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Der versteinerte Traum des Diktators

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Rom, im November Eine silbrige Nacht erinnerte uns daran, daß Goethe während einer Vollmondnacht die Ruine des Kolosseums hinaufstieg und dies als das größte seelische Erlebnis im Gedächtnis behielt, das er in Rom empfunden habe. Und heute war eine ebensolche Nacht.

Wir ließen den Wagen laufen, unter dem Palatin vorbei, die lange Front des monotonen Afrikaministeriums entlang, durch die Porta San Paolo durch und dann über breite Vorortestraßen. Die Basilika St. Pauls lag in völliger Stille, verlassen vom Pilgerstrom des Tages. Die Stadt ist dann plötzlich zu Ende. Rom verliert sich nicht in immer kleiner und bescheidener werdenden Häusern und Hütten, in immer mehr anwachsenden freien Parzellen; das moderne Rom endet

überall in enormen Wohnblocks von Hochhäusern, die ins freie Feld hinausblicken.

Aber über den sanften Linien des Hügelgeländes stieg, einer Vision gleich, eine andere Stadt empor. Im vollen Licht des Mondes leuchteten Kuppeln, Würfel, Bögen. Unwirklich erscheinende Konstruktionen, weite Gebäudeflächen mit zahllosen Fensteröffnungen, von denen keine einzige erleuchtet war. Die Straße wurde schlecht. Kein lebendes Wesen ringsum. Da stiegen Marmormassen, Hallen, Säle und Freitreppen in riesigen Dimensionen auf. Das Licht brach in einen hohen Kirchenraum, der öde und leer schien. Da waren breite Alleen, künstliche, nunmehr ausgetrocknete Seen, da war die Trasse einer verlassenen Eisenbahn, dann wieder Mosaikböden, zwischen denen Gräser hervorsprossen, die sich im lauen Wind des nahen Meeres von Ostia wiegten. Das Gespräch verstummte und nur das tröstliche Summen des Motors minderte die beklemmende, gespenstische Ruhe. Weiße Statuen gleißten in der Mondhelle, andere lagert gestürzt auf dem Boden.

Eine tote Stadt, die niemals Leben hatte, in der niemals ein Mensch gewohnt hat. Nicht einmal einen Namen hat man ihr gegeben, sie ist

Katasternummer „E 42“

E 42 war die letzte große architektonische Leistung des Faschismus. Vor den Toren Roms enteignete der Staat eine Bodenfläche von vier Quadratkilometern, um darauf die riesigen Bauten zu errichten, welche die „Esposizione Universale 1942“ beherbergen sollten. Doch es sollte noch mehr als eine Weltausstellung werden, nämlich eine „Olympiade der Zivilisation“, besonders aber der lateinischen, ein Monument für die Größe Roms in ihrer neuen faschistischen Reinkarna-tion. Für eine solche verpflichtende Aufgabe durfte mit Mitteln nicht geknausert werden. Riesige Summen wurden freigemacht, man schätzt die Gesamtausgaben auf eine Milliarde Lire. Es handelt sich jedoch um Lire des Jahres 1938, heute würde jene Milliarde den sechzig- oder siebzigfachen Betrag ausmachen. Innerhalb von wenigen Monaten entstanden in jenem letzten Friedensjahr, dem „Jahre XVI“ der faschistischen Ära, die monumentalen Paläste, welche die italienische Kultur, den Faschismus, das Korporationssystem zu verherrlichen hatten.

Der für die Kongresse und Empfänge bestimmte Palast besitzt eine Halle, in die man das Pantheon bequem hineinstellen könnte. Der Saal des „Palazzo deMa Civilta Itallana“, dessen Loggien-reihen die italienische Kultur symbolisieren, übertrifft an Größe den der Hora-tier und Curiatier auf dem Kapitol. Die Kuppel der Kirche, der hl. Petrus und Paulus, ist heute von jedem erhöhten Standpunkt Roms aus sichtbar. Alle diese Gebäude waren völlig fertiggestellt, ebenso das Massenhotel auf der fünfzig Meter breiten Via Imperiale, der Palast der Korporationen, die vier den Künsten gewidmeten Komplexe, jener der bewaffneten Macht und ein anderer, den Auestellungsbüros gewidmeter Palast. Dazwischen öffnen sich weite Rundplätze, Alleestraßen und Kolonnaden, die mit Travertin oder Porphyr oder Mosaiken gepflastert sind. Zehntausende von Pinien, Zypressen, Magnolien, Oleandern, Palmen, Korkeichen und Roßkastanien wurden gepflanzt. Berge von Marmorblöcken liegen heute noch ungenützt aufgetürmt, Hunderte von Statuen liegen im Gras und wollen auf ihre Sockel gehoben werden.

