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DIE MOSAIKEN VON RAVENNA

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Wenn man Ravenna betritt, wird man sieb nur allmählich der geschichtlichen und kulturellen Bedeutung dieser heute so verschlafenen Provinzstadt bewußt, die ein außerordentliches Geschick für lange Zeit zu einer der nach Rom bedeutendsten Städte Italiens werden ließ. Kaiser Augustus schon machte sie zur mächtigen Garnisonsstadt, als er seinen Hafen, Classis, zum Stützpunkt der römischen Flotte des östlichen Mittelmeeres bestimmte. Zu einem Mittelpunkt des Weltgeschehens wurde Ravenna aber, als Kaiser Honorius bei dem Einfall der Westgoten, 402 n. Chr., die kaiserliche Residenz dorthin verlegte und es damit zum Bollwerk des weströmischen Reiches machte. Damals, im fünften Jahrhundert, wurde Ravenna zu einer großartigen Stätte christlicher Kunst, die uns heute noch durch den geschlossenen und zusammenhängenden Eindruck seiner Mosaiken einen so mächtigen Eindruck vermittelt, daß die römischen Denkmäler dagegen — zu Unrecht — unterschätzt werden.

Wie alle anderen künstlerischen Techniken hatte die altchristliche Kunst auch die Technik des Mosaiks vom klassischen Altertum ererbt. Das Material — Steinsplitter und Glasfluß — ließ eine monumentale, unbegrenzt dauerhafte und fast unveränderliche Dekoration zu. Das Bedürfnis, den weltlichen Prunk der spätrömischen Kaiserzeit in die Gotteshäuser des siegreichen Glaubens zu übertragen, verband sich mit dem Bestreben, eine künstlerische Sprache zu finden, die die neuen Inhalte der Kultur zum Ausdruck brachte. Sie konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die der klassischen Kunst sein, deren Problem die Schöpfung eines idealen, nicht naturalistischen Raumes innerhalb der Grenzen einer geometrischen Raumvorstellung gewesen war. Schon die römische Kunst war mit dieser Vorstellungswelt im Kampfe gelegen, das Illusionistische und Psychologische hatte die klassische Form allmählich zersetzt, und vom zweiten pompejanischen Stil an begann sich eine Anschauung herauszubilden, die den Raum allmählich immer mehr durch die Farbfläche ersetzte. Der altchristlichen Kunst kamen diese Tendenzen, die einen formalen Abstieg bedeuteten, entgegen. Ihre Vorstellungswelt, auf das Transzendente außerhalb der rationalen Grenzen gerichtet, mußte den Raum verleugnen, um Farbe und Raum fern jeder realen Bezüglichkeit in Rede und Gleichnis umsetzen zu können.

In der Grabkapelle der Regentin Galla Placi-dia (gestorben 450) in Ravenna, einem Zentralbau von intimen Maßen in der Form eines griechischen Kreuzes mit gleichlangen Balken, steht die Mosaikdekoration noch unter dem deutlichen Einfluß der römischen Ausdrucksformen. Auf ein tiefes Blau gestimmt ist ihre schönste Darstellung die des Guten Hirten im Bogenfeld über dem Eingang,“ wo in der Hauptfigur noch die lineare Poesie des Altertums lebendig ist. Wenn auch die plastischen Werte geringer sind als in den schönsten römischen Beispielen — in S. Pudenziana zum Beispiel —, so ist doch diese Dekoration mit ihren Apostelgestalten, Tiersymbolen, Ranken, Girlanden, Mäandern und der Darstellung des heiligen Laurentius von einer so geschlossenen Einheit, daß sie den Beschauer unmittelbar berührt, wenn er das durch die geschliffenen Onyxscheiben nur von einem mystisch gefilterten Licht erhellte Dämmern dieses einmaligen Baues betritt, der wie ein Juwelenschrein wirkt.

