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Der Weit eine Bühne

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Mit dem „Auswuchs der Städte“ 1st überall die Wirrnis der Architektur gewachsen. Der Durchschnitt dessen, was heute in allen Ländern gebaut wird, ist schlecht; man praktiziert einen Allerweltsstil, der in Texas ebenso mit Lineal und Rechenschieber konstruiert wird wie beim Bau moderner Mietskasernen europäischer Großstädte. Mit Recht kann man mitunter die Frage vernehmen, ob es überhaupt eine „Baukunst“ in unserer Zeit noch gibt. Inmitten der Wirrnis aber entstehen doch immer wieder einzelne Werke, die hervorragen, die in einem echten Sinne „Baukunst“ sind und beste Überlieferung auch des modernen Bauens weiterführen.

Gerade Österreich darf sich darauf berufen, eine „Überlieferung des modernen Bauens“ zu besitzen. Der Wiener Baurat Otto Wagner steht am Beginn der modernen Architektur in Österreich; an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert formuliert er die Absage an den Historismus, er führt in seinen großen Wiener Bauten — in der Wiener Postsparkasse, in der Kirche am Steinhof, in seinen Hoch- und Untergrundbahnbauten der Stadtbahn — als erster die Integration von Technik und Architektur durch. Aber mit dem Beginn einer neuen Epoche der Architektur, die zu einer Vereinfachung und Straffung der Formensprache und zum rationellen Bauen führt, werden doch gerade in Österreich gewisse emotionelle Werte nicht aufgegeben. Auch Otto Wagners Bauideen entbehren oft nicht einer bestimmten pathetischen Geste. Seine Gedanken wurden von Josef Olbrich, Josef Hoffmann und einer ganzen Wagner-Schule weitergeführt. Dabei galt aber nicht allein nur die Funktion oder die Konstruktion; angeregt vom Jugendstil gab es in der modernen österreichischen Architektur auch immer eine echte Bodenständigkeit,' eine .fruchtbare. E,Q fUdej,,gemäßigten Hęjpiatstils. Ä

Die ersten Schritte

Am 27. März 1966 wurde der österreichische Architekt Clemens Holzmeister 80 Jahre alt. Bei einem Überblick über sein reiches Lebenswerk gelangt man fast zwangsläufig zu jenem Aufbruch der österreichischen Architektur, der in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg in Österreich eine bunte Fülle interessanter Gestaltungsprinzipien und eine Unzahl ausgeprägter Bauten hervorgebracht hat. In seinen Lehr- und Wanderjahren kam Clemens Holzmeister noch mit den Gedankengängen und Projekten von Otto Wagner, Joseph Hoffmann, Josef Olbrich und Max von Ferstel in Kontakt. Als sich der junge Tiroler Architekt Holzmeister 1922 an einem Wettbewerb für ein Krematorium auf dem Wiener Zentralfriedhof bewarb, fiel sein Entwurf durch die klare Ruhe der kubischen Formen, durch die großflächige, expressive Monumentalität auf, die sich jedoch durchaus dem umgebenden Stadt- und Landschaftsbild einzugliedern wußte. Das Professorenkollegium der Akademie der bildenden Künste in Wien wurde durch diesen Entwurf veranlaßt, den in Innsbruck Tätigen nach Wien zu berufen und ihm die Leitung einer Meisterschule für Architektur zu übertragen. Friedrich Ohman hatte einst diese Schule geleitet; zugleich mit Holzmeister wirkte auch Peter Behrens an der Wiener Akademie, der in der Architektur dem Expressionismus in Österreich den Weg bereitete.

Vor kurzem erst haben wir des Jubiläums eines anderen bedeutenden österreichischen Künstlers gedacht, des 80. Geburtstages von Oskar Kokoschka. Auch Kokoschkas

Name ist mit dem Expressionismus, dem revolutionären Aufbruch in der Malerei, verknüpft; aber ebensowenig wie Kokoschka ist heute sein Generationsgenosse Clemens Holzmeister allein mit dem Expressionis-

mus gleichzusetzen. In der Weltläufigkeit seines Lebens- und Schaffensweges ist er dieser oder jener Bewegung entwachsen, und es zählt sein Werk schlechthin als Manifestation österreichischer Baukunst.

Clemens Holzmeister ist eine erstaunliche Erscheinung: Die kräftige, breite Gestalt ist ungebeugt; weiße Mähne umgibt das mächtige Haupt. Wie eh und je ersetzt ein lässiges Mascheri die Krawatte. Lebhaft ausholende Gesten und ein herzhaftes Lachen verraten das ungebrochene Temperament. Er erzählt von seiner Reise nach Madrid, wo er gerade den Auftrag erhielt, beim repräsentativsten Theaterbau Spaniens mitzuwirken. Schon bereitet er die nächste Reise vor, nach Augsburg, wo er die Zwölf-Apostel-Kirche in Hochzolizu bauen hat. Dazwischen macht er noch in Tirol Station, um auch dort Kirchenbauten in Obergurgl, Volders und Galtür zu überwachen.

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