Die Malerei hinterfragt

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Parmigianino und der europäische Manierismus. Ausstellung zum 500. Geburtstag des Künstlers im Kunsthistorischen Museum.

Sommer 1524: Der 21-jährige Maler Francesco Mazzola - später nach dem Namen seiner Heimatstadt Parma "Parmigianino" genannt - reist nach Rom. Er hat die Nase voll von der Provinz. Grund der Reise: Im Mekka der Kunst will Parmigianino die Werke der Antike studieren, auch die Gemälde Raffaels und die Fresken Michelangelos. Vor allem will er den neu gewählten Papst Clemens VII. von seiner Begabung überzeugen - in der Hoffnung auf Großaufträge. Mit sich führt Parmigianino daher drei Bilder. Sie sollen dem Papst als Beweis seines virtuosen Könnens dienen. Darunter das kurz davor entstandene nur 24 cm große "Selbstporträt im Konvexspiegel". Das außergewöhnliche Bildchen verblüffte den Vatikan aufs Höchste. Es galt bald als "meraviglia", als Wunderwerk, dessen Schöpfer als neuer Raffael gefeiert wurde. Angeblich wurde es sogar mit einem Tuch verhängt aufbewahrt, da man ihm gleich Spiegeln magische Kraft zuschrieb.

Stets aufs Neue studiert

Tatsächlich gehört dieses Selbstbildnis zu den faszinierendsten und "modernsten" Werken der Kunstgeschichte, das bis heute von jeder kunsthistorischen Richtung wieder aufs Neue studiert und gedeutet wird. Parmigianino zeigt sein Konterfei wie in einem konvexen Spiegel erstarrt. Die Krümmung des Konvexspiegels verzerrt die natürlichen Proportionen. Die der Oberfläche am nächsten liegende Hand des Künstlers wirkt überdimensional groß, der umliegende Raum wölbt sich gedehnt nach hinten. Jeder kennt dieses Phänomen vom Blick in eine spiegelnde gewölbte Oberfläche, wie sie etwa ein alltäglicher metallener Teekessel bietet.

Dem nicht genug: Um sein Spiel mit Täuschungen zu vervollständigen, malte der Künstler nicht auf eine flache Leinwand, sondern auf ein tatsächlich gewölbtes rundes Holzstück. Das Bild gilt als eines der Hauptwerke des "Manierismus" - einer Kunstbewegung, die sich in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts in Abgrenzung zum strengen Kanon der Renaissance entwickelte.

Zu den Charakteristika dieser später oft als "Zeit der Künstlichkeit" angeschwärzten Epoche gehört die Loslösung von der Zentralperspektive zugunsten einer subjektiven, individuellen Sichtweise. Ein Ansatz, der eben oft auch zu den typisch manieristischen Verzerrungen, den unnatürlichen Haltungen und "geschlängelten" Figurendarstellungen führte.

Parmigianino thematisiert auf diesem Bild jedoch Fragen, die weit über den Manierismus bis heute in der Kunst bestimmend bleiben. Etwa das Verhältnis zwischen Kunst und Wirklichkeit, zwischen Bild- und Spiegelbild. Er hinterfragt die Malerei in ihrer medialen Qualität und spricht die Beziehung zwischen Werk und Autor genauso wie den Standpunkt des Betrachters an. Zur Zeit ist auf der Biennale im Rahmen der Malereiausstellung "Von Rauschenberg bis Murakami" in Venedig ein Bild der Österreicherin Maria Lassnig aus dem Jahr 1974 mit einer verwandten Thematik zu sehen. "Doppelselbstporträt mit Kamera" nennt sich das großformatige Ölgemälde, das wie ein Aufgreifen von Parmigianinos in dem berühmten Selbstbildnis aufgeworfenen Fragestellungen erscheint.

Zum Glück für österreichische Kunstinteressierte gelangte Parmigianinos Selbstporträt über die Habsburger nach Wien und somit ins torische Museum, das unter anderem aufgrund dieses Schatzes und weiterer fünf Bilder nun gemeinsam mit der Soprintendenza von Parma die Jubiläums-Ausstellung zum 500. Geburtstag des Künstlers ausrichtet.

Die etwas spröde, gewissermaßen klassisch kunsthistorisch gestaltete Schau ist jedoch, was den Gehalt betrifft, wahrhaft sehenswert. Neben 30 Gemälden komplettieren rund 70 Zeichnungen und 15 Grafiken das Bild über den ungewöhnlichen Maler, der mit nur 37 Jahren in seiner Heimatstadt verstarb. Darunter befinden sich so außergewöhnliche Werke wie das kleinformatige Frauenporträt "Heilige Barbara" aus dem Prado, das in seiner Klarheit zu den schönsten Porträts jener Epoche gehört.

Eine zweite Frauendarstellung wird einem so schnell nicht aus dem Kopf gehen: "Porträt einer jungen Frau" (auch als "Antea" bekannt) aus dem Nationalmuseum in Neapel ist durch die seltsame Drehung der Figur und der damit verbundenen Proportions-Verschiebung eines der rätselhaftesten Bilder des 16. Jahrhunderts.

Aus heutiger Sicht beeindruckt nicht nur die präzise, gestochen scharfe Malweise, sondern auch die Bewusstheit, mit der Parmigianino die Dargestellte aus dem Bild blicken lässt.

Unzählige Male kopiert

Ein Meisterwerk des Manierismus findet man in Form von Parmigianinos "Bogenschnitzendem Amor", das durch sinnlich-voyeuristische Aspekte gleichermaßen besticht wie durch humoristisch-spielerische. Noch 100 Jahre nach Parmigianinos Tod wurde dieses Gemälde unzählige Male kopiert - so sehr hat es nachfolgende Künstler fasziniert. Diesen wie auch den Vorbildern und Zeitgenossen Parmigianinos - Raffael, Correggio, Rosso Fiorentino, Pontormo und anderen - sind eigene Abschnitte in der Schau gewidmet. Dadurch erkennt man als Betrachter die Unverkennbarkeit dieses die Malerei in ihren Grundsätzen hinterfragenden Künstlers. Genauso aber dessen Einflussreichtum auf nachfolgende Künstlergenerationen in Fontainebleau oder am Hof von Rudolf II. in Prag.

Bis 14. September 2003 im Kunsthistorischen Museum, Maria Theresien-Platz, 1010 Wien, täglich 10-18 Uhr, Donnerstag 10-21 Uhr. Information:

www.khm.at/parmigianino.at.

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