Schärfe in der Ausbildung der Formen zu erreichen. In die Frühzeit des Buddhismus gehören die ersten architektonischen Zeugnisse, die uns erhalten sind, die Stupas, ein als Weltmodell gedachtes Merkzeichen einer heiligen Stätte etwa der Sanci-Stupa, eine Hemisphäre, die oben abgeflacht war und auf einer hohen, kreisrunden Terrasse ruht, die von einer Balustrade umgeben wird, um die Pilger bei ihrem Umgang zu geleiten. Von der Terrasse führte eine Doppelstiege herab zum Steinzaun, der reich mit Reliefs versehen war und dessen Form darauf hindeutet, daß der Ursprung dieser Architektur in Holzbauten zu suchen ist. Auf der abgeplatteten Höhe der Stupa befand sich, von einer Balustrade umgeben und von einem Schirm, dem Zeichen der Königswürde, überhöht, das Reliquiar. Wir sehen in der Ausstellung mehrere Fragmente, von Stupazäurien. die Teinen auseezeichneten. Einblick in das Wesen der frühen frei fflfr sCyMffr n^MfsbnTL/bY 5, f“ sfffau foasib indischen-Plastik- geben. Überschwengliche Fülle und unaufhörliche rhythmische Bewegung zeichnen sie schon aus. Tiere, geflügelte Greife und Menschen, Lotosblüten und -blätter, Knospen und Früchte überfluten in niedrigen Flachreliefs die architektonische Form. Auch legendäre Szenen und lebensgroße Menschendarstellungen schmücken sie, wie z. B. die Figur einer Yakshi-Fee, deren tänzerisch bewegter Körper durch den Gegensatz von Haut, Gewand und Schmuck reich und ornamental gegliedert wird. Ein fragmentarisches Relief aus der Zeit um Christi Geburt mit einem Kopf, Geäst und Vögeln erinnert an koptische Plastik. Ein Kopf mit Turban ebenfalls, während ein Männertorso wieder archaisch anmutet. Die Qualitätsunterschiede sind hier beträchtlich. Verfeinerte Ausführung steht neben primitiver Gestaltung und derbem Humor, wie in dem Liebespaar oder der Elefantenszene, in denen das Genrehafte liebenswürdig dominiert. Erst in den nachchristlichen Jahrhunderten ging man in Indien dazu über, den Buddha in Menschengestalt abzubilden, in Szenen aus seinem Leben oder in stehenden und sitzenden Kultbildern. Im mittelindischen Kushanareich, mit der Hauptstadt Mathura, entstanden Bildhauerschulen, die den Schmuck der Kultstätten aller drei Religionen herstellten und in den ganzen Kontinent exportierten. Dieser Zeit verdanken wir den schönen, großen Stupateil mit seinen üppigen Frauengestalten und Bildgeschichten aus dem Leben Buddhas. Eine Frauenstatue zeigt deutlich hellenistischen Einfluß, auch einige idealisierte Porträtköpfe sind ohne westlichen Einfluß nicht denkbar. Dieser Einfluß wurde in der Gandhara-Kultur besonders stark und deutlich, und zwar vom ersten bis ins dritte Jahrhundert n. Chr. Lebendige Beispiele dafür sind in den Reliefs zu finden, die wieder Szenen aus dem Leben Buddhas zeigen, aber nun in der Behandlung der Physiognomien^ ßin.e,nMgfJessen Qr,ad -yc/n ^alisroius^, etwas der indischen Kunst sonst völlig Fremdes, und einen kompositorischen “Aufbau erreichen, der nicht mehr nach flächigen und linearen, sondern nach räumlichen Gesetzen empfunden wird.

Eine einmalige Synthese entsteht später in dem herrlichen Torso eines stehenden Buddhas, in dem sich die Strenge der altindischen Bildhauerei, ihre „Archaik“, mit dem optischen Illusionismus des Hellenismus zu einem strahlenden Meisterwerk verbindet, oder in dem eminent plastisch empfundenen Unterteil einer Frauenfigur, der sich in einem beinahe barocken Drehmoment in den Raum schraubt. Es ist die große, heroische Zeit der indischen Kunst, die Gupta-Epoche, die bis ins achte nachchristliche Jahrhundert ausklingt. Das nächste halbe Jahrtausend sieht die indische Kunst in dem Bemühen, die bisher ausgebildeten Formen zu bewahren und zu wiederholen. Lokalstile und Manierismen entwickeln sich. Dieser Zeit entstammen zahlreiche Kultbilder, darunter einige Bronzefiguren, die Schiwa als Herrn des kosmischen Tanzes darstellen. Der vierarmige Schiwa steht mit einem Fuß auf einem Zwerg. In einer Hand hält er eine Trommel, in einer anderen eine Flamme. Aus dem Lotusring der Basis erhebt sich ein Feuerring, der die Figur umschließt und sowohl die Hand mit der Trommel wie die mit der Flamme berührt. Schiwa erweckt in seinem Tanz die Kräfte der Natur zum Leben, aber zerstört sie gleichzeitig wieder mit dem Feuer. Die Bewegung des Tanzes symbolisiert die rhythmische Kraft des Kosmos, dessen Sinn und Zweck dauernde Schöpfung und Zerstörung sind, aber eine Zerstörung, die Wandel darstellt, nicht Vernichtung, und damit die Erlösung und das Freiwerden der Seele bewirkt. *

