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Die 40-Stunden-Filmwoche

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Laut Mitteilung im „Informations-Bulletin Nr. 1“ der XVI. Festspiele des jugoslawischen Dokumentär- und Kurzfilms, die vor kurzem in Belgrad stattfanden, wurden (nach Daten der Jugoslavija-Film) im Jahr 1968 siebzehn jugoslawische Kurzfilme in Osterreich importiert — eine Angabe, die wohl kaum jemandem bekannt sein dürfte, doch nahelegt, sich an dieser Stelle etwas ausführlicher mit diesem bei uns unbeachteten Filmfestival zu befassen;

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Laut Mitteilung im „Informations-Bulletin Nr. 1“ der XVI. Festspiele des jugoslawischen Dokumentär- und Kurzfilms, die vor kurzem in Belgrad stattfanden, wurden (nach Daten der Jugoslavija-Film) im Jahr 1968 siebzehn jugoslawische Kurzfilme in Osterreich importiert — eine Angabe, die wohl kaum jemandem bekannt sein dürfte, doch nahelegt, sich an dieser Stelle etwas ausführlicher mit diesem bei uns unbeachteten Filmfestival zu befassen;

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Jugoslawien ist das einzige Filmlahd der Welt, das die nicht nur schöne, sondern auch so interessant-aufschlußreiche Gewohnheit besitzt, seine Gesamtfilmproduktion einmal jährlich der Öffentlichkeit, d. h. den Filmschaffenden, Journalisten, Kritikern, dem Publikum sowie Gästen aus dem Ausland, vorzustellen — die Spielfilme immer im Juli in Pula, die Kurz- und Dokumentarfilme im Frühling in Belgrad, wobei sämtliche im Vorjahr (als Turnus gilt etwa die Zeit von Festival zu Festival) hergestellten Werke vorgeführt werden, so daß der Besucher einen ausgezeichneten Überblick über die künstlerische Entwicklung und soziologisch-politische Problematik an Hand der Themenwahl des jugoslawischen Filmschaffens erhält. Die Gesamtkurz- und -doku-mentarfilmproduktion des Vorjahres umfaßt etwa 164 Filme, die heuer alle ohne vorherige Selektion im Wettbewerb der Festspiele zugelassen waren — was einer Vorführdauer von etwa 40 Stunden entspricht, also eine wirklich „aktuelle“ Zeitspanne...

Auf die einzelnen Filme detailliert einzugehen, erübrigt sich deshalb, weil die meisten von ihnen wohl kaum den Weg in unsere Kinos oder auf den Fernsehschirm finden werden: doch die Erstellung eines gewissen Gesamtüberblicks dürfte nicht ohne Interesse sein, zumal sich auch im gegenwärtigen jugoslawischen Film Strömungen entdecken lassen, die sich nur wenig von den Problemen unterscheiden, mit denen sich die westliche Filmproduktion im Augenblick herumzuschlagen hat. Es ist dies ein spürbarer Trend zur Ausdrucksweise des Fernsehens in erster Linie, in zweiter ein Aufkommen gewisser westlicher „modischer Filmwellen“, unter die besonders die (meist dramaturgisch ziemlich unmotivierte) Einbeziehung erotischer Momente oder Sequenzen, die Verwendung mannequinartiger mondän-moderner Mädchentypen und auch die Anwendung augenblicklich bevorzugter „formalistisch-ästhetischer“ Techniken (wie der„Virage“, dem Einfärben von Szenen in blauer, gelber usw. Tönung) fällt. Obwohl es sich bei allen den vorgeführten Filmen (mit drei Ausnahmen dokumentarischen Charakters) noch um echte „Kurzfilme“ handelt, die die übliche Kino-Beiprogrammlänge von 10 bis höchstens 15 Minuten Vorführdauer besitzen, ist der Einfluß der Television doch deutlich in der Themenwahl, besonders aber in der Gestaltung dieser Werke zu entdecken, womit sich ein offensichtlich immer stärkerer Wandel gegenüber den früheren Jahren bemerkbar macht. Die Themen sind immer mehr den „aktuellen Reportagen“ (also der echten Aufgabe des Fernsehens) zugewandt, wobei soziale, wirtschaftliche und auch innerpolitische Probleme im Vordergrund stehen. Die Gestaltung erfolgt aber bereits absolut mit den für die Television vorgeschriebenen dramaturgischen Mitteln: ein (oder mehrere) Interviewer erzählen direkt in die Kamera, dazu untermalen zwischendurch bewegte Bilder (eben Film) oder mitunter auch Stehkader das gesprochene Wort — der Stil des „Cinema verite“ in seiner idealen Form... Daß dies für die Originalität des Films, bei der das Wort nur das Bild zu unterstreichen hat, nicht umgekehrt, ein Nachteil ist, einen Rückschritt bedeutet, dokumentierte das jugoslawische Festival eindrücklichst. Abgesehen davon zeigte sich leider auch beim international berühmten jugoslawischen Zeichenfilm in diesem Jahr eine gewisse Originalitätsmüdigkeit, aus der jedoch nicht auf eine Krise geschlossen werden sollte.

Zum Abschluß noch einige wenige Titel als Anregung für unsere Verleiher oder das Fernsehen, der filmisch interessierten Öffentlichkeit diese interessanten Filmwerke nicht vorzuenthalten: die erschütternde Dokumentation über die „Juni-Ereignisse“ der Belgrader Studenten (Regie: Zelimir Zilnik), das sozialkritische Dokument „Was kostet eine Frau?“ von Miroslav Jokic, den abstrakten Zeichenfilm „Klizi-Puzi“ (Fließend — gleitend) von Zlatko Grgic, der genial gestaltete Kurzspielfilm in einer einzigen Einstellung „In der Küche“ (Regie: Nikolä Stojanovic), der mitreißende Sportfilm „Der Delphin von Dubrovnik“ von Miroslav Suboticki, der folklo-ristisch-faszinierende Film über eine aussterbende muselmanische Sekte „Das Herbeirufen des Frühlings“ von Trajce Popov, der fast dämonischmakabre Zeichenfilm „Quelle des Lebens“ (Regie: Nikola Majdak und Borislav Sajtinac) und die beiden urkomischen, nur auf einem Gag beruhenden Zeichensketche „Striptease“ und „Per aspera ad astra“, beide von Nedeljko Dragic, kaum eine Minute lang — Beispiele genug, aus denen sich ablesen läßt, auf welch hohem Niveau der jugoslawische Kurzfilm trotz gewisser momentaner Schwierigkeiten heute steht und daß es sich wohl lohnen würde, ihm auch bei uns mehr Beachtung zu widmenl

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