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Digital In Arbeit

Die Kamera hat ein Gesicht

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ag erinnern.

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Ein Auto ist zunächst nichts anderes als ein Gestell mit vier Rädern, zwei davon lenkbar, auf dem irgendwo ein Motor sitzt, der dieses Gestell zum Fahren bringen soll. Und irgendwo ist da noch ein Loch mit einem Blechkasten dahinter — durch das Loch schüttet man Benzin in den Kasten, wodurch auch die Futterfrage ihre zulängliche Lösung gefunden hat. Alles andere gehört nicht mehr so wesentlich zu dem Ding, das „Auto“ heißt, und das auch jetzt schon fahren könnte, ohne Sitze, ohne Fenster, ohne Windschutzscheibe, Scheibenwischer, Klimaanlage, Aschenbecher, Scheinwerfer, Reserverad, Stoffpuppen und sonstige Maskottchen.

Und obwohl die aufgezählten Accessoires nichts zum Wesen des Autos beitragen, sind heutzutage gerade sie es, die darüber entscheiden, ob eine Automarke gekauft oder abgelehnt wird. Das Gestell mit dem Motor aber liegt im Dunkeln, versteckt hinter der Karosse, und wird erst dann besehen, wenn das Auto einmal krank ist und zum Doktor muß. Vorher tut man so, als wäre es gar ni,cht da und als wären der äußere Glanz und die Uebermorgig- keit der äußeren Fratze das Wichtigste.

Bei Photoapparaten ist das anders. Obzwar es immer schon mehr Photoapparate gegeben hat als Autos, hat man da bis jetzt doch nicht die gleiche grobe Unsitte einreißen lassen, Aeußer- lichkeiten um des lieben Umsatzes willen über den inneren Wert zu stellen. Ich sage ausdrücklich „bis jetzt“, denn gewisse Anzeichen deuten darauf hin, daß das in Zukunft vielleicht doch noch so wird.

Allerdings — ganz so arg kann es nicht werden. Das Auto hält sein Wesen nämlich verborgen, die Kamera aber trägt es offen zur Schau. Und eben aus diesem scheinbar kleinen Unterschied im Eigentlichen ergeben sich ge waltige Unterschiede bei der weiteren Behandlung.

Ein Auto ist zum Fahren da, eine Kamera zum Sehen. Also ist die Kamera ein Organ, abgelauscht der Natur und ihr nachgebildet. Das Auto hat kein natürliches Vorbild, vor der Kamera aber war das Auge. Und damit dieses seinem Sinn gemäß funktioniere, ist es so und nicht anders konstruiert und genau an der Stelle angebracht, an der es eben sitzt.

Ein Auge hat: eine verstellbare Linse, die das Licht sammelt und nach hinten weitergibt, wo es auf eine Haut mit vielen Nervenenden fällt und dort ein Bild erzeugt, das mittels des Gehirns in unser Bewußtsein gejangt und dort seine sinnfällige Bedeutung erfänrt. Damit das Äuge durch die allgemeinen Blendereien heutzutage nicht zu sehr strapaziert wird, ist auch noch eine Iris da, die den Lichteinfall reguliert. Und können wir schon gar nicht mehr hinsehen, so schließen wir die Lider und haben unsere Ruhe.

Eine Kamera hat: eine verstellbare Linse, die das Licht sammelt und nach hinten weitergibt, wo es auf eine Haut aus vielen winzigen Bromsilbermolekülen fällt und auf diesem Film ein Bild erzeugt, das wir nachher in der Hand halten können, und das uns und unsere Lieben auch dann noch erfreut, wenn wir allesamt schon alt und grau geworden sind und unsere Kamera schon längst dem Enkelkind geschenkt haben. — Statt einer Iris gibt es eine Blende und statt der Lider den Verschluß.

Eine ganze Menge Parallelen also, die wichtigste aber ist die Weltoffenheit der beiden Organe, und die bestimmt beider Gestalt und läßt sie einander ähnlich sein.

Ueberall, wo eine neue Erfindung gemacht wird, beschränkt man sich auf die Wesentlichkeit. Das erste Automobil war dem beschriebenen Fahrgestell viel ähnlicher als einem heutigen Auto. In einem Photoapparat von heute aber läßt sich noch immer die Urform, die erste Camera obscura mit Leichtigkeit erkennen. Hier ist ein Verfall in Unwesentlichkeiten bedeutend schwieriger gewesen, und das eben durch die stärkere Eindeutigkeit der Funktion. — Ein Auto ist nicht nur ein Fahrzeug, es ist auch Wohnung, Liebeslaube und Prestige. Eine Kamera ist nichts als ein Bilderspeicher, und nur im schlimmsten Falle Prestige.

Und dennoch gibt es heute Tausende von Kameramodellen auf dem Markt? Ja, aber sie sehen alle aus wie eine Kamera. Ein Auto aber kann aussehen wie eine Kolatsche, eine Kartoffel, ein Torpedo, ein Kasten, ein Frosch, und nur selten sieht es aus, wie ein Auto auszusehen hat, bei dem es mit rechten Dingen zugeht. (Steinberg hat das sehr hübsch illustriert, an Kameras hat er sich hingegen noch immer nicht vergriffen, weil das eben nicht möglich ist.)

