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Der vierte Band des Großen Herder

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Der Große Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben. Fünfte, neubearbeitete Auflage von Herders Konversationslexikon. Vierter Band. Georg bis Italien. Verlag Herder, Freiburg i. Br. 1954. Großoktav, 4 Seiten und 1520 Spalten

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Der Große Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben. Fünfte, neubearbeitete Auflage von Herders Konversationslexikon. Vierter Band. Georg bis Italien. Verlag Herder, Freiburg i. Br. 1954. Großoktav, 4 Seiten und 1520 Spalten

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Das ausgezeichnete Nachschlagewerk des Verlages Herder schreitet rasch fort. Nun ist beinahe die Hälfte der geplanten neun Bände — der zehnte Band schildert bekanntlich als enzyklopädischer Ergänzungsband den „Menschen in seiner Welt" — erschienen, und wir finden wieder die hervorragenden Eigenschaften dieses Lexikons bestätigt, auf die stets neu hinzuweisen ebenso überflüssig wie ermüdend wäre. So können wir uns sofort dem besonderen Inhalt dieses Bandes zuwenden. Er steht im Zeichen großer Länderartikel, unter denen Großbritannien, Indien, Italien und Japan den wichtigsten Platz einnehmen. Sie sind allesamt glänzend gelungen. Der Text wird durch die vorzüglichen Bildbeigaben und durch schöne Landkarten erläutert (bei Japan fehlt leider die Landkarte). An zweiter Stelle unter den geographischen Schlagworten finden wir Darstellungen der Staaten Griechenland. Indische Union, Indonesien, Irak, Iran, Irland, Island und Israel, ferner (in raumbedingter Kürze) Guatemala, Haiti, Honduras. Sehr gut geraten, weil von der Heerstraße abliegend und ins Herz zeitnaher Probleme führend, die Ausführungen über Grönland — den strategisch bedeutsamen Stützpunkt nahe dem Nordpol —, das Himalajagebirge, Hinterindien, die Stadt Jerusalem, Hamburg. Die geographische Theorie erfährt durch eine vorzügliche Zusammenstellung der Großstädte, deren Werden und Wachsen an Hand der Statistik hervortritt, eine dankenswerte Bereicherung. Es ist nicht Schuld des Verfassers dieser Uebersicht, daß es infolge der steten Geheimniskrämerei der offiziellen Sow-jetmachthaber keine zuverlässigen Angaben über die UdSSR machen konnte, übrigens auch ‘nicht über China, und daß darum mehrere Städte der Sowjetunion, die bestimmt über eine Million Einwohner zählen, nicht mitgenannt sind. Erwähnen wir noch die Artikel Gletscher und Hafen.

Schon in den Länderschlagworten ist ge- chichtlicher Stoff enthalten — für unseren Geschmack etwas zu sparsam, doch tias liegt im Geist der Zeit und wird durch die beklemmende Raumnot begründet; wesentlich historisch sind die durchweg vorzüglichen Darlegungen über Altgriechenland, die Hanse, die Häuser Habsburg und Hohenzollern, die Inkas, die Hethiter und besonders die Helladiker. Ins Gebiet der Geschichtstheorie fallen die Artikel Geschichte, Geschichtlichkeit, Geschichtsphilosophie, leider zh sehr auf den deutschen Blickkreis beschränkt und ohne Auseinandersetzung mit den östlichen Auffassungen. An den soziologischen und juridischen Artikeln ist dagegen sehr zu rühmen, daß sie unerschütterliche Festigkeit christlicher Grundsätze mit Beachtung und knapper Widerlegung wuchtiger andersartiger Meinungen verbinden, so s. v. Gesellschaft, Gesellschaftsvertrag, Gleichheit, Grundrechte, Humanismus, Imperialismus. Vordringlich informativen Charakter tragen die stoffsatten Artikel Gewerbe, Gewerkschaft. Grundrente, Güterverkehr, Handel, Handwerk, Industrie, Internationale. Beide Rahmenartikel, die wie jeden anderen auch diesen Herder-Band zieren, sind diesmal politisch-soziologisch bzw. soziologisch-kulturgeschichtlich. nämlich der in seelische Tiefen vorstoßende über das Haus, und der nicht minder profunde über den Herrscher. Meisfer- haft ist dabei die Auswahl der Bebilderung und sprachlich vollendet die dazu gebotene Deutung.

