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Die Maske

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Wir haben heute wieder die Überzeugung, daß jede Kunst aus dem Religiösen stammt, daß am Anfang der kulturellen Entwicklung überall Wissenschaft, Kunst und Religion eine Einheit bilden. Für die Schauspielkunst ist diese religiöse Beziehung aber besonders unmittelbar, denn sie gehört ursprünglich nicht nur durch ihre Zweckbestimmung oder das Thema ihrer Darstellung zum sakralen Bereich, sondern ihre Urform ist die kultische Handlung selbst. Die ersten darstellenden Künstler waren tanzende, Priester. Der Priester, der in Trance tanzt, schaltet seine normal-menschliche Persönlichkeit aus, um sie von einer anderen überdecken zu lassen. Jene andere Kraft, jenes andere Wesen, das er da von sich Besitz ergreifen läßt, stellt er d ar. Er erscheint in der Maske des Gottes oder des Dämons. Und er wird ganz real als solcher hingenommen. Denn da jener andere über ihn gekommen ist, unter Ausschaltung seiner individuellen Persönlichkeit, i s t er jener andere.

Später waren es nicht immer Priester, die einen solchen Wechsel der Individualität durchführten. Die alten Mexikaner opferten jedes Jahr einen Kriegsgefangenen in der Maske des großen Gottes Tezcatlipoca. Aber das ganze Jahr vor seiner Opferung, von dem Augenblick der Designation und feierlichen Einkleidung an, war er der Gott und genoß göttliche Ehren.

Damit rühren wir an eines der wesentlichsten Merkmale jener uralten Weisheit des Aufgebens, der Verwandlung der Individualität: die Maske. Der antike Schauspieler spielte noch unter einer Maske — der heutige arbeitet mit der Mimik seines individuellen Gesichts in der überdimensionalen Großaufnahme.

Aber bevor es noch den im Griechentum bereits emanzipierten Schauspielerstand gab, wurde die Maske von dem Priester der uralten Zeit getragen, wenn er sein, heiliges .Amt ausübte. Wenn der Mensch die Maske anlegt, löscht er sein eigenes kurzlebiges Gesicht aus und zieht ein Antlitz an aus jener höheren Welt, der er nun angehört. In ihr hat er übermenschliche Macht, und zugleich ist seine irdische Persönlichkeit vor den bösen Einwirkungen feindlicher Mächte geschützt, da sie ja bei dieser Auseinandersetzung geistiger Kräfte ganz ausgeschaltet ist.

Die Maske ist nicht steif und unbeweglich — das ist sie nur, solange sie tot und unbenützt an der Wand hängt —, aber sie ist dem kleinen, oberflächlichen Ausdruckswechsel des menschlichen Gesichts, den Reaktionen seines Nervensystems entzogen und schwingt in einem gewaltigen, höheren Rhythmus. Sie mag von einer erhabenen Ruhe der Linien sein im Gegensatz zu den tausendfältigen Entstellungen lebendiger Züge, oder sie kann sich zu einer Fratze verzerren, die an Scheußlichkeit alle menschlichen Charakterisierungskünste überbietet — sie ist immer potenziertes Gesicht, Ausdruck des Überpersönlichen, entsprechend der höheren Wahrheit, die darzustellen ihr Träger sie angelegt hat.

Und damit kommen wir zu einem anderen Gesichtspunkt der Bedeutung der Maske für den Schauspieler. Seine Kunst besteht aus zwei Faktoren: Wort und Geste. Nachdem das göttliche Schöpfungswort die Dinge gesetzt hat, wiederholt der Mensch die Schöpfungstat in der Namengebung. Jenseits jedes Verständigungszweckes ist das Wort Symbol.

Die reine Gebärde aber ist gleichfalls nicht aus irgendeiner zweckgebundenen Arbeitstätigkeit entsprungen, sondern aus der Nachzeichnung kosmischer Bewegungen: sie ist Zeremonie, ist Ritus. Träger dieser absoluten Bewegung sind der Körper und vor allem die Gliedmaßen; der Kopf nimmt an ihr durch Neigen und Heben teil. Der dem Gesicht, diesem Konzentrationspunkt seiner Geistigkeit, vorbehaltene Ausdruck aber ist das geistige Wort. Darum verdeckten die’ Masken der antiken Schauspieler die Mimik und verstärkten durch die „Persona“, das eingebaute Sprachrohr, die Stimme.

Vielleicht ist es gerade der sakrale Ursprung des Schauspielers, der ihn nachher zu einem von allen gemiedenen Stand werden ließ, zu einem, der in die ehrbare menschliche Gesellschaft nicht paßte. Ist die Aufgabe der Persönlichkeit nicht mehr das Heiligste, so ist sie für die Menschen, die nach dem Wert ihrer Persönlichkeit gemessen werden, das Würdeloseste. Dem starken Persönlichkeitsgefühl entspricht das Streben nach Dauer. Theater aber ist seinem Wesen nach Verwandlung und Gegenwart, Vergänglichkeit. Darum sind die Russen, denen die Ich- Betontheit ebenso wie der historische Sinn des Westens fremd sind, ideale Schauspieler.

