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Die Kunsterziehung amerikanischer Museen

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Die bedeutendsten europäischen Sammlungen sind aus fürstlichem Privatbesitz hervorgegangen und tragen, selbst nach ihrer Verstaatlichung, noch immer den Grundcharakter vornehm aristokratischer Sammler- und Kunstfreude an sich. Dieser Wesenszug erhielt sich sozusagen als Tradition des Hauses sowohl von seiten seiner Beamten wie auch von seiten seiner Be- sudier, unabhängig von der allgemeinen politischen Entwicklung. Die im Laufe des vorigen Jahrhunderts gegründeten provinzialen Museen hingegen sind zumeist der besonderen historischen Entwicklung ihres Gebietes zugewandt. Es ist daher verständlich, daß sie aus deren Überlieferung im wesentlichen auch ihre Aufgabengebiete abgeleitet haben. Die Museen der Neuen Welt hingegen sind zum Teil wohl auch aus Privatsammlungen entstanden, die durch großzügige Stiftungen erweitert wurden und prächtige Heimstätten bekommen haben, aber in ihnen wirkt nicht eine jahrhundertealte dynastische Tradition. Ihre Objekte wurden aus rein künstlerischen oder wissenschaftlichen Beweggründen erworben. Diesen Besitz zu genießen und zu ergründen, ist auch ihr Hauptzweck; ihre Sammelgebiete unterliegen keiner territorialen Begrenzung.

Aus diesem Grunde ist aus der Gestaltung der amerikanischen Museen sehr bald eine eigene Ideologie entstanden, sie schufen sich einen eigenen Beruf: die Aufgabe der Kunsterziehung. Zu der Absicht, kunsthistorische Kenntnisse zu verbreiten, gesellten sich noch stärkere kunstäschetische und soziologische Motive, vor allem auf Grund der zu allen pädagogischen Folgerungen herangezogenen Erkenntnisse der Psychologie.

So wurden in den zwanziger Jahren an verschiedenen Museen Amerikas eigene Kunsterziehungsabteilungen gegründet, die im Laufe der Zeit an Umfang wie an Bedeutung ständig Zunahmen. Ihre Initiatoren sind Beamte der Museen oder auch Pädagogen. Ihnen obliegt in erster Linie die Veranstaltung von Ausstellungen inner- und außerhalb der Museen. Die Themen dieser Ausstellungen lauten beispielsweise: „Wie entsteht ein Holzschnitt“, „Was ist moderne Architektur", „Stromlinien", „Kunst und Werbung“, „Kunst im Leben" und dergleichen. Die meisten Darbietungen verfolgen planmäßig erzieherische Ziele; ihr Inhalt hat mit einer ursprünglich musealen Anordnung, die wir in den europäischen Sammlungen gewohnt sind, nur mehr wenig Zusammenhang. Was sie vor allem von unseren Verhältnissen unterscheidet, ist, daß diese Ausstellungen von Ort zu Ort, von Schule zu Schule wandern. Einzelne Museen stellen Kollektionen über ein Thema, die neben Photographien und Reproduktionen auch Originale, Stoffe, Keramiken, Schnitzereien, Graphiken enthalten, bis zu zehnmal lind noch öfter zusammen. Praktische, transportable Vitrinen, Sdiauwände mit eigens eingebauten und aufmontierten Beleuchtungskörpern, gehen auf dieser Wanderung mit. Nidit selten hat ein Museum gleichzeitig Dutzende saldier Ausstellungen auch für verschiedene Themen laufen. Mit diesen Schaustellungen werden zuweilen auch die nötigen Fachleute für die angestrebte Kunsterziehung „äusgeliehen“.

An vielen Museen wird Mal- und Zeichenunterricht gegeben, in großem Umfang, vor allem an den schulfreien Samstagen und in den Ferien. Mit Zeichenblocks bewaffnet sieht man Schüler durch die Säle ziehen und an Kunstwerken skizzieren. Kindern wie Erwachsenen stehen Lehr- und Vortragssäle zur Verfügung, in denen ein reidihaltiges Vortragsprogramm geboten ist.

Hier sei noch einer anderen Besonderheit amerikanischer Museen Erwähnung getan: gekoppelt mit der Erziehung zum Verständnis der bildenden Kunst pflegt man auch die Verfeinerung des Gesdimacks auf musikalischem und filmischem Gebiet. Dafür gibt es in sehr vielen amerikanischen Museen Konzertsäle, in denen für ein geringes Eintrittsgeld, ausgezeichnete Musikprogramme geboten werden. In den Filmvorführungsräumen werden gute Filme aller Nationen gezeigt. An den meisten Museen besteht eine größere Bibliothek und ein Verleih von Lichtbildern, von Photos und vor allem von Farbdrucken.

Vorträge und Führungen, die in großer Zahl stattfinden, unterscheiden sich von unseren durch die dem amerikanischen Unterricht überhaupt eigentümliche Pflege der Debattierfreudigkeit. Daher bezeichnet der Amerikaner das, was wir Führung nennen, etwa mit „Gallery-talk“ — „Ausstellungsplaudereien“.

Von dem Umfang dieser erzieherischen Tätigkeit an amerikanischen Museen gibt die Tatsache eine Vorstellung, daß in einer Stadt von etwa einer halben Million Einwohnern an den schulfreien Samstagen rund tausend Schüler Kurse und Führungen am Museum besuchen oder daß, wie der aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrte Direktor der Albertina, Dr. Otto Benesdi, in einem Vortrag ausführte, zum Beispiel im Metropolitan-Museum in New York, siebzig bis achtzig Kräfte allein an dessen Departement of Education and Museum Extension in der Kunsterziehung tätig sind. Die amerikanischen Museen erstreben mit diesen volkserzieherischen Bemühungen die ihnen anvertrauten künstlerischen und ästhetischen Werte zu verlebendigen und zum geistigen Gemeingut des ganzen Volkes zu machen. Eine Aufgabe, deren letzte Erfüllung wohl ein Ideal bleiben wird, an der zu arbeiten aber ständig höchstes Ziel jedes wahren Museumsmannes sein müßte.

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