Auch im Baptisterium der Katholiken, S. Giovanni in Fönte, neben dem Dom, treffen wir auf eine ähnlich vollkommene Dekoration. Der achteckige Kuppelbau mit Rundgang stammt aus der Zeit des Bischofs Neo (um 425—430) und enthält vollendet schönes Rankenwerk in den Zwik-keln der unteren Arkaden, Ovale mit den Gewandfiguren von Heiligen, Symbole der Kirche, die Gestalten der zwölf Apostel und zu ihren Häuptern, in der Mitte der Kuppel, die DarStellung der Taufe Christi, wobei der Jordan als Flußgott personifiziert auftritt. Die Apostelfiguren sind von stärkster Eindringlichkeit, und mit überlegenem Rhythmus gestaltet. Ihre Köpfe von klassisch-plastischer Formkraft und individuell charakterisiert, gehören zu den stärksten Leistungen der Ravennater Mosaiken.

Im Jahre 493, nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches, wird Ravenna Hauptstadt der Ostgoten in Italien. Theoderich, diese widerspruchsvolle Erscheinung eines Barbaren auf dem Herrscherstuhl, der die antike Kultur und ihre Denkmäler zu erhalten bestrebt war, förderte die lokale Kunstentwicklung. Daß das Baptisterium der Arianer nichts anderes als eine plumpe Variation des katholischen Baptisteriums darstellt, ist auf die allmählich einsetzende Durchdringung der römischen Formen mit barbarisch-primitiven Elementen zurückzuführen. Die Vorherrschaft der Linie über die Form deutet sich an, die Steifheit und Formelhaftigkeit späterer Zeiten, die erst ein neuer Frühling nach Jahrhunderten auflösen sollte.

In der Basilika S. Apollinare nuovo, der neben dem Palast gelegenen Hofkirche des Theoderich, die ihre alte Apsis verloren hat, finden wir Bilderreihen, die zwei verschiedenen Zeiten und Vorstellungswelten angehören. Der ersten, ariani-schen Epoche des Baues entsprechen die dreißig Apostel und Heiligengestalten, die neben und zwischen den Fenstern stehen. Ihren Köpfen und der Gewandung nach gehören sie mehr zur plastisch orientierten Dekoration des katholischen Baptisteriums, als zu der des arianischen. Über den Fenstern aber finden wir einen Fries von Bildern mit Darstellungen aus dem Leben Christi, wobei Christus auf beiden Seiten jeweils durch einen anderen Typus dargestellt wird. Diese erzählenden Bilder sind künstlerisch wieder eindeutig' nach Rom orientiert, die dekorative Auffassung ist hier von der “plastischen verdrängt, diese erscheint aber nur abgeschwächt und reduziert. Zwischen 553 und 561 wird die Kirche dem katholischen Kult zugeführt, der Arianismus ist besiegt. Aus dieser Zeit stammeij die Prozessionsdarstellungen der Märtyrer und Jungfrauen an den Langwänden als Gesamtheit rein dekorativ, wenn auch eindrucksvoll konzipiert, mit sehr schwach modellierten Gestalten und unvollkommen gezeichneten Köpfen. Diese beiden zeitlich nahen Perioden der Mosaiken in S. Apollinare nuovo grenzen sich scharf gegeneinander ab. Die klassische Periode der altchristlichen Kunst ist damit endgültig vorbei. Zeitlich fällt dieser Wendepunkt mit dem Sieg Byzanz' zusammen, nach dem Ravenna nun Sitz des byzantinischen Statthalters und der Exarchen wird.

Die Dekoration der erzbischöflichen Kapelle fällt zum größten Teil noch in die Zeit vor der Neuweihung von S. Apollinare nuovo. Hier sind die stärksten Stücke die Brustbilder in den Gurtbögen, die eindeutig zeigen, welchen Abstieg die Form seit den Apostelköpfen aus dem Baptisterium der Katholiken genommen hat. Der Raum erscheint in ihnen reduziert und die Plastik von einer vagen Unsicherheit ergriffen, die, wie man an den Engeln deutlich erkennen kann, nur durch Stilisierung wettgemacht wird.