In dem Maße, als die Unbedingtheit der Aufgabe der Eigenpersönlichkeit geringer wird, wird auch die Maske abgelegt. Ihr folgt als erste Stufe der Verdiesseitigung die Bemalung, die Schminke. Sie hat zunächst nichts zu tun mit der Ausarbeitung von persönlichen, charakteristischen Zügen wie das Schminken des heutigen Schauspielers. Sie ist vielmehr noch im wesentlichen Maske. Wir sehen dies deutlich in der ostasiatischen Schminkweise, wo das Individuelle ganz unter der typisierenden Unpersönlichkeit der Schminke verschwindet, die Mimik unter der dicken Farbschicht erstarrt und das Gesicht ein eigenes, unter anderen Bewegungsgesetzen stehendes Leben annimmt. Im japanischen Theater sind Helden weiß, Verräter rot geschminkt usw. Es gab auch Priesterkasten, bei denen diese volle, die Züge überdeckende Gesichtsbemalung Brauch war, so die schwarzen Priester im alten Mexiko; oder man trug die Bemalung nur zur heiligen Handlung auf, wie man für sie auch besondere Gewänder hatte.

Wenn der heutige Schauspieler einen anderen Menschen spielt, so liegt darin kaum noch etwas von der Annahme einer potenzierten, ins Allgemeingültige erhobenen Persönlichkeit, die der Priester annahm, wenn er unter der Maske einen Gott darstellte. So besteht denn auch das „Maskemachen“ des Schauspielers nicht in einer Übersteigerung seines Gesichts ins Überindividuelle, sondern lediglich in einer Veränderung der Charakteristik, um einen anderen, gleichfalls individuellen Charakter darzustellen. Da nun noch dazukommt, daß man heute sehr stark die Persönlichkeit des Schauspielers betont — er biegt die Rolle nach seiner Art, ja, es werden direkt für ihn Stücke geschrieben! —, so verändert er oft sein Gesicht nicht einmal allzusehr, da es sich ja mehr um seine Persönlichkeit handelt als um die Rolle. Wer aber nur eine Persönlichkeit darzustellen hat, und sei sie auch noch so imponierend, ist kein wirklicher Schauspieler.

Doch darüber hinaus genügt uns auch eine Verwandlungskunst, die nur einen anderen Charakter darstellt, nicht mehr — so wenig im Spiel wie’ in der charakterisierenden, individuellen Maske. Denn wahre Verwandlung ist nur möglich, wo eine gemeinsame Grundlage im Überpersönlichen besteht. Das vereinzelte Individuum, das diese gemeinsame überpersönliche Bindung abgeschnitten hat, ist auch vom Mitmenschen abgeschnitten, kann nicht mit ihm fühlen. Wo aber die Beziehung zu dem Gemeinsamen, Allgemeinen wieder geöffnet ist, da wird man auch nicht bei individueller Verwandlung stehen bleiben. Der Weg, der zu dieser Verwandlung führte, drückt sich darin aus, daß in der dargestellten Gestalt, der Bühnenfigur, nicht nur ihr Rein-Persönliches, sondern auch das Über- Persönliche, Typische, Allgemein-Menschliche sichtbar, wird. So wird jede dramatische Darstellung zum Ausdruck einer höheren Wahrheit.

Daß ein neues Gefühl im Entstehen ist, das das Naturalistische, Zufällige überwinden will, zeigen uns viele moderne Autoren.

Bemerkenswert ist die starke Hinwendung zu den Stoffen der. griechischen Tragödie. Doch kommt die Form in den meisten Fällen nicht über einen krampfhaften Experimentierstil hinaus. Daneben aber stehen Versuche wie der der Studentengruppe der Sorbonne, die nach zweijähriger Probenarbeit mit einer Aufführung von Aischylos’ „Agamemnon“ in Masken hervortrat.

Es scheint zweifelhaft, ob in unserem heutigem Stadium der geistigen Entwicklung die Maske eine wirklich lebendige Möglichkeit darstellen kann. Fraglos aber ist, daß der Schauspieler wieder um seine ursprüngliche Aufgabe ringen muß: im Wandel des Zeitlichen das Absolute darzustellen, sich hinzugeben an jene Kräfte, die im individualisierten und säkularisierten Alltag verschüttet sind, vor der Spezialisierung die Einheit des Menschentums wieder aufzurichten.

Zum wahren Festspiel werde wieder seine Kunst. Die Maske ist ihr ewiges Symbol.

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