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Die Glasgemalde des Stephansdomes

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\ Eines der wichtigsten Probleme bei der Wiederinstandsetzung unseres Stephansdomes bildet das der Verglasung. Die Kriegsereignisse haben nicht ein einziges Fenster unbeschädigt gelassen, sodaß die nunmehr gestellte Frage ganz generell gelöst werden muß; daß dies einwandfrei geschieht, ist nicht bloß von einschneidendster Bedeutung vfür die äußere Erscheinung unserer Kathedrale, sondern geht bis auf den Zweck des Gotteshauses selbst zurück. Es handelt sich nicht bloß um eine ästhetische Angelegenheit, sondern die Lösung bestimmt in hohem Maße den Stimmungsgehalt des Innenraumes, von ihr hängt in vieler Beziehung seine Wirkung auf die betende Gemeinde ab.

. Da interessiert es in allererster Linie zu wissen, wie die ursprünglichen Fenster des Domes gleich nach seiner Erbauung ausgesehen haben mögen. Die noch vorhandenen Urkunden lassen keinen Zweifel darüber,daß zumindest der Chor der Kirche schon bei oder unmittelbar nach seiner baulichen Fertigstellung, also um das Jahr 134 0, mit Glasgemälden versehen war, ebenso war es mit der sogenannten Herzogen- oder Eligiuskapelle, der südlichen neben dem Riesentore. Die Verglasung des Langhauses hingegen scheint etwas längere Zeit in Anspruch genommen zu haben, auch scheinen in diesem Teile des Domes manche von den Fenstern provisorisch mit ungefärbten Butzenscheiben versehen gewesen zu sein. Schließlich dürfte aber auch, das Langhaus durchgehend mit Glasgemälden geschmückt gewesen sein, wofür die spärlichen Reste in den Maßwerken Zeugnis ablegen.

Außer diesen Fragmenten in den Maßwerken ist von der alten Verglasung des Langhauses nichts auf unsere Tage gekommen, wohl aber sind uns Scheiben und Teile von solchen von den Chorfenstern und ausj der Herzogenkapelle erhalten geblieben.

Die Kriegsereignisse des April 1945 waren ja nicht die, einzigen, die über unseren Dom hinwegbrausten; er hat doch zwei Türkenbelagerungen hinter sich, in dere“n Verlauf er wiederholt beschossen wurde, wie die an der Südwand eingemauerte Türkenkugel noch heute bezeugt.

So kommt es, daß im Dome selbst lediglich drei Fenster des Mittelchores noch bis in unsere Tage mittelalterliche Glasgemälde trugen; das Ostfenster hinter dem Hochaltare und die zwei Fenster rechts und links davon. Wenn auch die genannten „drei Chorfenster in diesem Zustande keinen ursprünglichen Bestand darstellten“, sondern erst „1900/01 aus den erhaltenen Resten des Fensterschmuckes zusammengestellt waren“ (Tietze, österreichische Kunsttopographie), ja wenn man auch bei genauerem Hinsehen merkte, daß einzelne Scheiben in mancher Zeile nicht ganz genau zueinander paßten, daß sogar manche Darstellung unvollständig war, so rahmten doch diese mittelalterlichen Glasgemälde mit ihren wundervoll funkelnden, tiefen und satten Farben das Presbyterium ein wie kostbare, alte Edelsteine einen goldenen Reliquienschrein.

Es ist etwas Eigenes um die echten, alten Glasgemälde. Ihre Schönheit kann durch die kunstvollsten modernen nicht erreicht wer-. den; das Alter mildert das leicht so Grelle der farbigen Gläser und verleiht ihnen den unnachahmlichen, warmen Ton und dieses eigentümliche Funkeln wie Rubin und Saphir.

Zudem stammen diese Scheiben gerade aus einer Zeit, der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, in welcher die Glasmalerei in Österreich auf. ihrer höchsten Stufe stand, sie zeigen den sogenannten kalligraphischen Stil, wie er um diese Zeit im Schwünge war und Bringen in mehreren Zeilen, getrennt durch reichliche Architektureinschübe, ' die mannigfaltigsten biblischen Erzählungen, darunter zwei Kreuzigungsgruppen, ferner die Steinigung des heiligen Stephanus, Johannes im ölkessel, die Geschichte vom ägyptischen Josef, die Königin von Saba vor König Salomon, dann wieder Christus vor Pilatus, eine Geißelungsszene, .eine Grablegung Christi und eine Himmelfahrt, die Ermordung Abners, die Aufrichtung der ehernen Schlange, David und Goliath, Jonas, wie ef ins Meer geworfen wird, und wie er wieder dem Fische entsteigt, Simsons Ringkampf mit dem Löwen, Prophetenfiguren und Aposteldarstellungen usw. Man sieht also, es wird nicht wenig erzählt schon allein in diesen drei Fenstern; aber gerade das zeigt, wie ungemein volksnah damals die Kunst war.

Zum Glück wurden diese Scheiben rechtzeitig vor den Bombenangriffen in Sicherheit gebracht, sodaß sie uns heute wertvolle Anhaltspunkte dafür sind, wie die ursprüngliche Verglasung des Domes ausgesehen haben mag und wie die einzelnen Darstellungen angeordnet waren.

F; Kieslinger hat in seinem Buche: „Gothische Glasmalerei in Österreich bis 4450“, versucht, auf Grund dieser erhaltenen Reste den Inhalt der gesamten Chorfenster zu rekonstruieren. Zwei Feststellungen sind für uns von besonderer Wichtigkeit: der Hinweis Kicslingers auf eine weitgehende Übereinstimmung der Darstellungen auf unseren Scheiben mit den Bildern des Codex 1198 der Wiener Nationalbibliothek und ferner die Beobachtung, daß einem Teile des Fensterschmuckes unserer Kathedrale ein typologisches System zugrunde lag.

