Die Kuckuckskinder im Kosovo

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"Es sind die Kinder, die unter der zwangsweisen Rückführung am stärksten leiden“, sagt Thomas Hammarberg, der Menschenrechtskommissar des Europarats. "Sie alle sind in Deutschland aufgewachsen, viele von ihnen sind dort geboren und sprechen außer Deutsch keine andere Sprache. Sie werden in ein Land geschickt, das die meisten von ihnen nicht kennen, und dessen Sprache sie nicht beherrschen.“ Kinder aus Roma-Familien, die in den kommenden Jahren in den Kosovo abgeschoben werden sollen, haben dort kaum eine Perspektive auf Schulbildung, gesellschaftliche Integration oder gesundheitliche Versorgung. Diesen tristen Befund ergab eine Studie des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) aus dem Sommer 2010. Ein internationales Team hatte dazu mehr als 40 Roma-Familien interviewt, die aus Deutschland rückgeführt wurden und sammelte erschreckende Daten: Drei von vier Kindern, die aus Deutschland in den Kosovo geschickt wurden, gingen nicht mehr in die Schule - weil sich die Familien den Schulbesuch nicht leisten konnten, die Kinder die Sprache nicht verstanden oder die Zeugnisse aus Deutschland fehlten. Viele wohnten in Wellblechhütten, einige in Flüchtlingslagern. Und über 40 Prozent der Kinder, die nach dem Krieg im Ausland gelebt haben, sind im Kosovo nicht registriert und haben daher keine Ausweispapiere. Die UNICEF-Studie zeigte, wie schmerzhaft die Rückführung für Kinder ist, die den Großteil oder sogar ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben. Für sie ist die "Heimkehr“ in ein fremdes Land, dessen Sprache sie nicht beherrschen, nicht nur einen Kulturschock und Identitätsverlust, sondern auch das faktische Ende jeder Chance auf ein normales Leben.

Warnung des Europarats

In Deutschland erregte die Studie im Vorjahr großes Aufsehen. Einige Bundesländer stellten die Abschiebung von Roma-Kindern ein. Der Europarat forderte einen Abschiebe-Stopp von Roma in den Kosovo. Und in Österreich? Hierzulande fühlte sich niemand angesprochen. Dabei wurden - und werden - auch aus Österreich Roma-Familien in den Kosovo abgeschoben. Im Jahr 2010 wurden insgesamt 888 Menschen rückgeführt, großteils unfreiwillig. Etwa 13 Prozent von ihnen gehörten zur Minderheit der Roma. Auch wenn das Hauptaugenmerk der UNICEF-Studie auf Deutschland liegt, gibt es keinen Grund zur Annahme, dass die Lebensbedingungen von Roma-Kindern, die aus Österreich rückgeführt wurden, besser sind.

Im August 2011, veröffentlichte UNICEF nun eine Folgestudie. Das Ergebnis ist ebenso ernüchternd wie im Vorjahr: Immer noch besuchen drei Viertel der rückgeführten Roma-Kinder keine Schule im Kosovo. In einem Reintegrationsplan zugesagte Unterstützungen bei Unterkunft und Einkommen blieben nichts als papierene Versprechen. Die Lebensumstände von vielen Familien haben sich sogar weiter verschlechtert. (dol)

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