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DIE LAMBACHER FRESKEN

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Die Maßnahmen zur Freilegung frühromanischer Malereien an den Wänden des ehemaligen Westchores der Stiftskirche von Lambach, über deren Beginn in dieser Wochenschrift vor nunmehr fast einem halben Jahrzehnt (Furche 1959, Nr. 12) berichtet wurde, sind in das Abschlußstadium getreten. Auf der Grundlage eingehender statischer Untersuchungen ist Anfang 1960 mit den eigentlichen Bauarbeiten begonnen worden: Abfangung der Auflast der im 17. Jahrhundert erhöhten Türme oberhalb der in ihrem Bereich befindlichen Freskenzone, Umleitung des Lastenflusses über eine außen herumgelegte Betonschale und Rückführung in das Turmmauerwerk unterhalb des Gemäldebereiches. Ende 1961 wurde die Entlastungskonstruktion beim Nordturm, vor kurzem die beim Südturm fertiggestellt. Infolge der besonderen Raumverhältnisse konnte das Vorhaben nur mit zahlenmäßig beschränkten Arbeitspartien durchgeführt werden. Ständige Beobachtung und sicherndes Eingreifen waren und sind noch während der Arbeiten an den Malereien notwendig, da der Freskoträger durch die von der Turmerhöhung bewirkte Uberbelastung des Mauerwerkes Risse, Stauchungen und Verformungen erlitten hat. Er löste sich im Laufe der Jahrhunderte stellenweise vom Untergrund und liegt hohl auf, so daß die Erschütterungen hervorrufenden Bohr- und Stemmarbeiten mit größter Vorsicht erfolgen mußten. Die Glocken der Türme schweigen seit Jahren und sind durch ein elektrisches Läutwerk ersetzt.

Beim Nordturm wurde nach einer Beobachtungszeit das restliche barocke Futtermauerwerk mit der provisorischen Pölzung entfernt; der nicht originale Fußboden muß noch unter die Gemäldezone abgesenkt werden. Es können hier nunmehr statt der bisherigen Detailaufnahmen die Szenen im wesentlichen zur Gänze erfaßt werden. Im Verlaufe des neuen Jahres soll der gleiche Zustand beim Südturm erreicht sein. Mit den dann noch notwendigen Konservierungs- und Adap-tierungsmaßnahmen wird der Publikumszutritt voraussichtlich erst im Verlaufe des Jahres 1965 möglich werden.

Die seit 1868 bekannten Gewölbemalereien mitgerechnet, sind bis jetzt mehr als zwei Drittel des zu erwartenden Gesamtbestandes frei. Während der Zustand des Freskoträgers zu wünschen übrig läßt, ist die Farbschicht in größeren Partien so ausgezeichnet erhalten wie bei wenigen Malereien dieser frühen Periode. Vieles spricht dafür, daß sie in die Erbauungszeit der ersten, 1089 geweihten Benediktinerkirche zu datieren sind und damit zu den wenigen in Europa erhaltenen Monumentalmalereien des 11. Jahrhunderts gehören. Vierzehn Szenen an den Gewölben und Wänden sowie eine fragmentierte Greisengestalt an einer der Lisenen, wahrscheinlich ein Prophet, sind bis jetzt erfaßt.

Südturmkuppel: die Magier vor Herodes und den Schriftgelehrten (Matth. 2, 1—8); Südturm-Westwand, oben: Herodes und die Männer von Jerusalem erschrecken bei der Ankündigung des neugeborenen Königs der Juden (Matth. 2, 3); ebenda, unten: Christus erscheint mit den anbetenden Engeln in Sion (Isaias 60, 1—6; Ps. 148, 2; Ps. 96, 7—8; Ps. 101, 16—17); Mittelkuppel zwischen den beiden Türmen: Zug der Magier mit dem Stern (Matth. 2, 9—10), ihre Huldigung vor der Gottesgebärerin (Matth. 2, 11), ihr Traum mit der Warnung vor der Rückkehr zu Herodes (Matth. 2, 12); Nordturmkuppel: Heimkehr der Magier (Matth. 2, 12) und Beschneidung (Luc. 2, 21) oder Darbringung im Tempel (Luc. 2, 22—40); Nord türm-Westwand, oben: der zwölfjährige Jesus mit den Schriftgelehrten im Tempel (Luc. 2, 42—50); ebenda, unten: Christus offenbart sich den Juden durch seine Lehrweisheit und Redegewalt in der Synagoge von Nazareth (Luc. 4, 16—28); Nordturm-Nordwand, oben: Johannes der Täufer zeugt vor der Menge für Christus (Joh. 1, 19—28); ebenda, unten: durch Fragmentierung ungeklärt, möglicherweise Auferweckung der Drusiana (Pseudo-Mellito, Passio S. Iohannis) oder Aussendung der Apostel zu Wundertaten durch Christus (Luc. 9, 1—6; Marc. 6, 6—13; Matth. 9, 35—10, 1); Nordturm-Ostwand: Theophanie nach der Taufe Christi (Joh. 1, 32—34) und Christus der gute Hirt (Joh. 10, 11—16).

