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Der Wald im Wandel der Zeiten

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Wenn wir nun die Mühen der Gegenwart und besonders auch die Sorgen um den Wald verstehen wollen, müssen wir die Vergangenheit kennen. Vor der Umschau auch die Rückschau! Ein Geheimnis hat der Wald immer noch bei sich behalten. Es ist die Antwort auf die scheinbar so einfache Frage nach seinem Wesen: Was ist der Wald? Jedermann hat auch bei dieser Frage eine Vorstellung. Doch wenn diese in Worte gefaßt werden soll, entweicht sie, während man sich um die Antwort bemüht. In der Vergangenheit sind schon manche Antworten gefunden worden. Sie waten jeweils sehr verschieden und wechselten in den Zeitläufen je nach dem Standpunkt des Fragenden. Sie waren Spiegelungen der Fragenden, die nur das als Antwort annahmen, was den Menschen dienlich schien.

Fachleute tun sich leichter, sie erinnern sich der Definition von Endres in einem ihrer Lehrbücher: „Wald ist ein Grundstück, welches zur Erzeugung von Holz sowie der mit der Holzerzeugung verbundenen Nebennutzungen dient.“ Ein anderer Fachmann sieht darin einen Sammelbegriff für eine mehr oder weniger große Vielzahl von holzerzeugenden Gewächsen der verschiedenen Art oder für eine mit solchen Gewächsen bestockte Fläche. Beide Definitionen sind ein Ergebnis der nutzensuchenden Theorie oder des Systems des 19. Jahrhunderts.

Der Wald war vor den Menschen da, als Urwald. Er war in unserer Heimat das naturgegebene Kleid der Mutter Erde, wo immer Klima und Boden es ermöglichten, dieses Kleid entstehen zu lassen. Freilich war es nach unseren Maßen weder schön noch weich, aber es hielt warm und blieb — wenn auch während des Wandels von Urwald bis zum Zivilisationswald fadenscheinig geworden ■ haltbar bis in unsere Zeit. Als dann der Mensch kam, wurde er dessen Feind und mußte weichen. Er wich zwar nicht ohne Gegenwehr der Axt und dem Feuer in der Auseinandersetzung zwischen Siedler und Urwald um den Boden zurück, seine natürlichen Widerstandskräfte erhielten sich im Urwald und erstickten erst im modernen Zivilisationswald. Es nahm auch die Feindschaft ab, je mehr der Wald unterworfen und dienbar wurde. Der Rausch der Pioniere, die den Urwald töteten, um seinen Boden zu nehmen, verging, als der Drang nach Neuland befriedigt war und die Ernüchterung erkennen ließ, daß auch der lebende Hochwald Nutzen gibt. Man mußte ihn, wo er noch stand, um des Holzes, der Jagd und der Viehweide willen schonen. Schon im Jahre 1177 tauchten zum Beispiel für das österreichische Stift Heiligenkreuz Rodungsverbote auf.

Schon zu Ende des Mittelalters, ganz besonders aber im 16. Jahrhundert, war die Erkenntnis aufgekeimt, daß der Wald nicht unerschöpflich sei, sondern daß er — damit er noch den kommenden Geschlechtern dienen könne — der Schonung und Pflege bedürfe. Sogar Sparmaßnahmen wurden schon angeordnet, zum Beispiel in Tirol und Steiermark zugunsten des Bergbaues und der Salzgewinnung. Sogar den Wert der Nebennutzungen, so der Früchte des Waldes, der Jagd oder Waldweide usw., hatte man schon erkannt und sich zunutze gemacht. Auch Bauholz wurde ob der zerstörenden Kriege allzeit benötigt. Das hölzerne Zeitalter ging aber seinem Ende zu, es mußte so. weil der Rohstoff Holz doch nicht so unerschöpflich zu sein schien. Noch heute kann man bei Führungen durch die Katakomben des Wiener Stephansdomes hören, daß Kaiser Josef IL, um der Holznot zu begegnen, angeordnet habe, die Leichen ohne Särge zu bestatten. Zwar waren damals schon Reserven vorhanden, weil die Altbestände in den Wäldern reichhaltiger waren, als man geschätzt hatte. Aber die vorhandenen Reserven waren begrenzt und der Transport des Holzes zu den Verbrauchszentren war damals schon teuer. Man sparte und suchte und probierte alles, was die Natur bot. Mit Erfolg! Die Wege dazu sind durch die Forstleute gefunden worden. Man begann den Raubbau einzustellen und durch Wiederbegründung des Waldes und Pflege zu ersetzen. Die Wiederbegründung erfolgte durch Saat, zum Teil auch durch Pflanzung mit jener Holzart, wie der Fichte, welche den höchsten wirtschaftlichen Ertrag und die vielseitigste Verwendungsmöglichkeit versprach.

