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DIE KUNST GUSTAV KLIMTS

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Kurz vor der Jahrhundertwende — mit der in Österreich die Wendung zu dem, was wir immer noch die „moderne Kunst“ nennen, zusammenfiel — beauftragte der Wiener Mäzen Nikolaus Dumba Gustav Klimt mit der Ausstattung eines Musiksalons in seinem Palais auf dem Parkring. Klimt entwarf eine Gliederung der Wanddekoration und malte zwei große Supraportenbilder, „Schubert am Klavier“ und „Die Musik“. Man darf von einer Schlüsselstellung dieser beiden Werke in der Entwicklung der Kunst Klimts sprechen, zumindest insoweit, als sie einen klaren Einblick in etwas Erstrebtes und Erreichtes, aber auch in das noch Kommende gewähren.

„Schubert am Klavier“ ist ein Genrebild, in der endgültigen Fassung eine historische Genreszene. Ob und wieweit der thematische Einfall dem Auftraggeber, der ein Schubert- Enthusiast war, zuzuschreiben ist, bleibt ungewiß. In den erhaltenen Vorstudien, einer gemalten und einigen gezeichneten, ist als Klavierspieler noch nicht Schubert dargestellt. In der Schlußfassung benützte Klimt offensichtlich für das Porträt des Komponisten das bekannte Aquarell Leopold Kupelwiesers vom Jahre 1821: „Gesellschaftsspiel der Schubertianer in Atzenbrugg“; dieses Aquarell war damals im Besitz Dum- bas und befand sich in jenem Musiksalon. Das Schubert-Bildnis in der Supraporte sollte auf diese Weise, mit einem zeitgenössischen Porträt als Vorlage, seinerseits möglichst porträtgetreu sein, und tatsächlich wirkt es mit seiner Präzision als ein überzeugend naturnahes Bildnis. Keines der anderen Gesichter in dem Bild ist in gleichem Grad naturalistisch. Diese Eigentümlichkeit, im Grunde verwunderlich, da sie doch die Einheit des Bildes stören könnte, ist für die Kunst Klimts überhaupt bezeichnend geblieben. Man übersieht sie hier aber leicht, denn weit stärker — und stärker als in manchen seiner späteren Werke — wirkt die einigende Kraft der Form, der kompositioneilen Anlage und aller Eigenheiten des Vortrags der malerischen Struktur. Zwar ist das eine „sanfte Gewalt“, aber ihre Mittel liegen klar und offen zutage, trotz einer raffinierten Verschleierung. Dieses Verhüllende, ein behutsamer, flimmernder Farbauftrag, dient zugleich einem illusionistischen Effekt, dem zarten, warmen Schein des Kerzenlichts in dem Biedermeiersalon, gehört also zur selben Kategorie wie der Naturalismus in dem Musikerporträt, nur ist dieses Licht nicht vom gleichen Grad an Naturalismus. Das aber, was verhüllt wird, ist ein strenges Gefüge der Figurenkomposition und des Bildraumes. Es ist eine Architektonik der Komposition, die durchgehend fest an das Bildrechteck gebunden ist, deren ästhetischer Gehalt ohne die Proportion dieses Bildrechtecks gar nicht erfaßt werden kann — ein Extremfall dessen, was man mit einem unbefriedigenden Wort „dekorativen" Bildaufbau zu nennen pflegt. In aller Deutlichkeit wird hier das Gesetz der flächenhaften Bindung, das Postulat der Bildebene offenbar, das für die reife Kunst Klimts, wie für allen „Jugendstil“, bestim- njend war. Es bestimmt hier, in der Schubert-Supraporte, nicht allein die kompositioneile Anlage im großen, sondern ist auch in einzelnen Bildteilen wirksam, wie in dem Stück, das von dem Klavier sichtbar ist: in der senkrechten Verkürzung wird die helle Tastatur zu einem Rechteck, das von einem dunklen Block umfaßt ist, und das ergibt etwas wie ein Ornament kleinerer Ordnung innerhalb des größeren dekorativen Bildgerüstes.

Alle hier flüchtig aufgezählten Eigenheiten der Form dieses Bildes: die Strenge des Gefüges im Flächenaufbau wie ihre Milderung, die Beziehungen zwischen Fläche und Raumillusion, ihre Einfachheit wie ihr Raffinement, die Abstufungen im Grad des Naturalismus, dais Verhältnis der kleinen Teile zu den großen Einheiten — dies alles, und natürlich auch noch anderes mehr in der Sphäre der formalen Gestaltung, sind bleibende Merkmale der entwickelten Kunst Klimts, sie sind, was auch immer in der Folge noch hinzukam, was sich in ihr noch ereignete, bereits mehr als nur ein Auftakt.