In dem vom ersten benediktinischen Kirchenbau hier erhalten gebliebenen Raumfragment, welches naturgemäß jeden Versuch der Erfassung des Gesamtprogrammes einengt und auf Hypothesen beschränkt, sind — soweit bis jetzt zu übersehen — am ehesten Sinneinheiten innerhalb der Darstellungen der unterteilten Wandfelder, teilweise im Verein mit den darüber befindlichen Gewölbefresken, erkennbar. Verbindend ist dabei der Theophaniecharakter der überwiegenden Anzahl von Szenen. Diese merkwürdige Konzentration in der Gegenstandsauswahl wird unter anderem durch folgende Feststellung verständlich: in dem Vorhandensein ab ovo eines lateinischen Magierspiels der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts und eines römisch-fränkischen Capi-tulare evangeliorum des 9. Jahrhunderts. Beide sind mit größter Wahrscheinlichkeit um 1056 durch die ersten Mönche aus dem Mutterkloster Münsterschwarzach am Main nach Lambach gekommen, wohl als Gründungsgeschenk Adalberos von Wels-Lambach, der als Bischof von Würzburg (1045—1090) Eigenkirchenherr für beide Klöster war. Das Capitulare, eine Liste der evangelischen Leseabschnitte (Perikopen) für den Meßdienst des Kirchenjahres, ist, mit Unterschieden zu der Leseordnung des heutigen Missale Romanum, ein wichtiger Beleg für die Dichte der frühmittelalterlichen Leseliturgie um Weihnacht und Epiphanie sowie ihre Nachfeier und trägt zum Verständnis der Gegenstände der Lambacher Malereien sowie ihrer Auswahl bei. Das Magierspiel kann den besonderen Akzent auf dem Magier-Herodes-Zyklus im Gesamtbestand sowie das ikonographisch so seltsame Auftreten der die Theotokos flankierenden, in den kanonischen Evangelien nicht vorkommenden Hebammen bei der Huldigungsszene erklären helfen.

Die Regieanweisung zu diesem fragmentarisch erhaltenen, aber im wesentlichen nach einem anderen typengleichen Exemplar ergänzbaren geistlichen Drama erlaubt auch seine Lokalisierung in der Kirche, und zwar beim Altar mit dem Kultbild bzw. der Kultplastik der Muttergottes und vor der Epiphaniemesse. Die im oben zitierten Bericht erst erwähnten archäologischen Grabungen in der Vorhalle und im Westteil des in gotischer und barocker Zeit völlig veränderten Bauwerkes haben hiezu die Bestätigung erbracht, daß die erste benediktinische Anlage eine heute bis auf die Umfassungsmauern (mit Freskenresten) zerstörte kreuzförmige Westkrypta besaß. Sie hatte vorerst bloß einen dem Proto-martyr Stephanus geweihten Altar in der Mitte, ferner ein Nischengrab im kirchenseitigen Kreuzesarm, ragte zirka zwei Meter über den alten Kirchenfußboden empor und bedingte die durch spätmittelalterliche Schriftquellen verbürgte Hochlage des ehemaligen West- und Hauptchores mit dem Altar der Kirchenhauptpatronin Maria. Diese ursprünglich in drei Bögen zum Langhaus geöffnete Westchorbühne muß eine den alten Raum beherrschende Anlage gewesen sein, auf der Messe, liturgisches Spiel und auch das Officium der Mönche stattgefunden haben. Die Quellen berichten weiter, daß der Hochchor mit seiner Krypta im 15. Jahrhundert aufgegeben worden ist.

Vom übrigen Raum wird auf Grund eines bestimmten Passus der Vita des Gründers und nach Ausweis der Lage seines Grabes angenommen, daß gegenüber im Osten ein Johannes d. E. konsekrierter Altar lag und die Kirche also ursprünglich doppelchörig gewesen sein muß. Vermutlich hat sich der Gemäldezyklus im Langhaus fortgesetzt: es könnten, wie im ottonischen St. Georg in Oberzell auf der Reichenau, Szenen mit Christuswundern gewesen sein, eine Annahme, die an Glaubwürdigkeit gewinnt, wenn bedacht wird, daß die Darstellung der Machtzeugnisse des Herrn ein bevorzugtes Anliegen der Kunst dieser Zeit gewesen ist.

