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Die aristokratische Kunst

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Götter und Helden waren es, die dn Monolog der frühen Oparn agiertem; Mythos war wichtiger als Leben, das erhabene Schicksal sangeswürdiger als du, ich und wir. Was die florenfinischen Graten des verrinnenden Cinquecento in ihren Cameraten veranstalteten, wuchs vom höheren Gesellschaftsspiel rasch zur Kunsttorm. Es war Absage an das bürgerliche Madrigal, die volkstümliche Frotlola und Villanella. Gesellschaftlieh betrachtet war es Spiegelung und Huldigung, durchaus auf die herrschende Klasse bezogen und in Frankreich ja denn auch rasch zur Verherrlichung des Absolutismus bestimmt. Es wäre einmal zu untersuchen, warum die Oper in dem Augenblick entsteht, als Bürgerliche zunehmend in den italienischen Adelsstand aufgenommen wurden. Es würde sich dann gewiß herausstellen, daß das „Dramma per musica“ viel stärker die Merkmale des Arisfokratismus zeigt als die der Bourgeoisie, die es vielmehr nur in ihrem Bestreben spiegelt, vielleicht doch selbst auch einmal zu den Aristoi zu gehören. Und es würde sieh als ein artiges Symbol erweisen, daf} gerade Daphne, die bürgerliche Nymphe, die sich durch Metamorphose dem Liebeswerben einer aristokratischen Gottheit entzieht, den ersten Opernstoff für Rinuccini abgegeben hat.

Die Analogien führen übrigens noch viel tiefer in die Struktur der Musik. Um 1600 geschieht der radikale Einschnitt in das ganze Stilwesen der Tonkunst, den man den Uebergang vom polyphonen zum monodischen Denken zu nennen pflegt. Polyphones Denken aber ist ein sehr bürgerliches, wir würden heute sagen ein demokratisches Ideal; ist die Gleichberechtigung vieler in einem Gemeinsamen, „plures ex una“, das Untertauehen der Individualität im Kollektiv. Es beherrscht die hoehkomplizlerte Musik der Niederländer (und ihrer Schüler bis zu Palestrina) im 15. und 16. Jahrhundert, ganz entsprechend den neuen bürgerlichen und renaissancistischen Ideen der Epoche.

In der monodischen Kultur fehlt der Begriff der Gleichberechtigung. Es gibt nur ein Oben und ein Unten, die führende Melodiestimme und den sie stützenden Bat); was dazwischenliegt, ist die anonyme, durch Zittern symbolisierte Masse der Akkorde, deren Funktion zwar festgelegt ist, deien Bau aber von Aufführung zu Aufführung wechselt und der Improvisationskunst anheimgestellt bleibt.

Man murj kein Vulgärmarxist sein, um den Zusammenheng zu erkennen. Die Oper ist ein Idealfall von Gesellschaftskunst und ist es geblieben bis auf unsere Tage. Bürgerliche Opernfradition hat es zwar in ein paar weltoffenen Städten gegeben; das venezianische Teatro San Cassiano wie die hamburgische Opsr am Gänsemarkf bezeugen es, und Hamburg hat sich seine Tradition bis in den schönen Neubau seiner Staatsoper erhalten. Aber das Wesen der Form ist adelig. Die typische, repräsentative Form der Häuser mit ihrem Rot, Creme und Gold, mit dem Glanz des kronengleich über dem Parkett schwebenden Krisfallüsters, mit den Rängen, in denen sich Hochadel und Kleinadel, Aristocracy und Gentry, scheiden und sogar noch Plätze für den Mittelstand und das „Volk“ eingebaut sind, lebt weiter.

Oper ist ein Luxusgegensfand, von allen Künsten die teuerste und am schwersten zu realisierende. Selbst wo sie schöpferisch das Großbürgertum zu verkörpern scheint, nimmt sie aristokratische Formen an. Es erschien mir immer das Erstaunliehe an dem Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, welchen Grad von adeliger Isolierung er spiegelt. In völliger Unabhängigkeil von der Weltgeschichte arbeiten zwei hochspezialisierte Künstler an Werken, die weit über aller Aktualität stehen. Nur'nebenher wird gelegentlich der Weltkrieg erwähnt, und wie 1918 die beiden Kaiserreiche zusammengebrochen sind, spielt Hofmannsthal am 5. Dezember 1918 nur in einem Relativsatz seines langen Briefes über eine mögliche Berufung Straussens nach Wien darauf an: „welches Regime immer hier herrsche“. Die Sphäre dioses dreißigjährigen Gedankenaustausches ist das Ensemble der klassischen Bildungswerte, soweit sie dem Theater dienlich sind.

Aristokratie heißt Herrschaft der Edelsten. Wir wollen sie in Sachen des Geistes getrost mit Elite gleichsetzen. Es war Jose Orfega y Gasset, der den Mut hatte, eine neuerliche Teilung der Kulturkonsumenten in Auserlesene und Gewöhnliche zu prophezeien und zü befürworten. Die Oper ist seit eineinhalb Jahrhunderten zu sehr als volkstümliche Kunst mißverstanden und propagiert worden; es mindert nicht unsere Bewunderung und Liebe für Richard Wagner und Giuseppe Verdi, wenn wir in ihnen die genialsten Exponenten solcher Mißverständnisse erkennen. Aber haben nicht gerade sie in ihren höchsten Schöpfungen, jener in „Tristan und Isolde“, dieser in „Othello“ und „Falstaff“, alle ihre demokratischen Idole weit hinter sich gelassen?

Das Bekenntris zur Oper als aristokratischer Form ist ein Bekenntnis zu Mozart, wie es ein Bekenntnis zu den psychologisch komplizierfesten und musikalisch anspruchsvollsten Werken der modernen Musikdramatiker, zu Alban Bergs „Wozzeck“, G. Francesco Mali-pieros .Favola del figlio cambiafo“, Ferruccio Busonis .Doktor Faust“, Richard Strauss' .Frau ohne Schatten“ und Claude Debussys „Pelleas et Melisande“ ist. Solcher Aristokratismus schließt die humane und die soziale Gesinnung nicht aus; im Gegenfeil: erst aus der Höhe eines exklusiven Standpunktes öffne) sich der wesentliche Blick für die Nöte der Menschen und für die Mängel unserer Gesellschaftsordnung. Mozarts „Don Giovanni' ist sozialkritisch unendlich bedeutsamer und wirksamer gewesen als ein Dutzend französischer Revolutionsopern; Bergs „Wozzeck“ hat die Tragik der modernen Menschheit aufrüttelnder dargestellt als alle sozialistischen Opern der letzten dreißig Jahre.

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