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Die Blüte der dreißiger Jahre
In die dreißiger Jahre ging die moderne tschechoslowakische Architektur mit den besten Voraussetzungen. In Brünn und später auch in Prag waren bereits Experimental-wohnviertel erbaut worden. Die Wohnbauten waren von einem guten sozialen Niveau und die Bautechnik selbst war in ständiger Besserung begriffen. Der Urbanismus wurde Gegenstand eines erhöhten Studiums und die Gedanken des Funktionalismus brachten in die starren Sche-
mata der Städte Bewegung. Es erschienen die ersten Studien zum Regionalpian und Entwürfe zum gesamtstaatlichen Wirtschaftsplan. Eine Reihe von Studien zur Theorie des Wohnens wurde verwirklicht.
Das architektonische Konzept wurde vertieft und rief das Bestreben nach einer guten Einfügung der Bauwerke in den Rahmen des Naturbildes ins Leben. Eine ganze Reihe von architektonischen und urbanistischen Wettbewerben fand statt, von denen einigen auch internationale Bedeutung zukam; so etwa der Regulierungsplan der Stadt Bratislava. Die Publikationstätigkeit war ungemein reich und die Verbindung mit dem Auslande sehr lebhaft. Die tschechoslowakische Architektur entfaltete ihr eigenes Gesicht und reihte sich in die Weltentwicklung ein. Die zahlreichen Realisierungen Wurden bedeutsam um die Prager Villa Müller von Adolf Loos bereichert.
Die sozialen Aspekte der Architektur dieser Zeitspanne wurden richtungsweisend für die Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg. Die Periode der dreißiger Jahre war allerdings zu kurz, um die bisherigen Errungenschaften der modernen Architektur stabilisieren zu können.
In die Etappe nach dem Jahre 1945 gingen wir ausgestattet mit den erwähnten Erfahrungen. Die neuen gesellschaftlichen Bedingungen hatten uns vor zwei in der Praxis bis dahin unerprobte Probleme gestellt. Es war zunächst die Forderung nach einer einheitlichen Organisierung der Projektarbeiten und dann die Industrialisierung des Bauwesens. Hinzu kam die Gründung einer Anzahl von Studienanstalten. Es ging um die Suche nach wissenschaftlichen Prinzipien, von denen die Gestaltung des Lebensstils und des Lebensmilieus besonders wichtig war. Auf der Grundlage dieser Forderungen entstanden im Verein mit den Prinzipien des funktionalistischen Denkens bis zum Jahre 1950 hin wertvolle Baulichkeiten, die die Tradition der modernen tschechoslowakischen Architektur wahrten.
Die Periode des Historismus
Anfang der fünfziger Jahre trat das Streben nach einer engen Anknüpfung an die historischen Formen zutage, das viele Architekten in Verlegenheit brachte. „Trotz der verhältnismäßig kurzen Dauer hatte diese Abweichung jedoch äußerst nachteilige Folgen, und zwar sowohl dadurch, daß die Entwicklungskontinuität der modernen Architektur unterbrochen wurde, als auch durch das von ihr geweckte Mißtrauen gegen die Architekturtheorie und die Architektur überhaupt.“ (Moderne Architektur in der Tschechoslowakei von Oldrich Dostäl u. a., Prag 1967.)
Neue Bestrebungen
Ein großes Positivum brachte diese Zeit allerdings dennoch: Der falsche Historismus erweckte nämlich das Interesse für die reale Architektur der historischen Baudenkmäler. Die Theorie des Denkmalschutzes wurde vertieft und bei der Rekonstruktion von Denkmalobjekten mit Erfolg erprobt. Die Rekonstruktion der historischen Städte geht in beträchtliche Tiefe und Breite und bringt viele theoretische Erfahrungen für den Städtebau. Die Rekonstruktion unserer Baudenkmäler wird heute auch von fremden Fachleuten mit Interesse verfolgt und studiert.
Trotzdem blieb bei den Architekten, hauptsächlich bei den Avantgardisten der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen, das Bestreben lebendig, die Kontinuität wie auch den Kontakt mit der Entwicklung der Weltarchitektur zu erhalten. Der erste Erfolg stellte sich mit dem Bau des tschechoslowakischen Pavillons auf der EXPO von 1958 in Brüssel ein, dem eine volle Anerkennung zuteil wurde. Ein weiterer Erfolg war der Ausbau der Experimental-Wohn-siedlung in der Prager „Invali-dovna“. Zum weiteren Aufbau des Jubiläumsausstellungsgeländes trugen die Brünner Mustermessen dadurch bei, daß einige Ausstellungsobjekte neu errichtet wurden, von denen insbesondere die Rohrkonstruktionsrotunde abermals ein Weltniveau erreichte. Etliche weitere Baurealisierungen erschließen unserer Architektur neue Wege. Wir suchen Mitarbeiter auch im Ausland, wovon der vor kurzem beendete internationale Wettbewerb für den südlichen Stadtbezirk von Bratislava zeugt, bei dem Roland Rainer großen Erfolg hatte.
Unser Streben geht darauf aus, in den neuen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen die Kontinuität unserer modernen Architektur zu erneuern, die stets getragen war von humanistischen Tendenzen.
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