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DIE BOTSCHAFT DER TIERE

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Wer Franz Marc, den Frühverstorbenen und Frühvollendeten, verstehen will, muß seine Tiere verstehen.

Immer wieder, fast auf allen seinen Bildern, sehen wir Tiere. Georg Schmidt berichtet uns. daß Franz Marc „schon als Kind in der Tierwelt heimischer gewesen ist als in der Menschenwelt“. So ist eines seiner ersten Bilder ein kleines Stilleben „Der tote Spatz“. Seine Studien galten in den Jahren 1905 bis 1908 beinahe ausschließlich der Anatomie des Tieres: Pferd, Rind, Vogel, Reh - den Tieren seiner Heimat. Auf die Schilderung von Einzeltieren folgt dann die Komposition von mehreren Tieren zu einer Einheit. Dies ist ein Wendepunkt in seinem Leben mit den Tieren: nicht mehr das Einzelwesen, das Individuelle ist ihm von Bedeutung, sondern die Welt der Tiere, das Geistige der Tiere: in ihrer Gesamtheit, in ihrem Reich findet er die Reinheit, auf die er in der Welt der Menschen nicht gestoßen ist.

Denken wir an den schwarzen Hengst, den König der Wildpferde! Mit unvergleichlichen Sprüngen setzt er sich immer an die Spitze der Herde, die er anführt, steigt in die Luft, nimmt Witterung, wendet um, wenn Gefahr droht — wie sein schmaler, edler Leib dahinfliegt! König der Pferde: das wird man nicht durch Vorrechte der Geburt, nicht durch Fleiß, nicht durch Intrigen. Der König der Pferde ist ein Auserwählter.

Etwas von diesem Geist drang in Franz Marcs Bilder ein. Aber die Entdeckung der Farbe mußte hinzutreten, um ihm die handwerkliche Vollkommenheit zu geben, die er brauchte, um den Geist, der ihn bewegte, in reinen und klaren Bildern ausdrücken zu können. Sein erstes vollkommenes Bild sind dann „Die drei roten Pferde“, gemalt 1911. Franz Marc war damals gerade 31 Jahre alt. Wenige Jahre sollten ihm bleiben zur Vollendung seines Werkes.

Den „Roten Pferden“ folgen die „Blauen Fferde“. Immer stärker, gewaltiger, faszinierender manifestiert sich der freie, königliche Geist der Pferde — nicht gebunden an eine bestimmte Form, nicht gebunden an eine Farbe, und doch von einer tiefen Zucht und Gesetzmäßigkeit erfüllt.

Für uns ist der Name Franz Marcs für immer mit dem ..Blauen Reiter“ verbunden. Zu den „Blauen Pferden“ der „Blaue Reiter“! Der „Blaue Reiter“ - das war zunächst ein Bild von Wassily Kandinsky — dem Marc ebenso wie seinem Freunde August Macke viel zu verdanken hat —. dann ein Buch, daß Kandinsky gemeinsam mit Marc herausgab, dann gab es eine Ausstellung des „Blauen Reiters“ und schließlich nannte sich die ganze Freundesgruppe so; auch Paul Klee gehörte zu ihr.