Wir können- allerdings dem Autor nicht so weit folgen, daß wir' in den Darstellungen der erhaltenen Sdieiben direkt die Vorlagen für die Illustration der angeführten Handschrift, einer sogenannten Biblia pauperum, erblicken könnten. In der Art, wie die Handschriften damals entstanden, — sie wurden bekanntlich durch Abschreiben verbreitet und zu diesem Zwecke oft weit verschickt, — sowie in der Anonymität ihrer Verfasser liegt es, daß dieser Zeit der Begriff des Plagiates iri unserem Sinne vollkommen fremd war, und daher auch die Kunstwerke desselben Zeitalters meist sehr weitgehende Übereinstimmungen aufwiesen. Wie dem immer sei, jedenfalls ist uns durch den dankenswerten Hinweis Kicslingers ein sehr vielversprechender Weg gewiesen, der bei der Erneuerung der Glasgemälde des Domes wohl berücksichtigt zu werden verdient. Ebenso ist es auch mit der zweiten Feststellung, der von der Typologie. Darunter versteht man in unserem Falle, daß jeweils einer Darstellung aus dem Neuen Testamente das Vorbild aus dem alten Bunde gegenübergestellt erscheint, wie es etwa auf dem Verduner Altar im Stifte Klosterneuburg zu sehen ist.

Es ist unbedingt anzunehmen, daß die drei genannten Chorfenster im Dome w i e d er eingesetzt werden, wobei zu überlegen wäre, ob nicht die Scheiben des Mittelfensters, das ja ganz vom Hochaltare verdeckt und daher der Allgemeinheit vollkommen unsichtbar war, in eines der sichtbaren Fenster eingesetzt werden könnten, etwa in das über dem Wiener-Neustädter-Altar. Die kostbaren Scheiben müßten mit dem schönen, mittelalterlichen Bildschnitzwerk ungemein harmonisch zusammenklingen.

Wenn auch die drei Fenster das Einzige waren, was von dem mittelalterlichen Fensterschmucke im Dome selbst verblieben war, so sind doch noch eine ganze Reihe von Scheiben von dem ursprünglichen Fensterschmuck unseres Domes erhalten, die teils im Museum der Stadt Wien im Rathaus und im Kunstgewerbemuseum am Stubenring aufbewahrt sind, teils aber auch sidi in Privatbesitz befinden.

Das Bedeutendste hievon, sowohl an Umfang wie an künstlerischem Werte, sind unstreitbar die. Herzogsscheiben aus der Eligiuskapelle des Domes, ein Hauptwerk der österreichischen Glasmalerei. Sie sind etwas jünger wie die vorbeschriebenen, gehören aber noch immer der Blütezeit an.

Bei diesen zwei Fenstern ist die ganze Fläche überzogen von einem überaus zier liehen, gotischen Architekturgehäuse, das in verwickelten Unter- und Durchsichten ein ganzes System schlanker Türmchen, von zarten Säulen getragener Baldachine und Säulenhallen zeigt, in deren Nischen Könige

und Herzoge aus dem Hause Habsburg zu einer Art von Stammbaum vereinigt sind.

Außer diesen zwei Fenstern, die fast zur Gänze erhalten sind, befinden sich in den Museen noch einzelne Scheiben, eine anmutige Barbara und Katharina, drei Epiphanie-könige, Christus als Weltenkönig und andere mehr. Diese Glasgemälde sind nicht Eigentum der Museen, in denen sie sich befinden, sondern „als Eigentum des fürsterzbischöf-lichen Konsistoriums nur leihweise dem Museum“ zu einer Zeit überlassen, die ihren

Veit absolut nicht zu schätzen wußte. Es ist bezeichnend, daß sich zu dieser Zeit kein Museum gefunden hat, das diesen Schatz erwerben wollte!

Jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, diesen hervorragenden Schmuck für den Dom wiederzugewinnen, tun auf diese 'Weise einen Teil der Kunstwerke zu crsct7.cn, die durch die jüngsten Ereignisse vernichtet wurden. Schön und passend wäre es, wenn sich irgendein Modus finden ließe, die Herzogsscheiben in das Fenster hinter dem Friedrich s-grabe einzusetzen; und wenn schon nicht im Original, so in einer, den veränderten Maßen angepaßten Kopie. Wir könnten auf diese Weise etwas Ähnliches schaffen, wie es die Engländer in ihrer Westminster-abtei getan haben.

Jedenfalls wäre jetzt die Gelegenheit, dem Dome soviel als möglich von seinen alten Scheiben zurückzugeben. Darüber hinaus möge man die übrigen Fenster in Anlehnung an die erhaltenen unter Berücksichtigung der angeführten Hinweise Kieslingers' und an der Hand der sich dadurch bietenden Vorlagen im alten Stile wieder rekonstruieren.

Vor allem dürfen wir aber bei der Lösung dieser Frage nicht vergessen, daß wir das, was wir jetzt schaffen, vor der Nachweltwerden verantworten müssen. Der Zusammenbruch der letzten Jahre war vielweniger ein materieller, als vielmehr ein geistiger, ein kultureller. An Österreich, vor allem an Wien, ist es nun zu zeigen, daß hier im Herzen Europas die aus 'diesem Debakel geretteten Kulturgüter ihre Zuflucht-' statte gefunden haben und, soweit es von uns abhängt, von hier aus ein Neuaufbau dieser Kultur wieder vor sich gehen soll.

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