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Der wiederentdeckte Magnasco

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Wer hätte es gedacht, daß die stille Abtei von Seitenstetten zu solchem internationalen Ruhme gelangen würde? Es fing damit an, daß der Wiener Kunsthistoriker Benno Geiger 1923 in einer Bibliothek einen alten Reiseführer aufstöberte, den „Wegweiser durch das untere Waldviertel von Niederösterreich“ von E. von Sacken, der in Wien 1878 erschienen war und in dem vier Bilder im Format von 116X144 cm beschrieben waren, als deren Maler ein gewisser Alessandrino angegeben war. Sofort machte sich Geiger auf und stellte in der Abtei fest, daß die Bilder eine Schenkung der Familie Colloredo-Mansfeld waren. So kombinierte er, daß Graf Colloredo-Mansfeld, ab er von 1720 bis 1725 Gouverneur der Lombardei war, die Bilder bei dem damals dort tätigen Maler Magnasco, genannt Lissandrino, bestellt hatte. Tatsächlich stellt das schönste, hellste und farbenfreudigste Bild eine Katechismusstunde in einer Kirche dar, die wahrscheinlich der Mailänder Dom ist. Elegante und modisch gekleidete Knaben in Rokokotracht knien artig vor hageren und asketischen Priestern und Mönchen, bekreuzigen und vertiefen sich in belehrenden Gesprächen, während neckische Hündchen kokett neben den einzelnen Gruppen hocken und andächtig zu lauschen scheinen. Elegante Herren sitzen lässig an den Pulten und warten, bis der Unterricht zu Ende geht.

Ein ähnliches Thema einer religiösen Zusammenkunft stellt das „Die Synagoge“ genannte Bild dar, in dem um ein erhöhtes turmartiges Pult langgestreckte Juden mit Kopfbedeckungen auf den meist weißen Haaren, mit offenen Büchern in der Hand, singend sitzen oder knien. Der Raum, angeblich die Synagoge von Livorno, mit rituellem Gerät versehen, ist in geheimnisvolles Dunkel gehüllt und nur von den Kerzen der Kandelaber erhellt.

Das Bild „Mönche im Refektorium“ zeigt einen kahlen Raum, an dessen Wänden Mönche, hinter Längstischen sitzend, ihre Mahlzeit einnehmen. Einige Mönche tragen die Speisen von einem Guckfenster an die Tisch. In der leeren Mitte haben sich büßende Möndie zu Boden gebeugt, um sich vor dem an der rechten Schmalwand sitzenden Abte zu erniedrigen. Neben diesem sitzt ein vornehmer Herr als Gast und ein unbeteiligtes Bürechchen neben den Riesengestalten der hageren Mönche. Dieses Bild wird allgemein als das leuchtendste Meisterwerk des genuesischen Barockmalers angesehen, in dem es bereits die silbrige Atmosphäre eines Corot vorwegnimmt. Durch offene Fenster leuchtet ein milchiger Himmel zwischen pastos gemalten Baumwipfeln. Die Natürlichkeit der Bewegungen, mit der die sonderbarsten Handlungen jeden Kontrast verlieren, die Mahlzeit, die Buße und die üppige Gastlichkeit, die naive genrehafte Darstellung und Auflösung in impressionistische Farbeneindrücke, machen aus diesem Bilde ein einzigartiges Meisterwerk.

Weniger leuchtend als dieses Bild, fast einförmig im Rembrandt-Braun, aber noch pastewer in der impressionistischen Malweise, ist das Bild „Mönche in der Bibliothek“ ausgeführt, auf dem asketische Möndie, auf Bänken halb liegend sitzen, um sich über aufgeschlagene Bücher zu beugen. Es sind immer wieder die weißbärtigen, barfüßigen Gestalten, die in ekstatischer Schau die innere Erregung religiöser Gefühle bis in den aufgeregten Faltenwurf der Kutten verraten.

