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Die erste geistliche Oper

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Unter den Premieren der beiden ersten Salzburger Festspielwochen (vor „Zaide“ und „Fidelio“) erwies sich die Inszenierung des szenischen Oratoriums „Rappresentatione di anvma e di corpo“ („Das Spiel von Seele und Körper“) von Emilio de Cavalieri in der Felsenreitsühiule als kleine künstlerische Sensation und außerdem noch als Publikumserfolg. Bernhard Paumgartner, der das Werk (über das bereite in der „Furche“ Nr. 30, vom 27. Juli 1968 ein einführender Bericht erschien) neu entdeckt und die Saleburger

Aufführung initiiert hat, wehrt sich in seinem Vorwort zu dem Textbuch (Bärenreiter-Verlag, Kassel) gegen die Bezeichnung Oratorium und will die „Rappresentatione“ als echte Oper, und zwar als erste geistliche Oper, verstanden wissen. Das trifft zweifellos zu, denn das Werk braucht die Bühne, Akteure, Dekoration, Kostüme und Tanz, und nicht zuletzt verdankt es diesen szenischen Elementen, die Veniero Colasanti und John Moore (Bühnenbild und Kostüme) mit ebensoviel historischem Wissen wie künstlerischem Geschmack beisteuerten, seinen Salzburger Erfolg. Richtig ist Paumgart- ners Bezeichnung auch im Hinblick auf die Musik Cavalieris, die sehr bewußt einer wohlüberlegten Operndramaturgie gehorcht. In seinem erstaunlichen Vorwort zur „Rappresentatione“ führt Cavalieri einige Regeln an, die bis heute gültig sind. „Hat man ein wenig solistisch gesungen“. schreibt er, „ist es gut, wenn wieder Chöre einfallen. Auch mit den Tonarten soll man abwechseln. Jetzt soll der Sopran, dann wieder der Baß, jetzt der Alt, dann der Tenor singen. Die Arien und anderen Musikstücke sollen einander nicht gleichen. Sie sollen auch in den Taktarten gut gegeneinander abgehoben werden. Man statte sie mit Echowirküngen und anderen Einfällen so reich wie möglich aus, mit Tänzen im besonderen.“ Vollends an Wagner erinnert aber Cavalieris Forderung, daß man die begleitenden Instrumente nicht, sehen solle, damit die Illusion nicht gestört werde. Wie klug und wegweisend dann noch die Bemerkung: „Und Signor Emilio würde es gutheißen, wollte man mit den Instrumenten in Übereinstimmung zum jeweiligen Affekt der Darsteller abwechseln.“ Das ist eine Opernästhetik in nuce, der die felgenden Jahrhunderte bis Mozart nichts erheblich Neues hinzugefügt haben.

Als Komponist hat „Signor Emilio“ im „st’ile espressivo“ Bahnbrechendes geleistet. Die Musik der „Rappresentatione“ beweist nicht nur ¡seinen kompositorischen Erfindungs- geist in der Gestaltung der Chöre und Tänzeinlagen, die individualisierende Behandlung der Singstimme, die Stimmung und Sinngehalt des Textes ausschöpft, läßt darüber hinaus auch ein leidenschaftliches Temperament erkennen, . dessen dramatischem Impetus es gelingt, die Rezitative und Arien durch gewaltige emotionelle Spannungen zu beleben und der Musik eine Ausdrucksfähigkeit zu verleihen, die in solchem Kontext ein Novum dar- stellt.

Der Bedeutung des Werkes wird die Salzburger Inszenierung vollauf gerecht. Herbert Graf hat einen Inszenierunig&stil gefunden, der es in der Tat gestattet, wie er schreibt, „Gefühlskomplexe in einfache symbolische visuelle Formen und Bewegungen zu kondensieren“. Die Bewegungen der Sänger und Tänzer sind nicht dm Sinne der realistischen Oper oder des klassischen Balletts gehalten, sondern trachte , historische Motive in moderner Form er neuernd, nach stilisierter Einfachheit. Der Wunsch des Komponisten, den Chor agieren zu lassen, führte zur Verwendung einer Bewegungschorgruppe (Mitglieder des Orff-Insti- tuts), welche die entsprechenden Chorgesten ausführen, ohne daß die musikalische Darstellung der roadrigalartigen Chöre gefährdet wurde. Das Essener Folkwang- Ballett fügt sich mit dem von Kurt Jooss choreographisch sehr dezent und würdevoll gestalteten „Ballo“ dem Aktionszusammenhang des Ganzen stilgemäß ein.

Größten Effekt machen Dekorationen und Kostüme, die Colasanti und Moore nach den Wünschen Herbert Grafs einem auf dem römischen Barock Berninis basierenden Inszenierungsplan angepaßt haben. Für die szenische Handlung wurde, dem mittelalterlichen Bühnengedanken von Himmel, Erde und Hölle entsprechend, eiin dreiteiliger Bühnenaufbau entworfen, in dessen Mittelpunkt eine große barocke Glorie die Zentralidee des Werkes, ¡den Auf stieg der Seele mi Gott, symbolisiert. Diese Bühnenkonstruktion, schreibt Herbert Graf in seinem Kommentar, sollte möglichst nicht als künstliche Theaterdekoration, sondern als aus dem grauen Gestein der Felsenr-eit- schule herauswachsend, gestaltet werden. Die Kostüme der allegorischen Figuren wurden ebenfalls nach barocken Vorlagen entworfen. Insgesamt kam dadurch eine szenische Wirkung zustande, die an Sachkenntnis, Geschmack und Angemessenheit an den Geist des Werkes ihresgleichen sucht.

Der musikalische Teil war bei dem Dirigenten Rolf Mädel (der auch die Einstudierung besorgt hatte) in den besten Händen und wurde vom

Mozarteumorchester und dem Kammerchor der Salzburger Festspiele zu voller Zufriedenheit ausge- führt. Weniger zu befriedigen vermochten die einzelnen Sänger, deren geringe Vertrautheit mit dem Vortrag alter Musik bei der Premiere durch das irritierende Regengeprassel auf dem Dach der Felsenreit- schule anscheinend noch potenziert wurde. Es wäre unbillig, sie unter diesen ungünstigen Umständen im einzelnen zu kritisieren, da das Urteil schlechter Ausfallen müßte, als sie es wahrscheinlich verdienten. Es sei daher nur erwähnt, daß in größeren Partien Franz Petri, Suzanne Sarroca, Dieter Bundschuh, Rudolf Frese, José van Dam, Ingrid Mayr, Evangeline Noel und Gabriele Fuchs mitwirkten und allen akustischen Störungen zum Trotz sichtlich bemüht waren, den zum Teil sehr großen Anforderungen so gerecht zu werden, wie sie nur konnten. Leider war das in einigen Fällen nach Festspielmaßstab zu wenig.

Dr. Dominik Hartmann

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