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Die fremde Botschaft der Stille

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Wo einst Thomas Bernhard in der Lungenheilanstalt lag, herrscht nun reges Treiben: ein weiblicher Kartäuser-Orden kann sich des Nachwuchses nicht erwehren.

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Wo einst Thomas Bernhard in der Lungenheilanstalt lag, herrscht nun reges Treiben: ein weiblicher Kartäuser-Orden kann sich des Nachwuchses nicht erwehren.

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Die Bethlehem-Schwestern in St. Veit im Pongau, Salzburg, werden ihr Kloster „Maria im Paradies" auf einer Alm in 1.300 Meter Höhe mit 24 Zellen vergrößern: Der Orden zählt weltweit 500 Angehörige in 24 Klöstern für Nonnen, drei für Mönche und kennt keine Nachwuchsprobleme.

Vor elf Jahren war die einzige Niederlassung des französischen Ordens in Österreich gegründet worden, ein Kloster der „Stille und Einsamkeit". Die Ordensfamilie „von Bethlehem und der Aufnahme Mariens in den Himmel" war erst 1950 anläßlich des Dogmas entstanden. Heute leben in den einfachen Holzbauten der Einsiedeleien in den Salzburger Bergen 13 Schwestern und drei Kandidatinnen nach der Lebensform Bruno des Kartäusers. So wie dieser Mönch sich im Jahr 1084 in das Bergmassiv der Chartreuse zurückgezogen hatte, suchen die Schwestern auf diese Art eine Begegnung mit Gott. Bei der Ordensgründung waren die ersten Kapellen in ehemaligen Ställen so armselig wie in Bethlehem - deshalb der erste Teil des Ordensnamens.

Und auch auf der sogenannten „Kinderalm" oberhalb von St. Veit im Pongau wurde die Kapelle, ein ehemals mit rohen Brettern verschalter Fachwerkbau, mit selbst gemalten Wandbildern nach Art der Ostkirche gestaltet, der alte Stall wurde zum Speisesaal. Vor etlichen Jahren waren auf dem ehemaligen Bauernhof lungenkranke Kinder untergebracht. Das Zeichen der Schwestern - der Stern von Bethlehem schmückt den Altar. Auch das Stundengebet des katholischen kontemplativen Ordens entspricht der Tradition der Ostkirche.

Was bewegt einen Menschen, ein solches Leben zu führen? „Unsere

Antwort und Botschaft ist die Stille", sagen die Schwestern. Eine von ihnen - ehemals Ärztin in Frankreich - antwortet dennoch: „Es ist die „Geschichte einer Beziehung mit Gott". Nur er allein könne der Grund sein, warum ein Mensch alles verläßt. Sie sei deshalb auf der Kinderalm, „weil Gott nicht ein Etwas ist, sondern ein Jemand, der jeden von uns ganz persönlich liebt, wie uns sonst niemand lieben wird". Die Antwort auf diese Liebe könne nur eine ganze sein. Und der Rückzug in die Stille und Einsamkeit des Klosters „Maria im Paradies" sei keine Weltflucht: „Wir haben alles verlassen, um tiefer mit Gott und allen Menschen verbunden zu sein."

Die Klosteranlage liegt wie eine versteckte Gottesburg auf der Kinderalm. Dem Besucher bieten die Schwestern „das Kostbarste, was wir haben: Die Einsamkeit mit Gott". So mancher Besucher nützt auch die Möglichkeit, im Gästetrakt eine Woche zu verbringen, um der Welt mit ihrem Lärm zu entfliehen, um Gott im eigenen Inneren zu hören: das lernen selbst Ordensfrauen nur allmählich.

Klöster werden oft verharmlost und verniedlicht, gelten als Fluchtort. Aber die Bomantik des Einsiedlerklosters in den Bergen täuscht: Tatsächlich erleben die Schwestern das tägliche Gebet für sich und die Nöte der Welt als Ringen mit Gott ' die 99' Klosterzelle gerät zum „Kampfplatz der Seele".

Im Namen der Menschen draußen wollen sie „ohne Unterlaß zu Gott" rufen. So begleitet sie täglich das „Herzensgebet", auch bei der Arbeit: „Jesus" oder „Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, hab Erbarmen mit mir Sünder."

In strengem klösterlichem Schweigen wird untereinander nur schriftlich Kommunikation gepflegt - mit Ausnahme des Sonntags: Da gibt es nach der gemeinsamen Mahlzeit ei-

nen langen Spaziergang in freier Natur und ein Gespräch. Gemeinsamkeit und Einsamkeit - sie wechseln einander im Rhythmus des Tages und der Woche ab.