Schon im Jahre 1839 waren für die Länder Tirol und Vorarlberg Waldordnungen erlassen worden, um den Haus- und Gutsbedarf an Holz für die Bewohner und für die Salinen, in der Steiermark auch für die Hammerwerke, für alle Zeit durch entsprechende Bewirtschaftungsanordnungen zu sichern. 1852 wurde das später für Europa richtunggebende Reichsforstgesetz mit der prägnanten Kommentierung erlassen: „Die Sicherstellung der in alle Lebensverhältnisse eingreifenden Holzbedürfnisse hat der Regierung stets die Verpflichtung auferlegt, für den besonderen Schutz des Eigentums, der Erhaltung und der Pflege der Wälder und Holzpflanzungen durch eigene Gesetze und Vorschriften Sorge zu tragen.“

Das technische Zeitalter hatte schon begonnen; Brennholz wurde langsam durch Kohle ersetzt, für die Eisenbahnen wurden Schwellen benötigt, bei der Zelluloseerzeugung wurde anstatt der Hadern immer mehr Holz verwendet und damit die chemische Verwertung des Holzes zur Papiererzeugung eingeleitet. Die Industrialisierung und die fortschreitende Technik haben nicht nur den Menschen gewandelt, sondern auch die Be- und Verarbeitung des Holzes in vollkommen andere Bahnen gelenkt.

Das Holz wurde in seinen Hauptsortimenten industrieller Rohstoff, und auch die Forstwirtschaft wurde in die politische und konjunkturelle Strömung des modernen Industriestaates hineingezogen. Und wenn es auch den Anschein haben mag, daß das Holz in all seinen Formen der Verwertung durch Eisen, Stahl, Beton und Kunststoffe, durch Kohle, Öl, Elektrizität oder Gas verdrängt wird, so dürfen wir dessen sicher sein, daß für die Bergbauern, den Städter und Talbewohner unseres Waldlandes das Holz auch weiterhin den fundamentalen Rückhalt geben wird. Nicht Wohnungen aus Glas und Beton mit Möbel aus Stahl und Kunststoffen schaffen ein glückliches Heim, sondern nur Wohnungen, in denen Holzmöbel und Holzböden Schönheit und Wärme spenden, geben das Gefühl der Behaglichkeit und Geborgenheit. Und mag auch die Span- oder Faserplatte das Brett ersetzen, der Rohstoff bleibt derselbe.

Der Wald aber ist und bleibt die sich selbst immer wieder erneuernde Quelle des universellen Rohstoffes Holz; währenddessen er uns aber den darin erzeugten Rohstoff liefert, weil er kein Abbaurohstoff, wie Erz oder Öl, ist, übt er gleichzeitig die Schutzwirkungen in bezug auf Klima, Wasserhaushalt und Landschaft, also auf die gesamte Landeskultur sowie auf den Menschen aus. Sie werden gewöhnlich unter dem Begriff „Wohlfahrtswirkungen“ zusammengefaßt.

Wegen dieser Wohlfahrtswirkungen aber glaube ich feststellen zu dürfen, daß der Wald in der Gegenwart viel mehr Freunde hat, als er glaubt, und immer mehr an solchen gewinnt. Es hat sich die Erkenntnis von der Bedeutung des Waldes im Zeitalter modernster Technik mit all ihren Errungenschaften so gewandelt, daß man heute nicht mehr befürchten muß, nachsichtig belächelt zu werden, wenn man die Wohlfahrtswirkungen des Waldes höher anzuschlagen wagt als vielleicht den Wert der Holznutzungen, Macht man sich doch schon Gedanken, wie hoch man sie einschätzen darf, ob auf das Zehnfache oder mehr oder weniger. Um aber nicht mißverstanden zu werden: Es bekümmert den Mann auf der Straße oder in der Fabrik weniger oder gar nicht, ob der Waldbesitz rentabel, ob die Holzwirtschaft gesund ist. Auch das Sinken der Holzpreise und das Steigen der Lasten interessieren ihn nicht, ebensowenig die Kosten der Umwandlung von der Fichten-Monokultur auf den widerstandsfähigeren, gesünderen Mischwald. Ihm geht es um den Wald an sich, und der darf nun keinen Schaden nehmen. Zum Unterschied von Staat bzw. Finanzamt, Gemeinden, Waldbesitzem und Holzverbrauchern sieht er mehr den Wald, als das Holz im Walde.

Gerade die Journalisten kennen die Meinung des „Mannes auf der Straße“ und formen das, was als „öffentliche Meinung“ wirksam wird. Es taucht nach Katastrophen, wie Überschwemmungen und Lawinen, in den Zeitungen immer wieder die Frage auf, ob unser Wald in seiner Gesamtheit auf Grund der vielseitigen Inanspruchnahme gefährdet ist oder nicht. Die Wohlfahrtswirkungen, deren wir in der Zukunft trotz Technik immer mehr bedürfen, sollen weiterhin in Erscheinung treten, und auch auf den Rohstoff Holz können und wollen wir nicht verzichten.

Die Fragesteller können darob beruhigt sein, wenn in dem gleichen Maße, wie die Erkenntnis von dem gemeinnützigen Wert und Einfluß des Waldes auf Klima, Wasserhaushalt, Landeskultur, Volkshygiene wächst, auch die Berechtigung anerkannt wird und sich steigert, daß alle Staatsbürger — nicht nur die Waldbesitzer als Holzerzeuger und die Holzverbraucher — an den Lasten tragen müssen, die mit der Erhaltung des Waldes naturnotwendig verbunden sind.

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