Beschränken sich nun die Kamerakonstrukteure wirklich nur und ganz und gar auf den funktionsgerechten Zusammenbau der einzelnen Teile und lassen sie dabei jedes ästhetische Moment außer acht? Sie tun dies mitnichten, denn sie haben trotz aller Beschränkung, die ihnen die Forderung auf erlegt: „Mach eine gute

Kamera und sonst nichts“, doch noch genug Freiheit der Wahl: sie können zumindest die Kanten am Modell abschleifen, Teile verchromen und andere mit Leder tapezieren, sie können dazu schwarzes Leder nehmen oder rotes oder grünes oder sie nehmen überhaupt farbigen Kunststoff und lassen das Blech beiseite.

Daß Schwarz nicht unbedingt die Farbe der Photographie zu sein braucht, darauf ist man schon gekommen, noch bevor unsere Innen- und Außenarchitekten die Pastellfarben entdeckt haben. Hundert Jahre lang waren die Kameragehäuse innen und außen schwarz — nicht, weil das Photographieren eine so ernste Sache ist, aber man dachte: Schwarz ist eine Farbe, die kein Licht reflektiert, und sollte irgendwo in die Kamera einmal Licht fallen, außer durch das Objektiv, so würde das dem Film weniger schaden, da es eben dann keine Reflexe gäbe. Doch weil das Schwarz der Kameras kein absolutes Schwarz ist, sondern immer noch genug auftreffendes Licht zurückwirft, so war im Falle einer Undichte der Film trotzdem verschleiert. So baut man heute also dichte Kameras und schmückt die bessere Qualität mit bunten Farben.

Außer bei den Farben gibt es im Photoapparatebau natürlich auch noch andere Freiheiten der Formgebung, aber diese sind begrenzt durch die einzelnen Funktionen, .die eintt Kamera aufweist. Ganz allgemein nennt man die ästhetische Gestaltung eines Gebrauchsgegenstandes im Hinblick auf seinen Zweck „Designing“, was eigentlich nichts anderes heißt, als „Entwurf“. Also eine sehr bescheidene Benennung für einen Vorgang, der den alltäglichsten Dingen mitunter nicht nur ein Gesicht, sondern manchmal auch ein Antlitz gibt.

Beim „Styling“, beim „Stilisieren“, hingegen wird dieses Gesicht zur Fratze, zur Karikatur. („Styling“ ist, wenn man ein Radiogehäuse äro- dynamisch gestaltet, weil eben die Stromlinie gerade in der Luft liegt und modern ist. Der Kasten steht nun da, bewegt sich nicht, denn dafür ist er ja nicht geschaffen, und nach einem Jahr und inmitten einer anderen Mode ist er nur noch ein trauriges Monstrum, über das man bloß mitleidig lachen kann. Recht geschieht ihm und seinem Besitzer — wer mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.)

Auch bei den Kameras findet man beides, das Gestalten und das Mißgestalten. Hier sind es vornehmlich die billigen Kameras, die durch eine barocke Formgebung über ihre innere Billigkeit hinwegtäuschen wollen. So gibt es um ein-, zweihundert Schilling Kameras, die wie kleine Taschenradios aussehen oder wie eine Bombe oder wie ein Schwerhörigenapparat; daß sie nebenbei auch noch ein bißchen photographieren können, so zur Not, will man ihnen auf ihr falsches Wort hin eigentlich gar nicht recht glauben.

Und auf der anderen Seite stehen die Präzisionsinstrumente. Entsprechend teuer, haben sie auch genug Fähigkeiten aufzuweisen. Und weil eben für jede einzelne Fähigkeit mindestens zehn Schräubchen und zwanzig Rädchen ihren Platz brauchen, kann der Entwerfer gar nicht erst in die Versuchung geraten, aus seiner Konstruktion ein mehrdeutiges Zigarettenetui zu machen. Die innere Notwendigkeit prägt hier die äußere Gestalt, und das ist nicht nur gut, das ist auch schön.

Warum man sich nicht überhaupt mit dem bloßen funktionsgerechten Gestalten begnügt? Der Pfau schlägt sein Rad, und jeder weiß, weshalb er das tut — es ist eine Werbung für den Gegenstand mit billigen Mitteln. Dem Pfau kostet es überhaupt nichts, den Entwerfern von Autokarosserien nur wenig. Aber die Umsatzfreudigkeit unseres Jahrhunderts droht den Slogan: „Jedes Jahr ein neues Auto“, auch auf andere Gebiete auszudehnen, und so kann es geschehen, daß in einigen Jahren die Unsitten des „Stylings“ und des Karosserienbauens auch auf die teuren Kameras übergreifen.

Glücklicherweise aber ist es noch nicht so Veit,. .Glücklicherweise, sieht eine gute Kamera heute noch aus wie eine gute Kamera, und so bleibt uns nur die Hoffnung, daß sich die bewährte Idee vom ehrlichen Gesicht noch möglichst lange erhält.

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