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DEUTSCHES THEATER IN RUMÄNIEN

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In der rumänischen Volksrepublik existieren zur Zeit zwei deutsche Theater mit dem Sitz in Temeschburg und Hermannstadt Sie haben die Aufgabe, Bühnenwerke der Gegenwart und solche der Vergangenheit, soweit sie in ihrer Problemstellung einen Anschluß an das Heute finden lassen, der deutschen Bevölkerung in ihrer Muttersprache zu vermitteln. — Mit der Schaffung dieser Theater, die ihr Zustandekommen der von der Regierung durchgeführten Nationalitätenpolitik verdanken, wurde für das Deutschtum Rumäniens in einer anderen Form nur wiederhergestellt, was bis zum Jahre 1944 eine Selbstverständlichkeit für alle war: eine Kultur- mstitution. Denn in all den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten hatten die deutschsprachigen Menschen dieses Südostraumes Möglichkeiten gefunden, ihrem inneren Drang nach kultureller Manifestation die äußere Form zu geben.

Der Kulturwille des Kolonistenvolkes, das ein königlicher Aufbauwille bereits um das Jahr 1200 aus Deutschland nach dem Urwaldboden der Karpaten berief, äußerte sich Jahrhunderte hindurch in einem lebensstarken Wunsche nach künstlerischem Schaffen, das seine Verwirklichung, unter anderem, in einem sich stetig entwickelnden Vereinswesen fand. — Kolonistenvolk ist harter, oft verschlossener Menschenschlag: Musische Betätigung steht nicht an erster Stelle, noch läßt sie sich auf allen Gebieten zu gleicher Höhe führen. Bei der besonders starken musikalischen Begabung der Siebenbürger und Banater Deutschen ist es verständlich, daß gerade in diesem Bereiche am meisten geleistet und die Pflege der Vokal- und Instrumentalkunst am stärksten entwickelt wurde. Bis in die entlegensten Dörfer finden sich — auch heute — Solisten, Chöre, Kapellen, Orchester, die Beachtliches leisten.

Noch aber fehlt ein richtiges Theater, das mit geschulten Kräften arbeitet und die Güte der Aufführungen auf eine höhere Ebene verlegt. Diesem Mangel wird erstmalig abgeholfen, als um 1890 in Hermannstadt von der Stadtverwaltung, unter der Intendanz des Magistrates, ein ständiges Theater gegründet wird. Im Jahre 1894 übernimmt Leo Bauer die Direktion, und sein Nachfolger wird 1925 Direktor Max Lenz. Aus Berufsschauspielern, die aus Österreich und Deutschland engagiert werden und ergänzt mit begabten einheimischen Elementen, entwickelt sich das erste deutsche Wandertheater, das den siebenbürgischen und den Banater Raum in der ehemaligen k. u. k. Monarchie bespielt.

Im Jahrzehnt nach dem ersten Weltkrieg findet dieses zum Begriff gewordene Unternehmen durch die Entnationalisierungspolitik des neu entstandenen rumänischen Staates ein Ende. Und wieder wird das Theater Angelegenheit spielfreudiger Dilettanten.

Natürlich sind solche Amateurgruppen nur ein begrenzter Ersatz für, ein Berufstheater. Die Forderung verantwortungsbewußter Kulturschaffender nach einem solchen wird immer größer. Als dann zu Beginn der dreißiger Jahre unter der Intendanz von Gust Ongyerth ein neues Berufstheater ins Leben gerufen wird, ist ein für das Deutschtum Rumäniens wichtiger Kulturfaktor geschaffen, der bis zum Jahre 1944 seine tiefe Notwendigkeit erweist.