Für die Schwestern von Bethlehem beginnt der Tag bereits um 3.30 Uhr mit einem zweistündigen stillen Gebet in ihren Einsiedlerzellen. Die „Matutin" um 6.20 Uhr wird gemeinsam in der Kapelle gefeiert. Dann läuft der Tag wieder in der Zelle ab - bis zur Liturgiefeier am Abend. Das Studium dauert von acht bis zehn Uhr, dann folgen die „Terz" und die erste Mahlzeit.

Um 11 Uhr ist Arbeitsbeginn: Ihren Lebensunterhalt verdienen die Schwestern mit dem Malen von Ikonen nach alter Tradition. Lindenholz wird mit 14 Schichten aus Schlemmkreide und Gelatine präpariert, die Farben bestehen aus natürlichen Stoffen wie Eigelb und verschiedenen Erden. Erst nach etwa zwei Monaten ist ein Bild fertig.

Um 12 Uhr ruft die Glocke zum Angelusgebet und zur „Sext". Sie wird auch in Einsamkeit gebetet. Die Arbeit dauert bis 15 Uhr, bis zur „Non" in Einsamkeit, danach gibt es die zweite Mahlzeit, ebenfalls in der Zelle.

Um 16.30 Uhr die „Vesper" und die Feier der Liturgie. Schließlich um 18.15 Uhr eine „Toilette des Leibes und der Seele", und um

„Komplet" Nachtruhe 19.45 Uhr.

Der Montag ist ein „Wüstentag", ganz dem Gebet in Einsamkeit gewidmet, ohne Arbeit, mit einer stillen Messe am Abend. An den Liturgiefeiern nehmen auch Besucher und Gäste teil. Außer der Kapelle steht für Besucher tagsüber auch der Schauraum mit Kunsthandwerk of fen, von verschiedenen Klöstern des Ordens hergestellt. Die Ikonen, Kreuze und Figuren, sagen die Schwestern, sollen „etwas von der Schönheit und Wahrheit Gottes vermitteln und zum Gebet anregen". Die Nachfrage aus der Umgebung und aus aller Welt ist groß.

Nachwuchsprobleme haben die Schwestern von Bethlehem nicht. Im Gegenteil: Besonders junge Menschen fühlen sich von dem strengen beschaulichen Orden angezogen. In verschiedenen Ländern gibt es großes, Interesse an Neugründungen: In Indien, Japan, Chile, in Polen, Litauen, Ungarn und auf den Philippinen. Das

Durchschnittsalter der Schwestern von Bethlehem liegt bei 30 Jahren.

Auf der Kinderalm oberhalb von St. Veit sollen oberhalb der schon bestehenden Klosteranlage auf einer knapp doppelt so großen Fläche von 3,3 Hek -tar zusätzlich 24 neue Zellen - Einzelhäuser sowie die eigentliche Klosterkirche entstehen.

Architekt Matthias Mulitzer: „Dieser Klosterbau wird mit Spenden finanziert. Der erste Bauabschnitt ist im Gange, und wir hoffen, den Bau in zehn Jahren abschließen zu können. Die Kartäuser hatten ja 900 Jahre lang Zeit, ihren Klosterbautypus auszufor-mulieren. Die Ordensfamilie von Bethlehem wurde erst vor 46 Jahren gegründet. So ist dieser Bau für uns heute ein Experiment."

Das neue, sogenannte „Obere Haus" liegt einige hundert Meter von der alten Klosteranlage entfernt. Die Finanzierung ist nach wie vor ungewiß - aber wie immer verlassen sich die Schwestern von Bethlehem im Gebet auf die „Führung Gottes" -ebenso wie bei der Baugenehmigung mitten in einem Waldstück. Immer schon verließen in der Tradition der Kirche Menschen die „bewohnte Welt", um „Gott in der Einsamkeit zu suchen".

Und auch hier werden sie in strenger Klausur den Rhythmus von Einsamkeit und Gemeinschaft leben, wie es schon zu Zeiten der ersten Kartau-se im 11. Jahrhundert üblich war. Die neue Kapelle ist bereits fertig - sie wurde anonym gespendet.

Noch regnet es kein Geld, und viele Winter werden noch vergehen, bis die neue Klausur fertig ist. Das alte Kloster ist schon zu klein, bleibt aber als „Unteres Haus" erhalten. Warum just die Schwestern von Bethlehem im Gegensatz zu einigen anderen Orden keine Nachwuchsprobleme kennen? Vielleicht ist es die Kälte der Zeit, die junge Menschen in der Einsamkeit der Berge Salzburgs die Wärme der Nähe Gottes suchen läßt.

Der Autor ist

freier Journalist.

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