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Diamant

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Im Anfang schuf Gott Geist und Stoff. Der Stoff aber befand sich im Zustand des Chaos. In weither Weise mag der biblische Seher die Morgenröte der Dinge geschaut haben? Wir wiss,en es nicht. Aber wir müssen den Sinn der lapidaren Sätze bejahen. Es kann nur so gewesen sein. Am. ehesten ist es dem Atomphysiker gegönnt, sich in jene Urwelt zu versetzen. Er ist es, der die Umsetzungen zwischen Energie und Stoff erlebt. Offenbar war zuerst ein Sein ohne Bindung an heute gültige Gesetze. Damals muß ein Werkstoff, entstanden sein, unvergleichlich einfach und unvorstellbar vielseitig, darum geladen mit aller Entwicklungsmöglichkeit. Die Dramatik aber steigert sich. Welche Schauer mögen das Ungeformte erschüttert haben, als das Gesetz hineingeschleudert wurde! Waren es Gesetze der Polarität, der Harmonie? Kein Mensch war- Zeuge jenes Schöpfungsaktes, als die Musik der Atome einsetzte, als die Bewegung beginn und damit die Zeit, als aus dem Tanz der Elementarteilchen das Licht hervorbrach im Rhythmus der Schwingungen, als sich die Kräfte verdichteten und sich im Widerspiel der Spannungen gruppierten zur Gestalt. Die Elemente wurden, die Grundstoffe, die Bausteine der Körper. Wie viele waren es? Auch das ist unbekannt. Der Chemiker kennt heute über neunzig. Gesetzmäßigkeit beherrscht ihre Reihen: sie lassen sich gruppieren zu Oktaven, wie die Töne. Verwandtschaft der Erscheinungen, Sphärenmusik des Mikrokosmos! Das sonderbare Spiel begann. Was war sein Sinn? War es abgestellt nach einem Ziel von Anbeginn? Wir glauben es. Harmonie regiert das Ganze und sinnvolle Beziehung.

Es gibt eine Hierarchie der Stoffe. Sie ordnen sich nach ihrem Kräfteverhältnis. Sie fliehen einander oder sie sudien sich die geeignete Ergänzung, als wären sie männlich oder weiblich. Sie geben sich sogar preis im spontanen Zerfall. Es gibt eine Rangordnung der Elemente. Ihr Wesen ist ungleich. Eine geheimnisvolle Symbolik verbirgt sich in allen Stoffen. Nach dieser scheinen einige zu besonderer Mission bestimmt. Als im Reigen des Atomwirbels sich die Moleküle bildeten, als sich dje Stoffe allmählich zum festen Aggregatzustand verdichtet hatten, da wurden ihnen je nach ihrer Art Grenzen gesetzt nach den Forderungen der lückenlosen Raumausfüllung. Die Einheiten schlossen sich zusammen im Raumgitter der Kristalle. Es war Stoff gewordene Mathematik. Vielleicht war jener wunderbare Stoff, gleicherweise verwandt mit positiven und mit negativen Elementen, einfach im Bau und vieldeutig in seiner Veranlagung, einer der ersten unter denen, die feste Gestalt erhielten — Garbonium, der Kohlenstoff. Die einfachste Form regelmäßiger Körper war ihm gegeben, das Tetraeder. Vier gleichseitige Dreiecke begrenzen seine Elementarzelle. Seine Kernladungszahl beträgt zwölf. Was weiß man von der Zahlenmystik der Dinge? Das Tetraeder ist der einfachste Baustein mit der denkbar größten Regelmäßigkeit. Es bildet die Grundform regulärer Symmetrie. Die sieben Kristallsysteme gipfeln im regulären System. Es zeigt das größte Gleichmaß, die geringsten Spannungsunterschiede. Im Kohlenstoffkristall erfährt es seine weiteste Entfaltung, seine Erfüllung. Aus der einfachsten Grundgestalt vollendet sich der regelmäßigste, flächenreichste Kristall, der Aehtundvierzigflächner. Achtundvierzig gleiche Dreiecke umgeben ihn. Seine harmonische Gestalt ist nahe daran, die Enge anorganischer Begrenztheit zu sprengen. Sie gemahnt an das Zeichen des Ewigen, die Kugel. Sie scheint nach dem OrgAiischen zu weisen. Aber noch bleibt sie im Zahlengeleise des Unbelebten.