Franz Marc malte nun eine zweite und dritte Fassung der ..Blauen Pferde“, dann, auch in den Formen gefestigter und bestimmter, auch trer zum Imaginativen fortschreitend, die „Gelben Pferde“, die „Gelbe Kuh“, den „Schlafenden Stier“, das „Blaue Pferdchen“, den „Hund vor der Welt“, das ..Gelbe Reh im Walde“, die „Zwei Katzen“. Der frühe Kubismus gibt ihm die Mittel an die Hand, die Getrenntheit der Tiere in Einzelwesen zu überwinden. Georg Schmidt hat das in seinem Essay „Das Poetische in der Kunst Franz Marcs“ herausgearbeitet: Marc hat ..den analytischen Kubismus dazu verwendet, die Vereinzelung und Vereinsamung des Tieres in der Natur zu überwinden: Elemente des Tieres von Elementen der Pflanzen und Berge sich durchdrineen und mit ihnen sich zu einer höheren kreatürlichen Einheit hymnisch verschmelzen zu lassen“. Die inbrünstige Liebe zu allem Kreatürlichen, die Franz Marc beseelte, sein Leben mit „Bruder Pferd“ und „Bruder Reh“ hat etwas Franziskanisches an sich. Rene Fülöp-Miller schildert in seiner kleinen Biographie die ulsprüngliche Beziehung zur Tierwelt, die Franziskus hatte. Als Franziskus einmal auf dem Weg zu einer Predigt an einer Gruppe von Bäumen vorbeikam, auf deren Aeste viele Vögel saßen, flogen ihm diese entgegen. „Als Franziskus in ihrer Mitte stand, scharten sie sich im Kreise am Boden um ihn oder ließen sich auf den benachbarten Aesten nieder, um ihn wie von Galerien aus nächster Nähe sehen zu können. Ein bloßer Vogelschwarm für das menschliche Auge, ein bloßes Gezwitscher für das menschliche Ohr; der liebend Verzückte aber sah und vernahm darin die gespannt harrende und ihm zujubelnde Brüderversammlung. Da erhob er die Hand, denn nun wußte er, daß er seinen gefiederten Brüdern predigen sollte. Er wußte es aus der Freude und der brüderlichen Liebe für alles Erschaffene heraus.

.Meine Brüder Vögel', begann er, und er sprach zu ihnen, daß sie immer Gott loben sollten und nicht undankbar sein für das, was er ihnen gegeben habe, Nahrung, Luft und Federkleid, für Quellen und Felsen. Denn Gott liebe sie sehr, da er ihnen dies alles gegeben habe. Nach diesen Worten begannen all die Vögel ihre Schnäbel zu öffnen, mit den Flügeln zu schlagen und, ihre Köpfe ehrerbietig zur Erde neigend, Gott singend zu lobpreisen, damit bezeugend, daß sie Franziskus' Worte wohl verstanden hatten. Lind Franziskus streckte die Arme in die Höhe und sang mit ihnen. Dann segnete er seine Brüder, aufflogen, und später die Schwalben von Alviano, zu denen 1-ranziskus sprach, haben sie weitergegeben an die anderen Tiere, weitergegeben durch ihren Gesang, der nicht anders kann, als einfach den Schöpfer zu preisen. So ist er auch zu Franz Marc gekommen. Warum sollte es nicht so sein? Und er, der in vielem einsam war, schwerblütig, verschlossen, schloß sich hier auf, öffnete sich diesem Gesang; und in seinen Bildern gab er ihn weiter. Die Tiere waren für ihn der Umweg zur Schöpfung.

Diese Bruderschaft mit den Tieren war das Tor, durch das die Welt in sein Werk einströmte. Denn alles an den Tieren, ihr Gefieder und ihr Flug, ihre Mähnen und ihre Hufe, preist den ' Schöpfer.

Das schönste Bild, das ich von der Vogelpredigt des heiligen Franz kenne, ist eine Holzschnittarbeit von der Goldküste, von Negern gemacht. Der größte der Vögel ist beinahe so groß wie der kleine Heilige, aber auch er hört zu; in allen Vögeln ist der Ausdruck des Lauschens stark ausgeprägt. Der Geist, der aus dieser Schnitzarbeit spricht, ist der des heiligen Franz; auch das Holz konnte nicht anders, als sich in seine Harmonie einzufügen.