In dem noch gut erhaltenen Bilderzyklus von San Vitale schließlich, verbindet sich der Stil Ravennas mit dem von Byzanz zu einer letzten bedeutenden Einheit. Der byzantinische Hofstil, der die Plastizität zugunsten eines Überwiegens der Farbe schon früh geleugnet und die hieratische Strenge des Zeremoniells, wie die flächige Rhythmik an ihre Stelle gesetzt hatte, ergänzt sich mit dem sinkenden Formgefühl dieser Kunst aufs Beste. Am bekanntesten sind die beiden Zeremonienbilder, die an den Apsis-wänden Kaiser Justinian mit dem Bischof Maximilian und die Kaiserin Theodora mit ihrem Gefolge einander entgegenschreitend zeigen. Während die Köpfe der Darstellungen eindeutigen Porträtcharakter haben (bei der Thronbesteigung der Kaiser wurden ihre Bilder sofort in alle Länder gesandt) ist die Darstellung der Körper und Gewänder starr, die Gliederung der Gruppen nicht durchgebildet und räumlich nicht entwickelt. Das wesentlich dekorative Gewölbemosaik im mittleren Rund des Altarhauses übertrifft künstlerisch alles übrige. Es stellt das Lamm Gottes dar und wird von vier Engeln in ausdrucksvoller Haltung gestützt. San Vitale, dieser edle musikalische, durch die feinsten Intervallen und Rhythmen belebte Bau vermittelt in seiner Gesamtheit einen überwältigenden Eindruck. Das kann aber nicht darüber hinweg^ täuschen, daß seine Mosaiken nicht mehr die künstlerische Höhe der früheren Zeit erreichen. Die künstlerische Leistung ist jeweils nach den Vorbildern ungleichmäßig, die Gestalten beginnen zu erstarren, sie werden steif und unlebendig, die Farbigkeit, vor allem der abstrakte Goldgrund überwiegt die Form. Das lebendige Fortwirken der antiken Kultur beginnt nun zu erlöschen, die Barbaren sind übermächtig geworden: Italien wird von den Langobarden besetzt. Die Kunst fängt an, sich mit der Reproduktion des Überlieferten zu begnügen, ohne eigene Schöpferkraft zu zeigen, die Form und Zeichnung werden immer schematischer, nüchtern und starr. Die Empfindung stirbt ab. Die Brücke zur Natur ist schon längst verlorengegangen, und dazu kommt noch das sich daraus ergebende Sinken des Urteilsvermögens — die Zeit des oströmischen, des byzantinischen Kunststiles ist angebrochen.

Der Einfluß des Barbarismus, der ganz Italien — mit einer zeitweiligen Ausnahme in Ravenna, das, wie wir sahen, unter dem Einfluß von By-zanz stand — erfaßte, wurde schließlich übermächtig. S. Apollinare in classe, die große, heute in den Feldern liegende Basilika des Hafens von Ravenna, ist ein Beispiel dafür. Ihre Mosaiken stammen aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts n. Chr., und der Verfall, der in ihnen deutlich wird, kann nicht übersehen werden. Während die künstlerische Form abnimmt, wird der mystische Symbolismus stärker, ein rustikal-primitives Element herrscht vor. Die Strenge der Zeit Justinians, die den Formen Stütze gab, ist geschwunden. Damit ist in großen Zügen die künftige Entwicklung der abendländischen Malerei schon angedeutet, die erst aus einer Verkümmerung ihrer Möglichkeiten, aus einer Reduktion ihres Formvermögens wieder zu einer Anschauung findes sollte, die die- Fülle des Daseins und den transzendenten Inhalt in eine geschlossene Form bannen konnte. Ravenna zeigt sich so als ein Knotenpunkt, in dem sich antik-klassisches Erbe in letzter Abwandlung mit den Einflüssen des Ostens trifft, dem dekorativen flächig gebundenen Stil Byzanz', der auf der Farbe beruht und die Linearität des Orients beinhaltet und dann durch die Einflüsse und die Zerstörungen der Barbarei sinkt auf jenes formalistische Stammeln, das durch eine Vorstellungswelt bestimmt wird, die aus den Nebeln des Nordens kommend erst jenen nun durch das Christliche verklärten Weg zur menschlichen Gestalt zu finden hatte, den die Antike lange vor ihr mit unbefangenem Lächeln gegangen war.

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