Gute geistige Kost bieten sodann die in diesem Bande selteneren kunsthistorischen Artikel, wie Glasmalerei (mit herrlicher Bildbeigabe), Gotik, Holzschnitt und Impressionismus (wiederum prächtig illustriert), ferner Musikalisches: Gesang, Glocke, Gregorianischer Gesang, Harfe. Damit halten wir schon in der Nähe des einen der drei Bezirke, in denen die hohen Qualitäten des Großen Herder aufs klarste zum Ausdruck kommen, des der Weltanschauung, bewährt an Fragen der Theologie, der Philosophie und der Kulturkritik. Mustergültig sind, eines nach dem ändern, die Schlagworte Gerechtigkeit. Gewissen, Glaube, Gnade. Gnosis, Gott, Gottesbeweis, Inspiration behandelt. In den mehr unterrichtenden als den Standpunkt des heutigen Katholizismus umreißenden Artikeln zu religiösen Themen bekundet sich rühmliche Aufgeschlossenheit, so bei Hinduismus, Jansenismus, Jesuiten, Inquisition, Islam (außerordentlich wohlgeraten) und vielleicht am erfreulichsten in Griechisch-Orthodoxe Kirche.

Ein zweiter Vorzug des Großen Herder sind die biographischen Artikel, unter denen wiederum die literarischen und künstlerischen, die theologischen und die philosophischen hervorragen. Loben wir auswahlweise: Gide. Giotto, Giraudoux, Van Gogh, Goethe, Goya, Grillparzer, Grünewald, Hamann, Haydn, Hegel, Heidegger, Helm- holtz, Herbart, Herder, Hertz, Hindemith, E. T. A. Hoffmann, Hofmannsthal, Hölderlin, Home , Husseri, Huyghens, Jaspers, Jean Paul, Ignatius von Loyola. Drei Größen des Dritten Reichea sind sehr ausführlich und mit unerbittlicher Strenge, doch ohne gehässige Ausbrüche, geschildert: Hitler, Göring, Goebbels. Eine Perle der Artikel Jesus Christus. Zu den weniger befriedigenden biographischen Schlagworten zählen wir Theodor Haecker, dessen überragende Bedeutung als eines der größten Meister der deutschen Sprache in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht gebührend hervorgeht, und Heine, bei dem die formale Seite seines von Kraus und Haecker angefochtenen, aus unsachlichen Gründen bald überschätzten, bald verdammten Werkes vernachlässigt erscheint.

Dritte Glanzleistung des Großen Herder: der gesamte naturwissenschaftlich-mathematische Sektor. Er bildet gleichsam den Motivenbericht zum Urteil, daß gläubiger Katholizismus sowohl zettverbunden. als auch auf der Höhe der Wissenschaft zu sein vermag. Heben w’ir aus der Unzahl bemerkenswerter Artikel dieser Art hervor: Geschlecht, Gifte, Glas, Gleichrichter, Gleichstrom, Gleichung, Gold, Graphologie (mit instruktiver . Schrifttafel), Gummi, Haar, Hafer, Hand, Häufigkeit der Elemente, Hauptsätze der Wärmelehre. Heilpflanzen (samt nützlicher Bildbeilage), Heizung, Herz, Hochbau, Hochfrequenz, Hochofen, Hochspannung, Holz (sämtlich gut illustriert), Homo, Homöopathie, Homosexualität, Hormone, Hühner, Hund (vorzügliche Bildtafel für beide Tierarten), Hunger, Hydrierverfahren, Hydrodynamik, Hydrostatik, Hypnose, Insekten, Instinkt (geradezu erregende Tafel), Insulin, Integral, Ion, Isotope. Wer da etwa die Darlegungen über Gleichgeschlechtigkeit oder über Hypnose gelesen hat, der wird kaum mehr den bewußten Christen Engstirnigkeit nachsagen, und wer sich an den blendenden Darstellungen moderner Technik, Produktion und Architektur ergötzt, dem wird auch auf diesem Terrain die Vollgültigkeit des katholischen Menschen bestätigt werden.