Die schönsten Worte zu den Bildern von Franz Marc stammen von Kindern, von einer Gruppe zwölfjähriger Mädchen. Ein Wiener Pädagoge veröffentlichte in einer Zeitschrift die Aussagen von Kindern zur modernen Malerei. Linter den Bildern, die er den Kindern zeigte, war auch das Bild „Pferde und Adler“ von Franz Marc. Ein Mädchen, fünf Jahre alt, sagte dazu: „Lauter Farben, spitzige und runde Farben“, und drei Buben im Alter von neun Jahren: „Der Wald brennt, da rennt das Wild davon. Das eine die Vögel, und die ganze gefiederte Schar flog gleichzeitig auf und verteilte sich in die Lüfte.“

Dies war die berühmte Vogelpredigt des heiligen Franz von Assisi, ebenso berühmt wie sein Lobgesang auf die Schöpfung, sein Sonnegesang: „Gelobt seist Du, Herr, mit allen Deinen Geschöpfen, besonders der Frau Schwester Sonne, die den Tag erschafft, und Du erleuchtest uns durch sie ...“

Etwas von dieser heiligen Einfalt, von dieser Reinheit des Herzens ist in allen Bildern Franz Marcs. Freilich ist er nicht, wie Franziskus, zu allererst ein Gebender (aber auch Franziskus hat ja empfangen! — Geben und Empfangen sind immer untrennbar miteinander verbunden). Während Franziskus den Vögeln die Frohe Botschaft des Herrn verkündet, ist es in den Bildern Marcs so, daß er der Empfangende ist, der die Botschaft der Tiere hört. Die Tiere kommen zu ihm und sagen ihm ihre Botschaft und geben ihm die Kraft, zu malen. Es wäre nun denkbar, daß die Tiere die Botschaft des Franziskus an das Herz Franz Marcs eetragen haben: die Vögel, die von jenem Platz bei Pian d'Arca

Tier da vorne schreit, das ist getroffen. Das bäumt sich in die Höhe. Das Blaue dahinter wird der Himmel sein — oder ist es Wasser? Vielleicht wird der Brand gelöscht. Der Förster wird ihn entdeckt haben. Oder der Jäger. Aber alle Tiere werden sie nicht mehr retten können.“ Kinder haben eine unbefangene Einstellung zu Bildern — sie deuten sie auf ihre Art, versuchen sich hineinzuleben, erfinden Geschichten dazu und schmücken alles mit ihrer Phantasie aus. Manchmal aber kommen sie intuitiv dem ganz nahe, was der Künstler meinte — ehe sie noch seine Ausdruckssprache erlernt haben, wie die Mädchen, von denen ich sprach: „Die Natur ist bunt und farbenfroh. Die Tiere sind befreundet miteinander. Die Pferde und der Adler haben sich vereint, sind aber doch in ihrer eigenen Welt. Je länger man das Bild ansieht, desto stärker beginnt alles zu leben.“

Sind es nicht die Kinder, noch fern aller Klugheit, die ahnten, was Marc wollte, in seinem Leben und in seinem Werk? Es ist ein einfaches Leben, nahe dem Boden, wo alle Tiere miteinander befreundet sind, ein Leben, das Henri

David Thoreau suchte, als er in den Wald ging, um zehn Jahre seines Lebens in „Waiden“ zu verbringen. Es ist eine Welt, in der die Natur ganz einfach farbenfroh ist, schön, ausgesöhnt mit allem und sich selbst.

Vieles freilich scheidet Franz Marc vom Geist eines Heiligen, des heiligen Franz etwa.

Er war ein Mensch des 20. Jahrhunderts, verstrickt in das schöpferische Abenteuer der Kunst, auf der Suche nach neuen Ausdrucks-möglichkeiten für den Geist. Uebrigens war sich Franz Marc selbst des Unterschiedes zwischen seiner Aufgabe und dem Wirken eines Mönchs sehr wohl bewußt: „Die Umwege sind bei produktiven Naturen sicherlich oft die einzigmögliche Verbindung mit dem Ziel; einer, der nur lebt, und in Reinheit wie ein Eremit im Leben steht, lebt vertrauter mit dem Gott und Urgrund des Seins als ein produzierender, das heißt ein .sich quälender“ Geist. Deswegen will ich doch zur Reinheit und bin mir bewußt, daß viel Unreines in meinem ganzen bisherigen Werk ist.“

