Die Heimat aller Wunder

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Ein Buch über den gewaltigen Einfluß Ägyptens auf Europa.

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Ein Buch über den gewaltigen Einfluß Ägyptens auf Europa.

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Napoleon zog 1798 aus, um Ägypten zu erobern. Militärisch scheiterte er, aber er hatte nicht nur Soldaten, sondern auch Gelehrte nach Ägypten mitgebracht. Deren Beobachtungen zur uralten Kultur, niedergelegt in einem vielbändigen Werk, weckte in Europa eine Ägypten-Begeisterung, die sich in der Musik, Literatur und bildenden Kunst niederschlug und bis heute nicht verschwunden ist.

Im Jahr 1822 entzifferte der Franzose Champollion die Hieroglyphen: Geburtsstunde der Ägyptologie. Diese Wissenschaft ist jedoch nur ein junger Zweig am uralten Baum der Ägyptendeutung. Schon in der Antike galt die Überzeugung, das Land am Nil sei die Quelle aller Weisheit, der Hort hermetischen Wissens. Das Schlüsselwort ist "hermetisch". Im heutigen Sprachgebrauch bedeutet es "dicht verschlossen". Abgeleitet ist es von "Hermes Trismegistus", der griechischen Bezeichnung für den ägyptischen Gott Thot. Dieser soll, so die Überlieferung, ein "Gottesbuch" geschrieben haben, in dem alle Weisheit der Welt vereint war. In der ägyptischen Spätzeit wurde dieser Gott auch als Herr alles Geheimen, Magischen verehrt. Vom ersten Jahrhundert vor bis zum vierten Jahrhundert nach Christus entstanden in Ägypten Texte in griechischer Sprache, die angeblich die Weisheit des Thot, den die Griechen "Trismegistos", also den "Dreimalgrößten" nannten, enthielten. Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk bezeichnete dieseTexte als "Geheimpapiere des Weltgeistes". (Das "Corpus Hermeticum" gibt es auch auf deutsch.)

Jetzt hat sich ein hoch angesehener Ägyptologe daran gemacht, die Wirkung dieses geheimen ägyptischen Wissens auf das Abendland - und zwar bis in die Gegenwart - zu verfolgen. Sein Buch "Das esoterische Ägypten" ist durchaus seriös und liest sich trotzdem spannend wie ein Krimi. Erik Hornung, Ordinarius für Ägyptologie an der Universität Basel, überwindet die Berührungsängste, die dieÄgyptologen bisher gegenüber dieser "Ägyptosophie" hatten, indem er einen wichtigen Umstand anerkennt: "Hier handelt es sich um einen Hunger nach verborgenem Wissen und nach tiefer liegenden Zusammenhängen, der von der Wissenschaft nicht gestillt wird und insofern völlig legitim ist." Ein ernst zu nehmender Fachmann gibt hier also zu, dass Esoterik (Geheimwissen) von der Wissenschaft bisher ignoriert wurde, während sie im öffentlichen Leben allgegenwärtig ist. Es gibt Esoterik-Messen, Esoterik-Vorträge und -Ausstellungen, Esoterik-Buchhandlungen.

Das gerade heute Geheimwissen so große Anziehungskraft besitzt, erscheint verständlich. Viele Menschen fühlen sich von den rasanten technischen Veränderungen überfordert. Man sehnt sich nach Erkenntnissen, die über den Tag hinaus gültig sind. Religionen mit starren Vorschriften und mit ihrer Kopflastigkeit befriedigen die Sehnsucht nach Geborgenheit oft nicht mehr.

Erik Hornung hat Erstaunliches zutage gefördert. Schon den griechischen Philosophen wurden Aufenthalte in Ägypten angedichtet. Solon, Platon, Pythagoras, Demokrit, ja schon Homer hätten ihre Weisheit durch die Begegnung mit weisen ägyptischen Priestern gewonnen. Nach der Eroberung Ägyptens durch die Römer holten sich römische Kaiser ägyptische Astrologen an ihren Hof. Ägyptische Astrologie wurde nachweislich noch von den Renaissancefürsten in Italien und bei den Abbassiden in Bagdad gepflegt. Bis heute ist in Frankreich eine spezielle "astrologie egyptienne" gebräuchlich, die mit ägyptischen Gottheiten statt mit Tierkreiszeichen arbeitet. Ägyptische Alchemie gelangte über die Araber nach Europa Selbst der deutsche Philosoph Martin Heidegger greift auf eine altägyptische Vorstellung zurück, wenn er von der "Geworfenheit" des Daseins spricht. Alle Zauberkünstler berufen sich auf Ägypten. Schon im Alten Testament erscheint Ägypten als Land des Zaubers und der Magie, ebenso im Koran. Ein letzter Ausläufer altägyptischen Zauberwesens ist der moderne Glaube an den "Fluch der Pharaonen", der die Grabräuber ereilt: Als Lord Carnavon 1923, kurz nach der Entdeckung des Tutanchamun-Grabes starb, glaubten viele nicht an einen natürlichen Tod.

Hornung verfolgt die Ausbreitung ägyptischer Kulte, die Hunderte von Isis- und Osiris-Tempeln außerhalb Ägyptens hervorbrachte. Er zeigt, wie tief das Christentum Ägypten verpflichtet ist und wie in der Renaissance eine Hieroglyphen-Leidenschaft entstand. Der Architekt Leon Battista Alberti schuf neue Hieroglyphen für Schaumünzen und lenkte so den Blick auf die Schönheit dieser Zeichen. Der Jesuit Athanasius Kircher (1602-1680) entwarf eine Obeliskeninschrift für Kaiser Ferdinand II., in welcher er altägyptische Zeichen und freie Erfindungen bunt zusammenmischte. Der Kaiser sollte als "Osiris Austriacus" verherrlicht werden.

Die Affinität der Freimaurer zu altägyptischer Weisheit ist seit Mozarts "Zauberflöte" wohl bekannt. Selbst in der Neuen Welt - George Washington, Thomas Jefferson, Benjamin Franklin waren Freimaurer - zeigte sich der ägyptische Einfluss im ägyptischen Stil vieler Logenräume, in der Architektur wie in der Dekoration. Hornung berichtet von den Bemühungen während der Französischen Revolution, eine Verbindung der Göttin Isis mit dem Namen Paris herzustellen. Seit dem 17. Jahrhundert waren "Dörrleichen" (Mumien) ein faszinierendes Mitbringsel. Das wohl berühmteste "Opfer" der Wiederbelebung der antiken Mumifizierungspraxis ist Lenin.

Die Sphinx ist das Markenzeichen aller Esoterik, geradezu ein europäisches Haustier. Mittlerweile erhält man auch im Internet praktische Anleitungen, um mit ägyptischen Gottheiten in Kontakt zu treten. Und die Politik mischt auch mit. An vielen US-Colleges wird gelehrt, das alte Ägypten sei die erste schwarzafrikanische Kultur gewesen, weshalb alle Weisheit aus Afrika stamme.

Das esoterische Ägypten. Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluss auf das Abendland. Von Erik Hornung. C. H. Beck Verlag, München 1999. 232 Seiten, geb., öS 350,- /e 25,44

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