Am 29. September 1933 eröffnet das „Deutsche Landestheater“ seine erste Spielzeit mit „Wilhelm Teil“. Wieder rekrutiert sich die Darstellerschar zum größten Teil aus österreichischen und deutschen Berufsschauspielem, an deren Spitze aber gebürtige Siebenbürger stehen, die sich ihre Spielbefähigung an deutschen und österreichischen Schulen geholt und an dortigen Bühnen erprobt haben. Persönlichkeiten, wie Hermann Czell, Fritz Hintz-Fabricius, Manna Copony, sind, neben anderen, bestimmend für den künstlerischen Wert des Theaters und geben ihm artgebundene Prägung. An ihrer Seite stehen ein Anzahl Siebenbürger und Banater, die, zwanzig Jahre später, unter veränderten Umständen die Verbindung vom Einst zum Jetzt des deutschen Theaters hersteilen. Diese zehn Jahre dauernde und sich stetig aufwärts entwickelnde Tätigkeit des Deutschen Landestheaters findet ein jähes Ende, als mit dem 23. August 1944 eine Welt zusammenbricht. Nicht nur das Theater wird von einem Tag zum anderen inexistent, auch alle anderen Kulturinstitutionen der Siebenbürger und Banater Deutschen, mit jahrhundertealter Tradition, finden im Umbruch, der im Herbst 1944 das Deutschtum Rumäniens erschüttert und zu vernichten droht, vorerst ein Ende. Fronteinsatz, Deportierung, Flucht nach Österreich und Deutschland dezimieren die deutsche Volksgruppe, und nachdem sich die großen Störungen ausgetobt und neue Lebensformen ihre harten Forderungen gestellt haben, ist das Deutschtum Rumäniens, das vorher fast 900.000 Seelen zählte, auf 410.000 zusammengeschmolzen. Und nicht nur zahlenmäßig, sondern auch wertmäßig ist unendlich viel abzuschreiben. Denn zum großen Teil sind gerade die Besten auf das Verlustkonto zu buchen, und nur eine geringe Anzahl verantwortungsbewußter Kulturschaffender ist geblieben, die aus der Erkenntnis dringender Notwendigkeit nun neue Aufbaumöglichkeiten zu erschließen suchen.

Zunächst ist dieses Wollen nicht zu realisieren. Jede kulturelle Betätigung im Rahmen einer deutschsprachigen Organisation ist jahrelang unterbunden. Man kann als einzelner nur innerhalb einer Syndikatsgruppe in rumänischer Sprache mittun. Im Zuge der Vermassung der Kulturarbeit entstehen in Städten und auf den Dörfern sogenannte Kulturgruppen, die sich aus Amateuren zusammensetzen und die, mit ausgesprochen politischer Ausrichtung, in den verschiedensten Kunstgattungen Musik, Theater, Tanz mit folkloristi- sGiem Charakter tätig sind.

Seit dem Jahre 1949 übernimmt das Antifa (Deutsches antifaschistisches Komitee) die Förderung solcher Gruppen rein ideologischer Observanz auch in deutscher Sprache. Erstmalig erscheinen nun bei politischen Demonstrationen, Kulturkundgebungen und sonstigen angemessenen Gelegenheiten geschlossene deutsche Gruppen, die in ihren Trachten Volkstänze tanzen und in ihrer Sprache singen. Noch aber fehlt ein deutsches Theater, dessen Existenz immer dringender wird, weil es immer mehr zu Tage tritt, daß durch das jahrelange Brachliegen jeder kulturellen Betätigung das geistig künstlerische Niveau in erschreckendem Maße ge-

sunken ist, am augenfälligsten bei der Jugend. Für eine Hebung des gesunkenen Niveaus Sorge zu tragen, geschmack- bildend und damit im wahrsten Sinne kulturerzieherisch tätig zu sein, war also die Hauptaufgabe eines deutschen Theaters. Es ging darum, verschüttetes, versandetes Kulturgut wieder zu neuem Leben zu erwecken. Es galt eine Mission zu erfüllen.

Als im Zuge der allgemeinen Kulturpolitik eine große Anzahl rumänischer Theater in allen Teilen des Landes errichtet wird und sich die Nationalitätenpolitik auf die Linie freierer Betätigung innerhalb der Minderheiten begibt, wird erstmalig durch Regierungsstellen der Gedanke eines deutschsprachigen Theaters aufgerollt. Zunächst jedoch gilt es zu beweisen, daß einerseits innerhalb der deutschen Bevölkerung tatsächlich der Wunsch nach einem deutschen Theater besteht und anderseits genügend Darsteller vorhanden sind, um den Wunsch realisieren zu können. Die Initiative mußte also aus der deutschsprachigen Minderheit selber kommen.

Mit großer Begeisterung wurde der Gedanke sofort auf- gegriffen. Praktisch wirkte sich das so aus, daß in Städten, die noch traditionsmäßig Kulturzentren waren, Theatergruppen gegründet wurden, in denen sich darstellerisch begabte Menschen unter der Führung von Fachkräften, die zum Teil schon in der Vergangenheit an führender Stelle kulturell tätig gewesen waren, zusammenschlossen. Neben Elementen, die am Beginn ihrer Bühnenlaufbahn stehen, betätigen sich in diesen Gruppen auch ehemalige Mitglieder des Deutschen Landestheaters, und Namen, wie Karlfritz Eitel, Ottmar Strasser, Ilse Thüringer, Carmen Marschall, Margot Göttlin- ger, Ernst Kraus, werden vom Publikum freudig begrüßt.

