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Die „Judenfrage” und viele komplexe Antworten

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In der Doppeldeutigkeit des Ausstel lungstitels „Juden-Fragen” kommt jene jüdische Eigenart zum Ausdruck, sich selbst und andere zu befragen und im Wechselspiel von Frage und Antwort einen Sachverhalt zu klären, wie dies gerade im Talmud ein zentrales Element ist. Im übrigen wurde die „Judenfrage” von den Gegnern einer Judenemanzipation in der ersten Häufte des 19. Jahrhunderts aufgebracht, angeblich, um eine grundsätzliche Lösung für das Zusammenleben mit den immer mehr zur Bedrohung stilisierten Juden zu suchen. Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandene antisemitische Bewegung verschärfte die Polarisierung und bereitete so den Boden für Hitlers „Endlösung der Judenfrage”.

Theodor Herzls 1896 in Wien erschienene Publikation „Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage” - eine kleine Broschüre mit großer Wirkung - liefert mit ihrem Hundertjahrjubiläum den Aufhänger für die Schau des Jüdischen Museums, die aber den Bogen weit über diesen Anlaß hinaus schlägt. Herzls „Judenstaat” und der politische Zionismus waren ja nur eine Antwort auf die damalige Frage nach jüdischer Identität, nach dem „Wie als Jude leben?”

Neben den Schritten zur Realisierung dieser Utopie werden in der Schau auch die Spuren der komplexen historischen Situation aufgezeigt, die schließlich in die Gründung des Staates Israel mündete. Auch die Legende Herzl, und die Frage, was israelische Staatsidentität heute mit Herzl zu tun hat, werden dabei nicht ausgeklammert.

Der Absicht, dem Zionismus aus historischem Abstand den entsprechenden Platz zuzuweisen und ihn anderen Antworten religiöser, politischer oder auch individueller Natur gegenüberzustellen, entspricht auch der Untertitel:

„Jüdische Positionen von Assimilation bis Zionismus”. Zum Teil handelt es sich dabei um höchst gegensätzliche Positionen, die zu Ende des 19. Jahrhunderts gedacht und gelebt wurden.

Die gesellschaftlichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts hatten auch die Zugangschancen der Juden im wirtschaftlichen und sozialen Leben erhöht, dadurch war aber auch der Druck und das Angebot zur Assimilation gewachsen und Juden waren mehr und mehr vor das Problem gestellt, ihre religiöse Identität, ihr „Judesein”, neu definieren zu müssen. Wie in der pluralistischen Gesellschaft von heute Glaubenszugehörigkeit im allgemeinen kaum mehr iden-titätsstiftende Kraft hat, sondern jeder für sich persönlich die für seine Identität maßgebenden religiösen Akzente selbst setzt, so muß heute erst recht jüdische Identität von jedem individuell gefunden werden.

Zu Zeiten Herzls glaubte ein Teil der Juden in der Aufhebung der Einheitlichkeit von Religion und Volkszugehörigkeit eine Lösung zu sehen. Es gab einerseits den Rückzug auf den reinen Konfessionalismus, den beispielsweise die Rothschilds vertraten („Ich bin jüdisch von meiner Religion her, aber sonst hat das nichts mit meinem Leben zu tun!”). Anderseits verschärfte sich durch die jüdische Aufklärung die Hinwendung zu einem nationalen Judentum, zum Zionismus. Die sogenannten Kulturzionisten wiederum stellten keine politischen oder territorialen Ansprüche, sondern strebten lediglich ein geistig-kulturelles Zentrum an. Nationaljüdische Parteien entstanden, mit dem Wunsch nach entsprechender politischer Repräsentanz in den herrschenden Gremien, es existierte aber auch eine jüdische Anhängerschaft in den deutschnationalen Parteien. Praktisch und theoretisch engagierten sich auch viele Juden in der sozialdemokratischen oder in der kommunistischen Bewegung, hofften sie doch, die gesamte gesellschaftspolitische Situation dadurch zu verändern.

Den Prolog der Ausstellung bildet die bei den osteuropäischen Juden viel stärker verankerte religiöse Dimension des Zionismus zur Zeit Herzls, nämlich die Sehnsucht nach der Wiederkunft des Messias und der Wiederherstellung der alten göttlichen Ordnung.

Heute beeinflußt die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis in sehr starkem Ausmaß die Suche nach der kollektiven und individuellen Identität. Besonders in den USA und in Israel ist eine solche

Post-Schoa-Identität auch bei den Nachgeborenen anzutreffen. Sei es, daß sie ein Kulturjudentum vertreten und nur den kulturellen Hintergrund pflegen, aber mit religiösen Belangen nichts zu tun haben wollen, sei es, daß sie Atheisten sind. Diese Versuche, ein säkulares Judentum neu zu definieren, gehen auf die letzten zwanzig Jahre zurück.

Anhand von Beispielen wird der Besucher mit einer Vielfalt von jüdischen Identitätsmöglichkeiten konfrontiert. Ein eigener Abschnitt ist der „Israelischen Identität in der Kunst” gewidmet, sowohl der „nationalen” jüdischen Kunst der Jahrhundertwende als auch der Kunst nach der Schoa.

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