Ein weites Feld bieten die Lambacher Malereien der motivengeschichtlichen Bearbeitung, also einer Formalikonographie, welche sich bemüht, das in der mittelalterlichen Kunstübung nich*; wegzudenkende Vorlagewesen auf der Suche nach den Stemmata der Bild- und Figurentypen zu durchforschen, wobei dem Problem der Kontamination verschiedener Vorlagen und Vorlagenteile sowie den Formvarianten besonderes Augenmerk zugewandt wird. Eine Schwierigkeit liegt dabei in der geringen Überlieferungsdichte, vor allem auf dem Gebiet der Monumentalmalerei. Daran ändern im wesentlichen auch die großen Nachkriegsentdeckungen frühmittelalterlicher Zyklen des Neuen Testamentes in S. Maria in Castelseprio und in St. Johann zu Münster in Graubünden nichts. Die Analyse der Wandmalerei kann also — wenn auch anzunehmen ist, daß diese Gattung ihre eigene Uberlieferung besaß — auf die Heranziehung der Werke der Buchmalerei und Kleinkunst mit ihrem viel reicher erhaltenen Typen- und Figurenvorrat nicht verzichten. Maßgebend ist hier die Formenwelt der christlichen Spätantike, der karolingischen und besonders der ottonischen Kunst, aber auch ganz wesentlich die des Ostens, vor allem der mittelbyzantinischen Periode.

Indes gestattet das Wandern der Bildtypen und Vorlagen keineswegs den generalisierenden Schluß, daß die Genesis eines Kunstwerkes mit der Feststellung des „Stammbaumes“ der Vorlagen geklärt sei. Auch die Motivenwahl muß letztlich von einer bestimmten Richtung gestalterischen Wollens her sinnvoll begriffen werden und ist in einer entsprechenden geistesgeschichtlichen Situation begründet, deren Ausdruck auf dem Gebiete des bildkünstlerischen Schaffens eben der Stil ist.

IJ1 ine das Kunstwerk stets im konkreten Milieu des Auf-j träges sehende stilkritische Behandlung der Lambacher Malereien wird nach ihrer vollkommenen Freilegung naturgemäß das zentrale Anliegen einer Monographie des Bestandes sein müssen. Sie wird vom spätottonischen Byzantinismus, wie er vor allem in einer Gruppe von Handschriften des salzburgisch-regensburgischen Kreises ausgeprägt ist, auszugehen haben. Die Stellung der Lambacher Fresken an der Wende zur hochromanischen Kunst des 12. Jahrhunderts verleiht ihnen, auch ohne Bedachtnahme auf die so schüttere Überlieferung, eine besondere Bedeutung für unsere Kenntnis der Entwicklungszusammenhänge, insbesondere mit italo-byzantinischen Werken Venetiens, der Lombardei und des mit diesen Landschaften zusammenhängenden Alpengebietes.

Aber nicht nur die Fachwelt allein kann ein Interesse an der Bewahrung dieses Bestandes haben. Er gehört mit seiner Farbintensität und Unberührtheit der Oberfläche zu den bestüberlieferten und qualitätsvollsten Schöpfungen der Zeit. Der Auftraggeber, Bischof Adalbero von Würzburg, war eine der profiliertesten Gestalten des deutschen Klerus im Investiturstreit. Vielleicht Taufpate Heinrich IV., wandte er sich nach dem Wormser Reichstag 1076 vom Kaiser ab und hat mit Gebhard von Salzburg und Altmann von Passau die Thesen der gregorianischen Partei in Süddeutschland ohne Rücksicht auf seine eigene Person vertreten. Vom Kaiser aus seinem Bistum vertrieben ist, er 1090 in Lambach, der Heimat seiner Väter, gestorben und begraben worden.

Die nach langem Verborgensein nunmehr zutage tretenden Malereien sprechen gerade den modernen Menschen unmittelbar mit fast unheimlicher Eindringlichkeit an. Sie sind Zeugnisse einer Zeit, deren Geschehen in eminentem Maße von einer bedingten Geistigkeit bestimmt war, von einer gestaltenden Kraft, deren überragender Anteil an der Formung abendländischer Kultur historische Tatsache ist. Ihr die schuldige Reverenz zu erweisen ist ein Anliegen nicht nur des religiösen, sondern überhaupt des geschichts-bewußten Menschen. Die Denkmalpflege hat den zuständigen Stellen der Kirche, des Bundes, des Landes Oberösterreich sowie allen Mitarbeitern für Unterstützung und Verständnis bei der Durchführung ihres Vorhabens zu danken.

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