Die indische Malerei läßt sich ihrerseits in drei allgemeine Gruppen teilen: die buddhistische, die rajputische und die Mogulmalerei. Am bekanntesten sind wohl die buddhistischen Fresken der Ajantahöhlen, die in einfachen, flachen, rhythmisch freien Szenen Themen aus dem Leben Buddhas schildern. Die Kontur ist wichtig, Volumen werden nur suggeriert, die Gemälde bleiben im wesentlichen flach. Sie stammen aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. Erst aus der Mitte des 16. Jahrhunderts wieder sind uns Bilder erhalten, der rajputische Stil setzt die Tradition Ajantas fort, nur in viel kleinerem Format. Der Mogulstil, ein säkularer, aus Persien von den Eroberern eingeführter Malstil, der nicht so lyrisch erscheint wie die Rajputmalerei, war vorwiegend Miniaturmalerei, die das Palastleben, Persönlichkeiten, Liebesszenen, Blumen, Jagden und Tiere schilderte. Gemeinsam aber ist all diesen Arbeiten der Skulptur und der Malerei, daß sie keine ründplastische Vorstellung des Objektes haben, ein M^mal der indischen Kunst, das bis in die letzte Zeit anzutreffen ist. Nicht vergessen werden darf dabei, daß Plastik und Architektur in Indien zu einer innigen Einheit verschmolzen waren, die Skulptur nicht dem Schmuck diente, sondern sich mit dem Bau zusammen zu einer neuen Synthese von formaler Gesetzmäßigkeit und religiöser Symbolik steigerte. Im Ganzen gesehen, war sie eine religiöse Kunst, hieratisch und repräsentativ, nach Kanons und Gesetzen der Repräsentation streng ausgerichtet. Der Künstler war ein „frommer Artisan, der das Atharva Veda, die 32 Silpa-Sastras, verstehen sollte und die Vedischen Mantras, durch die die Gottheiten angerufen werden. Er soll einer sein, der eine heilige Schnur trägt, eine Halskette aus heiligen Perlen und einen Ring aus Kusa-Gras an seinem Finger; sich an der Verehrung Gottes entzückend, treu seiner Frau, fremde Frauen meidend, fromm die Kenntnis verschiedener Wissenschaften erwerbend, solch einer ist wahrlich ein Künstler ... Der Maler muß ein guter Mensch sein, kein Faulenzer, ohne Zorn, heilig, gelehrt, selbstbeherrscht, fromm und wohltätig“.

Was in dieser Ausstellung im Künstlerhaus bedacht werden muß, ist, daß wir hier Fragmenten von Fragmenten gegenüberstehen, plastischen Werken, die meist nicht auf Nahsicht berechnet waren und sich unter dem tropischen Licht der Sonne oder im Dunkel der Höhlentempel und Tempelbauten ganz anders darboten und außerdem mit Stuck überzogen und bemalt waren. Ihr Mangel an entschiedener und klarer plastischer Form geht mit äußerster Empfindung für die Darstellung einer transitorischen Bewegung in dieser Kunst Hand in Hand. Alles scheint in ihr zu fließen, sich metaphorisch zu verwandeln. Sie steht im Zeichen des Rades, des tanzenden Schiwa, des Wechsels von Werden und Vergehen, einer alles durchdringenden Sinnlichkeit, eines kultischen und kultivierten Eros, dem die Tragik des Abendlandes, der Gegensatz Eros-Thanatos fehlt und damit auch entscheidende geistige Spannung. Ihr Lächeln und ihre Heiterkeit, die auf den maskenhaft erstarrten Gesichtern, im Wohllaut der bewegten Gliedmaßen liegt, ist ein vergänglicher Hauch, der weder dem Lächeln eines Kuros noch dem des Engels von Reims noch dem der Mona Lisa gleicht. Es ist der Glanz einer Spiritualität, die nicht vom Menschen ausgeht, sondern von der Natur, die sich in immer neuen Bildern. zum Gleichnis wandelt.

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