Im Jahre 1951 bildete sich zuerst in Kronstadt, unter der Leitung der Autorin dieses Berichtes, eine Gruppe solcher Art. Ursprünglich noch vom Antifa unterstützt, übernimmt sie bald das dortige rumänische Staatstheater als eine inoffizielle Sektion; das heißt, der Gruppe werden Proberäume, Kulissen, Kostüme und die Bühne des rumänischen Theaters zur Verfügung gestellt, während die durch die deutsche Gruppe erzielten Einnahmen eben diesem Theater zufließen. Die Spieler erhalten kein Honorar. Die ganze Arbeit wird unentgeltlich geleistet, getragen von einem unbegrenzten Optimismus. Geleistet von Menschen der unterschiedlichsten Lebensalter, die in anderen Berufen ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und ihre gesamte Freizeit in den Dienst der Sache stellen — sie durch Proben, Lernen, Aufführungen und Überlandfahrten völlig ausfüllen. Da nur ein geringer Prozentsatz der deutschen Bevölkerung in den Städten lebt, die übrigen aber auf den Dörfern wohnen, mußte diese Theatergruppe, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, immer wieder kleinere und.größere.Fahrten untefi’;. nehmen, um wenigstens die Siebenbürger Sachsen zu erfassen.

Vier Jahre dauerte dieser ‘Einsatz’ ‘der nur" durch die Erkenntnis unbedingter Notwendigkeit getragen werden konnte. Stücke von Kleist, Lessing, Schiller, Tschechow, sowjetischen Dramatikern, Anzengruber, Fr. Wolf und zeitgenössischen rumänischen Autoren wurden erarbeitet und gespielt. Mit der Aufführung „Der zerbrochene Krug“ erfaßte man beispielsweise in neun Spielfahrten 8000 Zuschauer, und mit den „Kreuzelschreibern“ von Anzengruber in 23 Fahrten 12.000 Zuschauer. Dabei ist zu bedenken, daß in den kleinsten Dörfern, auf primitivsten Bühnen für eine kleine Zuschauerzahl gespielt werden konnte und die Darsteller ausschließlich in ihrer Freizeit einsatzfähig waren.

Unter welcher Voraussetzung arbeiten nun die deutschen Theater in der rumänischen Volksrepublik und worin besteht ihre Aufgabe vom Staat aus gesehen? Nie vorher ist das Theater so sehr zum Träger politischer Ideen gemacht und als Propagandamittel gewertet worden, wie in den kommunistisch regierten Staaten. Werbend, aufklärend, erzieherisch auf die breite Masse zu wirken, sie mit der gewünschten ideologischen Denkungsart vertraut zu machen, ist die vorherrschende Aufgabe der szenischen Kunst. Diese Einstellung erklärt die Fürsorge, die dem Theaterwesen in den Volksrepubliken zugewendet wird.

In Rumänien gibt es heute, bei einer Bevölkerungsdichte von 15,000.000 Seelen, 39 Staatstheater und 22 staatliche Puppentheater. Sieben in der Hauptstadt, die übrigen, auf die verschiedenen Regionen des Landes verteilt, wobei besonders den Industriezentren größte Aufmerksamkeit zuteil wird. Der Staat scheut keine Kosten, um diesem eindrucksvollsten Werbemittel den richtigen Rahmen zu geben. Für Inszenierungen ideologisch wertvoller Stücke werden alle Mittel zur Verfügung gestellt. Die Theater haben ihren verbürgten staatlichen Jahreszuschuß, der eine gesicherte finanzielle Basis bildet. Die Schauspieler sind mit Vertrag auf Dauer engagiert. Ein künstlerischer und ein politischer Direktor mit administrativen Befugnissen sowie ein künstlerischer Beirat, der aus Kräften des Ensembles zusammengesetzt ist, sorgen für die ideologisch-künstlerische Ausrichtung. Die beruflichen Anliegen der Schauspieler werden durch die Gewerkschaftsorganisation, das Syndikat, vertreten.

