Der Walzerkönig mit dem Huscher

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Wurde der Pudel von Johann Strauß täglich geschoren, um alle Bewunderer mit Haarlocken versorgen zu können?

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Wurde der Pudel von Johann Strauß täglich geschoren, um alle Bewunderer mit Haarlocken versorgen zu können?

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Also gut, wir haben uns zum Gedenkjahr durch ein halbes Dutzend Biographien von Johann Strauß Sohn gekämpft, nun wird uns etwas Entspannung geboten. Gleich zu Beginn verkündet uns der fleißige Laien-Forscher Robert Dachs, Strauß habe "einen leichten Huscher" gehabt, wie man in Wien sagt. Ein bißchen Plemplem. Unberechenbar. Wunderlich. Aber die anderen auch. Die ganze Familie, diese Walzer-Produktions- und Verwertungs-Gemeinschaft: ein Haus voller Narren, alle miteinander verfeindet. Schani, der Familien-Diktator, war der brutale, krankhaft geizige Ausbeuter der beiden Brüder, schrieb der Schwägerin pornographische Briefe (die meisten wurden von der Familie "leider" sehr bald vernichtet), bediente sich beim früh verstorbenen Josef aber auch im musikalischen Nachlaß. Keine "Fledermaus" ohne dieses Diebsgut. Dabei war er voller Ängste und Minderwertigkeitskomplexe. "Aus dem Haus ging er nur in Begleitung der Melancholie." Aber nie auf Friedhöfe. Den Doktor Freud hätte er laut Dachs schon deshalb nicht aufsuchen können, weil er bereits an der steilen Berggasse gescheitert wäre.

Was für ein Glück! Der Freud hätte ihn am Ende so "normal" gemacht, daß ihm nie wieder eine Melodie eingefallen wäre. Aber so weit denkt unser Dachs leider nicht. Daß die Strauß-Brüder alle mehr oder weniger venerisch infiziert waren, wird nicht ausgesprochen, aber stillschweigend unterstellt. Dagegen wehrt sich Dachs gegen das Gerücht, der Pudel sei täglich geschoren worden, um die Verehrer des Walzerkönigs mit dessen Haarlocken versorgen zu können. Da hätte man nach der Schur wohl auch gleich ein starkes Haarwuchsmittel gebraucht. Josef hatte - ganz im Gegensatz zum Schani - einen Hang zu Gräbern, Grüften, Skeletten und Mumien.

Der Walzerkönig war unfähig, Bücher zu lesen. Kaum die Textbücher seiner Operetten und nicht die erste Biographie, die über ihn erschien: "Was geh' ich mich an?!" So auch der Titel des neuen Buches. Nachdem Dachs noch vielerlei Nebensächlichkeiten ausgeplaudert hat, kommt er auf eins seiner ernsteren Anliegen: Bekanntlich wurde dem Strauß ja Anno 1941 vom Berliner Sippenamt der jüdische Großvater wegradiert - plumpe Urkundenfälschung. Nun will ihn Dachs dem Judentum zurückgeben. Zwei seiner Beweise halten nicht: Das Auftrittslied des Homonay aus dem "Zigeunerbaron" - wohl die ungarischste aller Strauß-Melodien - soll eine alte Klezmer-Melodie sein. Natürlich haben Zigeuner-, Klezmer- und Heurigenmusikanten mancherlei Melodien herumgetragen. Aber hier wird der jüdische Ursprung schwer zu beweisen sein - was Dachs deshalb auch unterläßt.

"Unbewußt kommt mir das Jüdeln in den Mund", beklagt sich Strauß (im "jüdischen" 2. Wiener Bezirk aufgewachsen) bei seinem Schwager. Seine (jüdische) Frau Adele sei dann immer sehr böse mit ihm. Darüber kann sich aber nur Dachs wundern. Denn selbst in der "zweiten" Wiener Gesellschaft, dem teilweise jüdischen Großbürgertum, wurde man ohne gepflegte Sprache nicht akzeptiert. Damals machte man weder mit dem Meidlinger "Elll" noch mit Schwechater Nasallauten Karriere.

Robert Dachs ist überaus geizig mit Quellenangaben. Vieles bleibt bloße Behauptung, anderes wird aus Sekundärliteratur zitiert. Sobald der Walzerkönig alt und bald sterbenskrank wird, sieht ihn auch Dachs milder. Er besinnt sich, daß Strauß doch immerhin so bedeutend war (mit allen "Huschern"), daß man hundert Jahre nach seinem Tod noch Bücher über ihn verkaufen kann. Was er über die Sünden an seinem Nachlaß erzählt, ist traurig und wahr - aber längst bekannt. Sonst hat er zum Ausgleich für seine "Entlarvungen" etliche meist positive Urteile anderer eingestreut. Zum Beispiel den Ausspruch von Andre Heller: "Strauß-Walzer sind eine als Fasching verkleidete Melancholie. So viel Zärtlichkeit ist in ihnen und Großzügigkeit, als würde die Musik für sich selbst eine Musik zur Aufführung bringen." Ein einziger Strauß-Walzer kann alle "Huscher" wegblasen: "Glücklich ist, wer vergißt ..."

Johann Strauss "Was geh' ich mich an?!" Glanz und Dunkelheit im Leben des Walzerkönigs. Von Robert Dachs. Verlag Styria, Graz 1999. 208 Seiten, Bilder, geb., öS 298,- e 21,60

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