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Die Heiligkeit der Sexualität anerkennen

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Wenn wir die Aussage „Wir sind Kirche" ernst nehmen und uns jede und jeder einzelne als kleiner Mosaikstein in dieser Kirche angesprochen fühlen, so ist die Zeit reif, sich aus dieser daraus erwachsenden Verantwortung zu artikulieren. Das bedeutet für mich in Dialog treten, um Gemeinsamkeiten als gute Basis festzulegen und neue Wege zu suchen, wo es unterschiedliche Auffassungen gibt. Nur so kann das Auseinanderklaffen zwischen kirchlicher Lehre und Praxis des Lebens verhindert werden. Dies fordert die Bereitschaft zu Ehrlichkeit und Offenheit sowie zum Hören und Verstehen auf beiden Seiten.

Nur wenn der Dialog in diesem Sinne gelingt, kann Kirche glaubwürdig bleiben als eine Kirche, die sich ( der Tradition als positive Grundkraft verpflichtet fühlt, aber auch die Zeichen der Zeit erkennt, die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten versteht und nach neuen möglichen Lösungen sucht. Daß dieser Dialogprozeß in Form eines Herdenbriefes an die katholischen Bischöfe Österreichs Ausdruck findet, läßt viele Menschen Hoffnung schöpfen, daß durch Hören und Verstehen auch Schritte in Richtung Veränderung möglich werden.

Was mich Mut schöpfen läßt, ist die in diesem Rrief ausgedrückte positive Bejahung des Menschen in seiner Ganzheitlichkeit. In seinen vitalen Grundkräften von Eros und Sexualität, seinem Fühlen, Wollen und Denken, sowie seiner Kreativität, ausgerichtet auf ein Du. Diese Sichtweise schafft Baum, Leben in den unterschiedlichsten Beziehungen zu gestalten und zu entfalten.

Liebe - Eros - Sexualität sind ein Teil unseres Menschseins. Sie lassen die vom Schöpfungsplan gewollte Dualität von Männlichem und Weiblichem erkennen. Durch sie bekommen unsere Beziehungen eigene

Qualität in verschiedenen Schattierungen. Liebe - Eros - Sexualität sind Ausdruck von Lebensbejahung und Lebensfreude, sie verbinden Körper und Seele miteinander. Sie erzeugen fruchtbare Spannungen unterschiedlicher Intensität, die es in unser Denken und Handeln zu integrieren gilt. Da sich jedoch nicht alle dieser Prozesse im Bewußtsein abspielen und sich daher auch nur teilweise beeinflussen lassen, steht es niemandem zu, über unterschiedlich gestaltete Beziehungen zu richten und zu urteilen, so die Würde des Menschen dabei nicht verletzt wird. Liebe - Eros - Sexualität gewinnt

noch eine weitere Dimension, wenn sie über die Biographie der Liebenden hinausgeht und neues Leben schafft. Ein Kind zu bekommen, es zu umsorgen und auf seinem Weg zu begleiten ist eine große Bereicherung für das eigene Leben, aber auch mit Verzicht und ungeheurer Verantwortung verbunden. Nur aus dieser Bereitschaft heraus, diese bedingungslose Verantwortung übernehmen zu wollen, sollte dieser Schritt gesetzt werden.

Gegen kirchliche Machtansprüche

Wie kann der Bereich „Empfängnisregelung" in der heutigen Zeit noch zu einem sittlichen Problem von religiöser Bedeutung gemacht werden, wenn man diese Verantwortung ernst nimmt und gleichzeitig Eros und Sexualität als positive Grundkräfte, die zu einer gelungenen Beziehung beitragen, bejaht?

Einen weiteren Aspekt einer gelungenen Beziehung stellt für mich die grundsätzliche Gleichwertigkeit von Frau und Mann dar, die ich in der von Gott gewollten Dualität begründet sehe. Gelebte erotische und sexuelle Beziehungen sollten immer unter dieser Prämisse der Gleichwertigkeit beider Partner stehen. Die Formen erotischer und sexueller Zärtlichkeiten bedürfen bei Zugrundelegung von Partnerschaftlichkeit keiner Beglementierung einer Institution außerhalb dieser Beziehung. Auch die Fixierung bestimmter sexueller Zärtlichkeitsformen ausschließlich auf die eheliche Partner-

schaft ist als Eingriff in die persönliche Intimität und als Versuch moralischer institutioneller Machtansprüche abzulehen. Vielmehr sollte allen die Förderung und Unterstützung aller Ausdrucksformen sexueller Zuneigung in partnerschaftlichem Kontext ein elementares Anliegen sejn.

Wenn die Prämisse der Gleichwertigkeit von Frau und Mann bedingungslose Akzeptanz erfährt und als Bereicherung gesehen wird, fordert dies auch ein Umdenken bezüglich der Fragen des Priesteramtes für Frauen und des Eheverbotes für Weltpriester. Solange das Heilige und das Sexuelle als unvereinbare Gegensätze gesehen werden, kann kein Umdenken stattfinden.

Gerade in einer neuen positiven Sichtweise und Bewertung von Liebe - Eros - Sexualität sehe ich eine Chance, einen Umdenkprozeß in Gang zu bringen. Je mehr es uns gelingt, diese positive Sichtweise integrierter Sexualität auch zu leben, umso stärker wird die Kraft sein, die sich hinter diese Aussagen stellt.

Für mich läßt sich in diesem Herdenbrief das Bild einer Kirche mit menschlichen Zügen erkennen, die die Zeichen der Zeit erkennt, versteht, bevor sie Verbote aufstellt und die alle mit offenen Armen aufnimmt, statt sie zurückzuweisen; einer Kirche, die sich der Zukunft nicht verschließt, sondern frei und offen in die Zukunft geht!

Die Autorin ist

Volksschullehrerin in Wien und Mitorganisatorin des Studientages in der Lainzer Konzilsgedächtniskirche.

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