Natürlich ist die gesamte künstlerische Tätigkeit, Spielplangestaltung, Darstellungsstil, staatlicher Kontrolle unterworfen. Der Spielplangestaltung liegt ein alljährlich vom Ministerium herausgegebenes Repertoire mit den zugelassenen Stücken zugrunde. Jede Spielzeit muß mit einem zeitgenössischen rumänischen Dramatiker eröffnet werden, während ein rumänischer Klassiker in deren Verlauf zur Aufführung gelangt. Ebenso müssen in jeder Spielzeit ein sowjetischer Autor und ein russischer Klassiker vertreten . viflMWPiS .Klas.fiker., der Weltliteratur qnd, moderne Affären ,, der westlichen Dramatik kommen nur insoweit in Frage, als die in der Fabel vertretene Aussage der herrschenden Kulturpolitik entgegenkommt. Aber auch auf dfem administrativen Sektor sind die von oben kommenden Direktiven maßgebend. Anzahl der Aufführungen der zu erfassenden Besucherzahl, die Summe der zu erzielenden Einnahmen werden durch die Kultursektionen der einzelnen Regionen den ihnen unterstellten Theatern vorgeschrieben, und diese Normen müssen unter allen Umständen eingehalten werden.

Diese Direktiven gelten natürlich auch für die deutschsprachigen Theater, und da ergeben sich eine Reihe von Schwierigkeiten, entstanden aus der Einstellung des deutschen Zuschauers. Solange die Theatergruppen noch nicht subventioniert waren, hatten sie in der Spielplangestaltung verhältnismäßig freie Hand. Es konnte bei der Auswahl der Stücke auf die Wünsche der deutschen Bevölkerung Rücksicht genommen werden. Dementsprechend war auch mit einem begeisterten Zuspruch und sicheren Einnahmen zu rechnen. Diese positive Einstellung des Publikums änderte sich in dem Augenblick, da das Repertoire ideologische Vorschriften zu befolgen hatte. Bei Aufführungen, wie: „Ein Sommernachtstraum“, „Der Meineidbauer“, „Kabale und Liebe“, „Die Karlsschüler“, „Don Carlos“ usw., ist zuverlässig mit vollen Häusern zu rechnen, während Stücke zeitgenössischer Autoren häufig vor leeren Häusern ablaufen. Die Tatsache ist nicht zu übersehen, daß auch der künstlerisch wenig verwöhnte deutsche Zuschauer (in stärkerem Ausmaße als der rumänische) ganz bestimmte Vorstellungen davon hat, was er im Theater zu sehen wünscht und sich mit der tendenziösen Ausrichtung in der Kunst nicht abfinden kann. Jedoch für das Regime waren bei der Schaffung von deutschen Theatern ideologische propagandistische Erwägungen maßgebend, und man wird daher kaum Verständnis für die Notwendigkeiten derselben vorfinden, wenn sie nur kulturerzieherischen und nicht auch politischen Maximen dienen.

Die einzige Möglichkeit eines Schauspielstudiums ergibt sich aus dem Besuch eines Volkskonservatoriums. Das sind Institutionen, welche die Aufgabe haben, begabte Elemente der breiten Masse zu erfassen und zu leistungsfähigen Kräften auf allen Gebieten des Laienschaffens heranzubilden, um so ein entsprechendes Niveau der zahlreichen Kulturkollektive zu erzielen. Diese Ausbildung, die für Amateure mit folkloristischem Aufgabengebiet vollkommen ausreichend ist, genügte jedoch nicht, wenn es galt, Berufsschauspieler zu qualifizieren. Auch der von den älteren Schauspielern erteilte Unterricht war nur ein notdürftiger Behelf, da er meist zu einem Zeitpunkt erfolgte, in welchem die jungen Schauspieler schon im Einsatz standen und durch notwendige Form des Wandertheaters vollauf in Anspmcn genommen waren. Zahlreiche Abstecherfahrten und größere Tourneen müssen ständig durohgeführt werden.

So stehen die beiden deutschen Theater der rumänischen Volksrepublik vor einer ganzen Reihe von Problemen, die erst zum Teil gelöst werden konnten und die noch große Anforderungen an alle Kräfte stellen werden. Folgendes aber kann, im Zusammenhang mit den geleisteten und noch zu leistenden Aufgaben, nicht genug betont und gerühmt werden: Das sind der unbegrenzte Einsatz- und Opferwille, der Idealismus, der alle beseelt, die sich in den Dienst der Aufgabe gestellt haben- Für deutsche Menschen hinter dem Eisernen Vorhang, in deutscher Sprache Theater zu spielen.

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