Die Macht des Gesprächs

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Angesichts von 300.000 Besuchern der Leipziger Buchmesse, angesichts von belagerten Bühnen in den Messehallen und über 500 Literatur-Veranstaltungsorten in der Stadt habe ich mich wieder einmal gefragt, warum das ORF-Fernsehen glaubt, auf eine eigene Literatursendung verzichten zu können. Ich meine keine Talkshow mit allerlei Buchautoren wie "erLesen"(vierzehntägig in ORF III) oder "lesArt"(alle zwei Monate in ORF 2), sondern eine Diskussion mit, sagen wir, vier kritischen Köpfen über, sagen wir, vier Bücher, die sie nicht selber geschrieben, aber tunlichst selber gelesen haben. Das Vorbild wäre, leicht zu erraten, das Literarische Quartett von Marcel Reich-Ranicki, und der Umstand, dass es heute im deutschen wie im Schweizer Fernsehen kopiert wird, sollte niemanden davon abhalten, eine ebenso einfache wie wirkungsvolle "Format"-Idee seinerseits zu übernehmen.

Im Radio Ö1 gibt es die "Literarische Soiree" mit Publikum und wechselnden Mitwirkenden. Fernsehmenschen wollen bewegte Bilder, Interviews, "Magazincharakter", sie misstrauen der schlichten Attraktivität eines kontroversiellen Gesprächs. Nicht dass ich persönlich geneigt bin, mich nach neuen Feldern literaturkritischer Tätigkeit umzuschauen. Aber ich habe mit einer ähnlichen Diskussionsveranstaltung -monatlich laden Klaus Nüchtern und ich einen Gast zum "Tea for Three" in die Wiener Hauptbücherei -die erstaunlichsten Erfahrungen gemacht: Literaturinteressierte hören gerne zu, wenn Leute mit Passion über Bücher streiten, sie schätzen das Angebot unterschiedlicher Lesarten und die Orientierung im überreich bestückten Markt. Für den ORF wäre es eine elegante und kostengünstige Gelegenheit, seinem öffentlich-rechtlichen Kulturauftrag auch im TV Genüge zu tun. Und es wäre ein starkes Zeichen gegen die allenthalben betriebene Marginalisierung der Schönen Literatur.

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