Aber es ist nicht allein von den formalen Mitteln des Bildes zu reden, sondern von der Bildidee, der sie dienen, dem Bildgehalt, den sie aussprechen. Wir sind gedrängt und berechtigt zu fragen, wie hier das gegebene Thema veranschaulicht ist, konkret also: welche Art von Realität enthält diese Szene „Schubert am Klavier“? Kein Zweifel jedenfalls, daß von einem gewissen Grad an Naturalismus der Darstellung gesprochen werden darf, so wenig wie daran, daß das Bild etwas von einer freundlichen Vision an sich hat. Die Szene enthält den poetisch verklärten Realismus einer „historischen Miniatur“, die einen großen Augenblick der Wiener Geistesgeschichte festhält. Wir dürfen des weiteren und noch konkreter fragen: Ist etwas vom Geist der Musik Schuberts in dieser Szene gefaßt? Wäre es so, dann wäre damit die höchste Forderung erfüllt, die der Maler sich mit diesem „Historienbild“ stellen konnte. Man wird da von vornherein skeptisch sein. Eine Malerei wie die Klimts mit ihrem Silhouettenbau und dem zart verschleierten Linienfluß hat zwar ein allgemein „musikalisches“ Element in sich, und dieses Bild im besonderen weist an einer entscheidenden Stelle der Bildarchitektur eine der klarsten, wirkungsvollsten unter den vielen „musikalischen“ Linien Klimts auf: die Rückenkurve der Gestalt Schuberts. Aber auch diese Linienkunst mit all ihrem Gefühlsausdruck steht, wenn man sie in eine Beziehung zur Musik Schuberts bringt, wie ein Begrenztes dem Grenzenlosen gegenüber.

Ein Vergleich des Ausdrucks der Form in Malerei und Musik führt eben hier in der Regel doch nur zu verschwommenen Parallelen, nicht anders als ein Vergleich Schuberts mit Schwind, dessen Zeichenkunst als einzige für einen angemessenen Vergleich in Betracht kommt. Zu weit stehen die Bereiche der Form in den beiden Künsten mit ihren Gesetzen und Wirkungen voneinander ab. Es könnte eine Nähe des Geistigen auch nur im Nacherleben bestehen. Man darf hier von einer solchen Nähe in einem gewissen Sinn sprechen, sie liegt freilich in einer anderen Sphäre, zum Teil im Gegenständlichen der Szene. Die Supraporte hat etwas von der Eleganz und dem Gepflegten an sich, das unter verschiedenen Titeln, vor allem mit dem Schlagwort vom „Kunstgewerblichen“‘, immer wieder der Kunst Klimts zum Vorwurf gemacht wurde. Dieser Zug zum Eleganten und Gepflegten ist gewiß etwas, das zum Wesen Schuberts am allerwenigsten stimmt. Es gibt aber in der Kunst Klimts auch ein starkes Gegenelement: das Natürliche, Naturhafte, das am reichsten und reinsten in seinen Bleistiftzeichnungen auftritt, und in seiner Malerei in den Spätwerken und in einer kleinen Gruppe früher Bilder, deren eines die Schubert-Supraporte ist. Es ermöglichte in einzelnen Bildern der späteren Jahre des Malers eine Tragik, die nicht das Symbol und den Gedanken brauchte — wie das Bild „Mutter mit Kindern“ — und in den früheren Bildern die vielberufene melancholische Weichheit. Da kann man sich wohl an eine Eigenschaft der Musik Schuberts erinnert fühlen, an das unablässig strömende Naturgefühl einer anima Candida auch in der vollkommen musikalischen Form: Nicht mehr von Schubert enthält Klimts Bild, und mehr wäre auch schwer denkbar. Es ist nicht so wenig angesichts der Schwierigkeit der Aufgabe, ein „modernes“ Schubert-Büd zu malen, und es ist sogar viel, wenn man bedenkt, wie wenig, im Vergleich mit verwandten Bildern des 19. Jahrhunderts, Klimt auf die Anekdote angewiesen war, in wie zarten Tönen er die Anekdote erzählte. Er wich dabei dem Historisieren aus und ging so weit, daß er für die Kostüme und Frisuren der Mädchen in seinem Bild ein ungewisses Mittelding zwischen Biedermeier- und Jugendstilmode wählte. Alles in allem war es ein glücklicher Augenblick, in dem dieses Bild entstand. Hermann Bahr mag mit seinem schwärmerischen Superlativ, es sei „das schönste Bild, das jemals ein Österreicher gemalt hat“, jenen Hauch vom Geiste Schuberts gemeint haben, der aus dem Gemälde mehr machte als ein äußerliches historisches Stimmungsbild, er dachte aber vielleicht mehr noch an das ebenso unleugbare wie unnennbare Wienerische in ihm.

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