Dann kam der Krieg. In den Septembertagen 1943 beschossen deutsche Truppen die italienischen Grenadiere mit Artillerie, die sich in der E42 verschanzt hatten. Der Versuch, die Gebäude in Brand zu stecken, mißlang. Die Alliierten richteten hier Schießstätten ein und benützten die

Marmorsäle als Magazine

Arbeitslose und Bombenflüchtlinge hausten in den Räumen, entzündeten auf den Mosaikböden Feuer, das sie mit Schreibtischen, geschnitzten Türen und Fensterstöcken nährten. Waschanlagen, Zentralheizungen und Telephonanlagen wurden durch sie abmontiert und um wenige Lire auf den Trödelmärkten verkauft. Keine Fensterscheibe war mehr zu finden.

Der Staat besitzt heute in E42 ein Milliardenvermögen, mit dem er nichts anzufangen weiß und das der langsamen Vernichtung geweiht ist. Ab und zu löst sich eine Marmorplatte und stürzt mit dumpfem Getöse zu Boden, daß einige Vögel erschreckt aufflattern. Um die Schäden zu beheben, das Vorhandene noch nutzbar zu machen, wären weitere sechzig Milliarden notwendig. Und dann? Es ist dies eine Frage, auf die niemand Antwort zu geben weiß. Auch nicht Professor P i a c e n t i n i, der berühmte „Architekt des Regimes“, der an der Projektierung von E42 maßgeblich beteiligt war und den der Verfasser dieser Zeilen sprach. Er erklärte, daß die Voranschläge der Baukosten gezeigt hätten, wie wenig mit provisorischen Ausstellungsbauten, die nach der Erfüllung ihres Zweckes abgebrochen hätten werden müssen, erspart worden wäre: nämlich nur 20 Prozent. Man entschloß sich daher, Gebäude von dauerndem Charakter aufzurichten, die später als Kulturzentrum, als permanente Ausstellung oder als Kongreßstadt hätten dienen können. An solchen Vorschlägen hat es auch nach dem Kriege nicht gefehlt, aber immer stellten sich die kolossalen Ausmaße als Hindernis entgegen. Das Zentralkomitee für internationale Ausstellungen in Paris scheint außerdem dem Plane einer ständigen Schau nicht günstig gegenüberzustehen. Das Rocke-feller Center zeigte Interesse und wollte da6 Gelände als kulturelles Institut für die studierende Jugend erwerben. Auch die Südafrikanische Republik hatte ähnliche Pläne. Die Uberdimensionen der Gebäude schreckten jedoch am Ende alle Bewerber ab.

In dürre Einsamkeit versunkenes Vineta

Profitjäger drangen in den Kommissar Leonardi Severi, ihnen das ganze Gelände als „überschüssiges Kriegsgut“, al enorme Masse von Schutt und Schrott, abzutreten: andere wollten einen Vergnügungspark und einen Zoologischen Garten daraus machen, auch das gewohnte Spielkasino dürfte nicht gefehlt haben, das zweifellos einzigartig in der Welt gewesen wäre. Alle diese Vorschläge wurden abgelehnt. Schließlich erklärten sich vier große italienische Industrieunternehmen bereit, zur Fertigstellung einen Milliardenbetrag zur Verfügung zu stellen, um aus E 42 eine „Stadt des Fortschritts“, mit Akademien, Bibliotheken, Stiftungen, internationalen Colleges, mit Ausstellungen und künstlerischen wie wirtschaftlichen Wettbewerben zu machen. Dieser Vorschlag steht noch in Erwägung, denn er würde E 42 zum erstenmal zweckerfülltes Leben verleihen.

Noch liegt tödliche Stille über den Marmormassen, Zeugen diktatorischen Machtwahns und der Ruhmsucht. Ein verlassener Riesenkran streckt seine Gespensterarme wie in stummer Verzweiflung in den Himmel.

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