. Wie stets, obliegt es uns, nach soviel überzeugtem Lob jenen Nachtrag beizusteuern, der bei jeder noch so anerkennenswürdigen. Gesamtleistung unvermeidbar ist: die kleinen Ergänzungen und Berichtigungen. , Wir möchten uns selbstverständlich nicht bei Kleinigkeiten aufhalten, etwa beim übersehenen Ableben zeitgenössischer Berühmtheiten ;— so ist z. B. Abel Hermant schon vor zwei Jahren verstorben —, noch hei unzulänglichen Definitionen nebensächlicher Schlagworte — „Gloriette" ist weniger als Stoff zu beachten, denn als Bezeichnung für einen Gartenpavillon, wie dem berühmten beim Wiener Schloß Schönbrunn —r, noch . bei winzigen Ungenauigkeiten — die Gothaischen Taschenbücher sind bis 1943, nicht bis 1942 erschienen —noch endlich bei Episoden, die wir in manchen Biographien für unbedingt erwähnenswert hielten —S beim Wiener Erzbischof-Koadjutor Tächym wäre, abgesehen von dem ihm vorenthaltcnen Akzent auf dem a, noch die aufsehenerregende Weigerung des Prälaten au verzeichnen, die Weihe zu emp-

fangen, welcher Zwischenfall erst nach einigen Monaten beigelegt wurde, für Groza ist bezeichnend und kapital, daß er noch unter der Monarchie Minister und vordem ein großer Geschäftsadvokat war. Unser Bedauern gilt Wiederum der ungenügenden und offenbar systematischen Min- derbeachtung fremder Literatur zu wichtigen Schlagworten, etwa zu Geschichte, Geschichtsphilosophie, Historische Zeitschriften, Illustrierte, Imperialismus.’ Wir gestatten uns endlich — eine flüchtige Durchsicht war dafür Grundlage — eine Liste unserer Ansicht nach nötiger bzw. wünschenswerter Ergänzungen zu den biographischen Schlagworten zu geben. Mit besonderem Kummer haben wir die Abwesenheit hervorragendster österreichischer Gestalten aus der politischen und kulturellen Vergangenheit festgestellt. So vermissen wir: den nächst Ltieger und Aloys Liechtenstein bedeutendsten Führer der Christlichsozialen, Albert Geßmann, die bedeutenden Staatsmänner der liberalen Aera Giskra und Glaser, den Komponisten Goldmark, den langjährigen Außenminister Graf Goluchowski und dessen Vat , den leitenden Staatsmann und Verfasser des Oktoberpatents, den Philosophen Gomperz, den deutschliberalen Politiker von Gfabmayr, den Generaladjutanten Franz Josephs I. und neben Fürst Schwarzenberg wichtigsten Mann der vorkonstitutionellen Periode, Graf Grünne, den Oberbefehlshaber im Krieg von 1859, Feldzeugmeister Graf Gyulay, den mariatheresianischen berühmten Feldherrn, Feldmarschali Graf Hädik, den gefeierten Orientalisten Baron Hammer- Furgstall, den Tiefseeforscher Haß, den führenden katholischen Historiker und Präsidenten der Leo-Gesellschaft, Baron Helfert, Innenminister Helmer, den besten Rußländkenner vor dem 18. Jahrhundert, Herberstein, den Soziologen Friedrich Hertz, den liberalen Leader Herbst, Hurdes, Baron Hussarek (Ministerpräsident und glänzender Kirchenrechtler), Feldmarschall Baron Heß, den Diplomaten Graf Hübner, die Jeritza, Kreditanstaltsdirektor Joham, ferner als erwünscht die Schriftsteller Jakob Haringer, W. von Hartlieb, Alma Holgersen, Ödön von Horvath, Gelehrte, wie den Historiker Hantsch, den Altphilologen und Unterrichtsminister Hartei, den Wiener Bürgermeister Jonas. Aus den Nachfolgestaaten fehlen z. B. Sterne erster Größe, wie Gömbös, Görgey, Jellacic, Jeftic, Jovanovié, Milan Hodza, mehrere Jabionowski, Take Jonescu, lorga, die Ghika. Stichproben lassen auch aus dem französischen Sprachraum manche bedauerliche Lücke sichtbar werden: den großen Maler Gérard, Emile de Girardin, General Gouraud, Rémy de Gour- morit, den Verlag Bernard Grasset, den Byzanti- nisten Henri Grégoire, den Dichtet des „Vert- Vert" Gresset, :den Präsidenten der Republik Jules Grévy, General Grouchy, den Fliegerhelden Guvnemer. Hémori („Marie Chapdelaine"), Hoche, den Heraldiker Hozier, den Chronisten Joinville, General Joubert, General Jourdan, den Dichter Jouve, den Politiker de Jouvenel.

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