Der unsichtbare Kern der Dinge

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Prag war neben Paris das zweite Zentrum des Kubismus. Das Salzburger Rupertinum widmet den böhmischen Kubisten eine umfassende Ausstellung.

Le Journal", "France-Soir": nicht zuletzt wegen Schriftzügen wie diesen wird der Kubismus mit Paris verbunden. Die bekannten kubistischen Maler integrierten gerne Zeitungstitel, später auch Zeitungspapier selbst, in ihre Werke - und da sie in Paris wirkten, handelte es sich naturgemäß um französische Zeitungen. Begründet wurde die Stilrichtung ja vom in Paris lebenden Spanier Pablo Picasso und vom Franzosen George Braque.

Ungewohnt ist es, wenn in stilechten kubistischen Gemälden tschechische Worte auftauchen oder gar der Schriftzug "S. M. Schiff Viribus Unitis", der Name des Flaggschiffes der k. u. k. Marine. Doch in Prag fand der von Paris auf die gesamte moderne Kunstwelt wirkende Kubismus so etwas wie ein zweites Zentrum - ein von der Kunstgeschichte lange Zeit vernachlässigtes Faktum. Von 1912 bis 1916 hatten sich in der drittgrößten Stadt der österreichisch-ungarischen Monarchie zahlreiche junge Künstler, Architekten und Theoretiker jener revolutionären Veränderung der Bildsprache verschrieben, darunter Bohumil Kubista, der auf seinem Bild "Matrose" (1913) der österreichischen Marine ihr wohl ungewöhnlichstes Denkmal setzte. Der Prager Kunsthistoriker Vincenc Kramar war es auch, der die allererste kunstwissenschaftliche Monografie über den Kubismus verfasste.

Das Salzburger Rupertinum zeigt unter seiner neuen Leiterin Agnes Husslein Bilder, Grafiken und Skulpturen des tschechischen Kubismus. Rund 120 Werke der wichtigsten Vertreter geben ein umfassendes Bild der regionalen Variante jener wichtigen Kunstströmung: Vincenc Benes, Josef Capek - der Bruder des Schriftstellers Karel Capek -, Emil Filla, Otto Gutfreund, Otakar Kubin, Bohumil Kubista, Otakar Nejedly, Antonin Prochazka und Vaclav Spala.

Während die darniederliegende Monarchie ihrem baldigen Ende entgegenkroch, erwachten die Geister der Moderne. Der Kubismus wurde Vehikel des Aufbruchs aus der Enge der österreichisch-ungarischen Provinz.

Wie ihre französischen Vorbilder reduzieren die tschechischen Kubisten die Form der Dinge in ihre stereometrischen Grundformen um dann mit diesen ihr kombinatorisches Spiel zu treiben. Die Kanten als konstruktive Elemente der Bildfläche, machen sich selbständig. Flächen, Ebenen, Zylinder, konvex und konkav vereinfachte Silhouetten werden übereinander und ineinandergeschoben, miteinander verschmolzen. Damit eröffnet sich die Möglichkeit der Simultanität, die Möglichkeit, die verschiedenen Ansichten eines Gegenstandes zugleich darzustellen. Auch wird die Farbpalette auf wenige Töne, oft grau oder ocker, reduziert. Das Ziel: zum unsichtbaren Kern der Dinge und Gestalten zu gelangen; die Energie, die hinter deren äußerer Erscheinung steht, sichtbar zu machen. Agnes Husslein: "Vor allem hier, in den psychologischen Untertönen, liegt der Schwerpunkt, der charakteristische Zug der tschechischen Position."

Die böhmischen Kubisten werkten nicht im leeren Raum, ihre Arbeit fand auch ihren Niederschlag in Design, Kunsthandwerk, Literatur, Film, Musik und Theater. Der zeitgenössische Beobachter Miroslav Lamac schrieb dazu: "Prag wurde in dieser Hinsicht ein wahres kubistisches Zentrum, wo kubistische Häuser und Wohnungen mit kubistischen Einrichtungen gebaut wurden. Ihre Bewohner konnten aus kubistischen Tassen Kaffee trinken, ihre Blumen in kubistische Vasen stellen, die Zeit an kubistischen Uhren ablesen, mit kubistischen Lampen leuchten."

Bis 7. Oktober

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