Als nach dem ersten Weltkrieg die expressionistischen modernen Maler nach großen Vorbildern aus der Vergangenheit suchten, hatte der Kunsthistoriker E. L. Meier-Gräfe den El Greco und Benno Geiger den Magnasco aus der Vergessenheit von Galeriedepots hervorgeholt. Die beiden düsteren und abstrakten Vorgänger der ex-pressionistisdien, aufgeregt bewegten und wie eine Flamme flackernden Malerei wurden große Mode. Magnasco hatte in Mailand die düsteren Zeiten der spanischen Herrschaft mitgemacht. Die österreichische Herrschaft, die der spanischen folgte, wurde in der Lombardei wie eine Wohltat empfunden: die Kerker wurden geleert, die Inquisition abgeschafft und soziale Ordnung geschaffen. Ein heiterer Abglanz dieser helleren und freundlidieren Zeit ist gerade in den Bildern der Abtei Seitenstetten zu finden. Magnascos andere düsteren Bilder, die oft Begräbnisszenen, Friedhöfe, geheime Versammlungen, Räuber, Zigeuner, Soldaten, Höhlen, Beschwörer und Bettler zeigen, verfielen, zumal sie alle unsigniert waren, bald der Vergessenheit, als Tiepolo, Guardi und Longiii den höfischen Tanz des Rokoko in hellen Farben an die Wände malten. Erst 1914 fanden sie Auferstehung aus den Rumpelkammern, Galeriedepots und Antiquitätenläden, als der venezianische Maler Italico Brass und sein Freund Benno Geiger begannen, Magnascos zu entdecken und zu sammeln. Ausstellungen der Sammlung Geiger in Berlin, Köln, Frankfurt, München und Paris lösten einen Sturm der Begeisterung und Ablehnung in der Presse aus. Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Ausstellungen mit gefestigterem Erfolg in Italien, Frankreich und Österreich fortgesetzt. Inzwischen hatte die Forschung immer neue Bilder entdeckt. Geiger veröffentlichte Monographien über Magnasco 1914 in Berlin, 1923 in Wien, 1945 und 1949 in Venedig. Die Tochter eines reichen Mannes, der ein Palais in Wien, einen Pa-lazzo am Canal Grande und eine Villa in Florenz besitzt, M. Pospisil, veröffentlichte 1943 in Florenz ein großes Werk über Magnasco.

Aber erst dieses Jahr wurde das G e-samtwerk des genuesischen Barockmalers der Öffentlichkeit im Original gezeigt. Zum zweihundertsten Todesjahre veranstaltete Genua im Palazzo Bianco eine Gesamtschau, zu der aus Galerien und Privatsammlungen der ganzen Welt Bilder gesandt wurden. Das österreichische Bundes-denkmalamt hatte die Gemälde aus Seitenstetten und die Inquisitiotfsszene aus dem Kunsthistorischen Museum fein säuberlich restauriert. Und neben den Buldern aus dem Louvre, der Pinakothek, den Uffizien und den Galerien in Pittsburg, Detroit und San Franzisko fanden die aus österlich gekommenen Bilder einen bevorzugten Piatz und wurden allgemein als die MeisterwJarke des so umstrittenen Malers genannt.

Diese Vorrangstellung dokumentierteVsich auch in den Büdiern, die anläßlidi und\in-foige dieser Ausstellung erschienen, frn offiziellen Katalog, den auf herrlichem Kunstdruckpapier mit 150 Abbildungen das-Istituto Arti Grafiche herausgab, werden die-Bilder us eitenstetten von Morassi als Höhepunke bezeichnet. Der Aufsatz in der Kunstzeitschrift „Emporium“ bildet hauptsächlich die österreichischen Bilder ab. Das große Monumental werk, das soeben Benno Geiger beim Istituto Arti Grafiche in Bergamo über Magnasco herausgegeben hat, mit 500, zum Teil farbigen Bildern in Folioformat, weist den Seitenstetter Bildern einen ganz besonderen Platz an. Tausend Exemplare dieses kostbaren Buches wandern in amerikanische Bibliotheken. So wird aus Anlaß dieser einzigartigen Magnasco-Aus-stellung, die die Stadt Genua als späte Ehrung ihres schon ganz in Vergessenheit geratenen Sohnes veranstaltet hat, in ganz besonderer Weise dem Anteil Österreichs Rechnung getragen. Ein österreichischer Gouverneur hatte die schönsten Bilder bei Magnasco bestellt, ein österreichischer Kunsthistoriker hatte den Maler wiederentdeckt und ein österreichisches Kloster hatte über Gunst und Mißgunst der Zeiten seine sdiönsten Bilder bewahrt. Und die Heiterkeit, die die Düsternis der Mönchsbilder ablöste, war eine Folge des segensreichen österreichischen Regimes in der Lombardei.

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