Einfacher ist, glaube ich. das Wesen eines Künstlers, eines „sich quälenden“, nach Klarheit ringenden Geistes nicht ausgedrückt worden; Kunst ist für ihn der Kampf, die Welt zu bewältigen, zu übersehen, zu ordnen. Nur ein Mensch, der schon am Ziele ist, bedarf der Kunst nicht mehr, der Kampf ist gewonnen. Und wenn er — obwohl es nicht mehr nötig wäre, zu malen, zu schreiben oder irgend etwas zu tun — dann doch malt, schreibt oder sonst Kunst gibt, dann ist es eine ganz reine, geläuterte Kunst, die ruhig geworden ist wie das Meer, über das kein Wind mehr geht. Klee war in seinen späten Jahren vielleicht ein solcher Künstler — wenn es, solche Künstler überhaupt gegeben hat. Marc aber mußte, um sein Ziel zu erreichen, einen Llmweg nehmen: den Umweg über die Tiere, der für ihn der nächste und einzig mögliche Weg war.

Ehe Franz Marc 1914 in den Weltkrieg gehen mußte, aus dem er nicht mehr heimkehrte, malte er noch in den letzten zwei Jahren davor, die ihm verblieben, seine reifsten Bilder: „Springendes Pferd“, „Reh im Klostergarten“, „Tierschicksale“ „Wölfe“, „Weltenkuh“, die „Großen gelben Pferde“ und den „Turm der blauen Pferde“. Auch in den Holzschnitten seiner letz-ten Jahre finden wir dieselbe Welt: „Tierlegende“, „Pferde an der Schwemme“, „Geburt der Wölfe“, „Stier“, „Tiger“, „Drei Tiere“, „Schöpfungsgeschichte“ und immer wieder Pferde . ..

Wer Franz Marc verstehen will, muß seine Tiere verstehen; es sind keine „literarischen“ Tiere, die sprechen können wie die Rehe auf den Ansichtskarten zu Weihnachten; doch haben sie etwas von den Tieren an sich, von denen wir in Märchen hören; es sind nicht Tiere, die die Sprache der Menschen beherrschen, sondern Mensch und Tier haben dieselbe Ursprache.

Was Franz Marc zuletzt sah. war die Welt des Krieges. Ein tiefes Ungenügcn am Sichtbaren, und damit auch an der Schöpfung, ergriff Franz Marc in dieser Zeit. In seinen Kriegsbriefen bekennt er, daß er das Antlitz des Menschen nur noch blutbesudelt sehen könnte So blieben die Tiere, und das. was hinter ihnen war Er trug ein Büchlein bei sich, in das er zeichnete: das „Skizzenbuch aus dem Felde“. Immer abstrakter wurde das, was er zeichnete: „Die schlafende Form“ und das „Arsenal für eine Schöpfung“ ...

Blicken wir nun. am Ausgang, noch einmal zurück auf das Werk Franz Marcs und die Welt seiner Tiere.' Wir werden erkennen, daß in der Unschuld und Ursprünglichkeit seiner Tiere nicht nur das Rühmen der Schöpfung enthalten ist. sondern noch etwas anderes: „Arsenal für eine Schöpfung“: sie sind in Wahrheit Wesen, die eine neue, reinere, vollkommenere Welt bevölkern sollen, wie sie Franz Marc, der Grauen und Qual des Krieges erlebt hafte, vorschwebte Alle seine Tiere sind ein solches Arsenal für eine neue Schöpfung: er wollte sie hinübergerettet wissen in eine kommende Welt. So erscheint uns nun sein Werk als eine Art „Arche Noah“. als ein Fahrzeug, in das er das, was seiner Hoffnun? nach unsere Welt überdauern sollte, aufnahm, um es vor dem Tode und vor der Sintflut zu bewahren.

Er selbst ist am 4 März 1916 in der Schlacht vor Verdun gefallen.

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