So schlummert der Kristall als Zeuge erster Schöpfungstage in der Tiefe alter

Kontinente, wird gehoben als „Adamas",

"• der Unbezwingliche, als der „Glänzend-

• strahlende“, als Diamant. Es ist Kohlenstoff in reinster Form. Als der Grundstoff des Lebendigen wurde er hervorgehoben von Anfang an. Er wurde ausgezeichnet mit dem r~höchsten Adel unter allen Stoffen. Zur voll- . endeten Gestalt gesellt sich die größte Härte unter allen Mineralien. Man hieß ihn den - Metallüberwinder. Er bat die größte Gewalt Tiber das Licht. Die höchste Lichtbrechung Y .st ihm eigen. Farbig, strahlend, geläutert bricht es hervoi aus seinem Flächenreich-

tum. Zu allen Zeiten fesselte der wunderbare Stein die Menschen. Man erhob ihn zum Zeichen königlicher Macht.

Wer denkt beim Anblick eines Diamanten an Kohlenstoff? Wer besinnt sich, daß dieser eigenartige Stoff in der Zahl seiner Abkömmlinge alle anderen Elemente weit in den Schatten stellt? Denn deren Zahl ist ungeheuer. Kein körperliches Leben ohne Kohlenstoff! Er bildet fünfzig und mehr Hundertteile in den Eiweißkörpern. Die Eiweiße aber gelten als Lebensträger. An 200.000 kennt der Chemiker. Er ist ein winziger Bruchteil aller vorhandenen. Millionen von Tierarten, Hunderttausende von Pflanzenarten bevölkerten und bevölkern die Erde. So viele Eiweißarten muß es geben, ja noch viel mehr, denn jedes Organ, jedes Gewebe, jede Zellart besitzt besondere Eiweißverbindungen im Plasma. Er stellt das Grundgerüst der Zuckerarten, der öle, der Fette, der Ergänzungsstoffe. Diese Vielfalt wird möglich durch die unbeschreibliche Kombinationsfähigkeit des Kohlenstoffs. Es ist ¿ine Kombinationsfähigkeit, die der rechnerischen Einsicht entgleitet. Eine sonderbare Vorstellung: Dasv Wunder einer Blüte, die Wucht des Eichenstammes, die Gefiederzier der Vögel, die Muskeln eines Löwen sind zur Hälfte nichts anderes als .Kohlenstoff — als Diamant! Im Menschen hilft er das Schaltwerk des Geistes bauen. Hier erlebt er seinen höchsten Adel. Muß da nicht sein Wesen ein Hinweis sein auf seinen Zweck?

Wunderbar sind die Beziehungen der Dinge zueinander, ihre Verknüpfungen. Jeder Grundstoff war vorbereitet für einen Teil der Welt. Der eine mußte im abgewogenen Verband mit anderen das Wasser bilden, die Meere und Ströme. Andere erhielten die Weisung, sich zu binden in Gesteinen vielerlei Art. Sie mußten das Gebirge bauen, das feste Land als Schauplatz kommenden Lebens. Andere gaben dem Erdball Festigkeit und Gewicht, auf daß er ungestört seine Bahn beschreibe. Uber vielen liegt der Schleier des Unbekannten. Der Edelste unter allen war dem Leben als Werkzeug Vorbehalten. Be: der Einordnung in das Lebendige gab er seine äußerliche Gestalt auf, blieb aber dem Wesen nach derselbe. Viele, die ihn als Diamant in Gold gefaßt als Schaustück tragen, wissen nicht, daß er wesensverwandt ist ihrem Leihe. Es klingt wie eine Schöpfungssage und ist doch nicht nur Gleichnis, sondern zeichenhafte Wirklichkeit.

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