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Die Künstler trafen den Nerv ihrer Zeit

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Mit dem Glauben an Entwicklung der Schaffenden wie der Genießenden rufen wir alle Jugend zusammen und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.”

Mit diesem Aufruf fanden sich 1904 in Dresden drei Architekturstudenten der Technischen Hochschule zusammen: Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff. Das anfangs zitierte Manifest bezeichnet die Position der neuen Gruppe als Teil einer allgemeinen Entwicklung, eines allgemeinen Aufbruchs. Auffallend ist, daß in dem

„Gründungsmanifest” der Künstlergruppe „Die Brücke” von Kunst nicht die Rede ist, viel aber von dem brennenden Wunsch nach Erneuerung, Widerstand gegen Traditionen und Bekenntnis zur subjektiven und emotionellen Schaffensweise.

Erregt durch die Unruhe der Zeit, durch Ähnungen großer gesellschaftlicher Zusammenbrüche und gleichzeitig getragen von Zukunftsvisionen eines neuen Menschheitszustandes verstanden sich die Künstler als Sprachorgan und wählten als Ausdrucksmittel die Malerei. Außer ihrem Interesse an künstlerischen Fragestellungen und dem Zeichenunterricht an der Hochschule fehlte ihnen eine sachliche Voraussetzung zur Bewältigung der Aufgaben, die sie zu lösen gedachten — ein ebenso problematischer wie ungewöhnlicher Zustand.

Persönliche Bereitschaft, Sendungsbewußtsein und die Kraft der

Gemeinschaft gaben ihrer Suche Richtung und Dynamik. Sie mieteten ein gemeinsames Atelier in der Dresdner Vorstadt, lebten, arbeiteten, verreisten zusammen und inszenierten einen neuen Lebensstil - durchtränkt von leidenschaftlicher Aggressivität gegen das Unwahre, Unechte, Traditionelle, Bürgerliche und dem Wunsch nach einer Einheit von Kunst und Leben. Ein solches Sendungsbewußtsein ist eine Gratwanderung, die im Selbstverständnis eine neue geistige Elite zu sein, bisweilen überschritten wurde.

Die Frühzeit der „Brücke” war von idealistischen und romantischen. Vorstellungen durchwirkt. Im direkten Angehen der Natur und der Dinge sollten neue menschliche Bezüge geknüpft werden, Expression aus der unvermittelten Ansprache des Seins gewonnen werden. Schöner Dekoration und Verschleierung durch bildnerische Schein Wirklichkeit sollte entgegengewirkt werden. Malerei wurde als rein physischer Akt, als revolutionäre Aktion, an der Grenze zum Ungeordneten, verstanden. Die Farbe, von ihrer gegenstandsbezeichnenden Funktion ohnehin schon losgelöst, tendierte zur Verselbständigung als rhythmisierende Form und Ausdrucksträger: Farbe machte sichtbar und legte frei. Der optische Zusammenhang mit der Außenwelt wurde zerstört, die unnaturalistischen Farben stellten nicht mehr, dar, sie wirkten, rührten an emotionellen Tiefen.

Im Jahr 1911, als die expressionistischen Tendenzen sich in Deutschland nach und nach durchsetzten und Berlin spannungsgeladene Metropole für Künstler, Musiker und Literaten wurde, übersiedelten auch die

„Brücke”-Künstler in die Hauptstadt. Die Aufbruchsstimmung und das offene geistige Klima standen in auffallendem Gegensatz zur Engstirnigkeit und dem Konservativismus bestimmter bürgerlicher Schichten. Die aufgebrachten Reaktionen und Kritiken zeigten, wie sehr die Künstler „den Nerv der Zeit” trafen. Und wie immer in solchen Situationen wurde den kritisierten Werken von bestimmten Kreisen ihr „Kunst-Sein” abgesprochen. Von „greulichen Schmierereien” war die Rede, und „man fragt sich, ist es denn möglich, daß noch schlimmeres Zeug ■ gemalt werden kann, das für eine solche Gesellschaft unwürdig erklärt werden muß?”

Unbeirrt davon arbeiteten die „Brücke” -Künstler weiter an der Verdichtung der persönlichen Empfindung, am Ausdruck des Innenbildes, das die Welt der sichtbaren Erscheinungen im Künstler provoziert. Die Hektik und das „Unnatürliche” des Stadtlebens verschoben die Blickrichtung und sensibilisierten die Künstler für das Kranke, Böse, Abartige, das Erotische und Krisenhafte städtischer

Lebensformen und deren Schattenseiten. In ihren Bildern verdichteten die Künstler die gewonnenen Eindrücke zu Symbolen von gleichnishafter Kraft und bezeichneten so die existentielle Lage der Stadt schlechthin.

Die einzelnen Künstler fanden immer mehr ihre persönlichen Ausdruckmöglichkeiten, die immer stärker hervortretende Individualität ließ die Gemeinschaft 1913 an einer an sich belanglosen Auseinandersetzung über die Abfassung einer „Brücke-Chronik” zerbrechen. Jedoch war es wohl mehr die natürliche Folge einer menschlichen und künstlerischen Entwicklung als die Kontroverse um Formulierungen. War die enge Gemeinschaft in den frühen Jahren inspirierend, trug sie in der Folge eher dazu bei, die weitere individuelle Entfaltung zu beeinträchtigen.

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